Tunesien und die Islamisten

Tunesien und die Islamisten
(dpa)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Tunesien hat gewählt. Zum ersten Mal seit dem Sturz des Ex-Diktators Ben Ali fanden im dem nordafrikanischen Land freie Wahlen statt.

Die Ergebnisse wurden mit Spannung erwartet, weil über die politischen Machtverhältnisse im post-revolutionären Tunesien bislang nur spekuliert werden konnte. Unter der Ben-Ali-Herrschaft war keine wahrhaft kritische Opposition zugelassen.
Die meisten Parteien mussten sich demnach in den letzten neun Monaten ex nihilo aufbauen, Strukturen schaffen sowie die Bürger auf sich aufmerksam machen und von ihrem Programm überzeugen. Die Vielfalt der Wahllisten erschwerte diesen Prozess erheblich. Rund 110 Parteien beteiligten sich an der Abstimmung. Über 10.000 Kandidaten bewarben sich um die 217 Sitze in der verfassungsgebenden Versammlung.

mcloos@tageblatt.lu

Folglich ist es wenig überraschend, dass die Ennahda als klarer Sieger der Wahl hervorging. Die Partei der moderaten Islamisten war jahrzehntelang verboten, sie existierte aber bereits und war organisiert, was ihr einen beachtlichen Vorteil für die Wahlkampagne verschaffte. Außerdem profitierten ihre Kandidaten von ihrem Image als Gegner Ben Alis und des ganzen korrupten Systems.

Doch was bedeutet der Sieg der Ennahda für das „neue Tunesien“? Die tunesischen Islamisten bemühen sich seit Anfang der Woche, die Investoren und die Frauenrechtler zu beruhigen.
Der politische Islam in Tunesien beruft sich auf das moderate türkische AKP-Modell. Und auch wenn die Islamisten mit über 41 Prozent der Stimmen zur stärksten politischen Kraft wurden, so sind sie dennoch auf Allianzen und Kompromisse angewiesen.

Eine politische Kartografie

Die säkularen Parteien bilden nicht nur ein Gegengewicht, das nicht ignoriert werden kann, sie sind sogar ein möglicher Koalitionspartner für die Ennahda. Wichtig ist nämlich nicht nur, wer zur stärksten Partei gekürt wurde, sondern die gesamte politische Kartografie, die von den Wählern bestimmt wurde.
Zum ersten Mal wurde das wahre Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen politischen Sensibilitäten offengelegt. Es handelt sich dabei aber um eine Momentaufnahme, die sich noch erheblich verändern kann. Die Herausforderungen an das neue Tunesien sind enorm und die sozialen und wirtschaftlichen Probleme werden den Tunesiern noch eine Weile Kopfzerbrechen bereiten. Demnach ist zu erwarten, dass die künftig Regierenden an Popularität einbüßen müssen. Die Ennahda-Islamisten haben reichlich Erfahrung darin, soziale Themen für sich zu beanspruchen und Kritik zu üben, jetzt müssen sie jedoch beweisen, dass sie auch Veränderungen umsetzen und das Land aus der ökonomischen Schieflage herausführen können.

Auch wenn sie sich nicht am islamischen Hardliner Iran, sondern an der gemäßigten Türkei orientiert, bleibt die Ennahda dennoch eine konservative und religiöse Partei. Natürlich wäre es wünschenswerter gewesen, wenn fortschrittliche und säkulare Bewegungen die meisten Stimmen für sich beansprucht hätten. Die Frauen und die Laizisten beobachten die Islamisten auch zu Recht kritisch und legen eine gesunde und unentbehrliche Dosis an Misstrauen und Skepsis an den Tag.
Der Sieg der Islamisten ist demnach weder ein Grund zur Euphorie noch ein Grund zur Panik. Tunesien geht langsam, aber sicher seinen eigenen Weg. Und dafür wird das Land Zeit brauchen. Wichtig ist, dass die Wahlen an sich als Erfolg der Demokratiebewegung zu werten sind und dass eine pluralistische politische Landschaft daraus hervorgegangen ist.