Rein oder raus?

Rein oder raus?
(Alain Rischard/editpress)

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Sagen Sie Einwohner- oder Ausländerwahlrecht? Haben Sie sich bewusst für einen der Begriffe entschieden? Wenn ja, warum? Oder benutzen Sie beide synonym? Da beide Wörter ja das Gleiche meinen. Vermeintlich ...

In logischer Konsequenz müssten alle „Jo-Sager“ von einem Einwohnerwahlrecht und alle „Nee-Sager“ von einem Ausländerwahlrecht sprechen. Denn auch wenn die beiden Begriffe den selben Sachverhalt beschreiben, nämlich das Recht, unter gewissen Bedingungen auch als Nicht-Luxemburger wählen zu dürfen, beinhalten sie völlig unterschiedliche Bedeutungen.

Sprache ist kein neutrales Medium, das „nur“ Informationen transportiert und Wirklichkeiten beschreibt. Ganz im Gegenteil. Die Art und Weise, wie wir über Wirklichkeiten sprechen, beeinflusst nicht nur unsere Wahrnehmung von ihr, sondern verändert sie. Sprache konstituiert unser Denken und damit unsere Weltauffassung und unser Urteilsvermögen. Deshalb werden Wirklichkeiten in erster Linie sprachlich hervorgebracht.

Die Konnotationen, die Zusatzbedeutungen, die mit einem Begriff mitschwingen und Assoziationen hervorrufen sowie Gedanken in Richtungen lenken, sind für die Konstruktion unserer Wirklichkeit weitaus bedeutender als der pure Begriff. Wer von Einwohnerwahlrecht spricht, transportiert damit völlig andere Nachrichten, Wahrnehmungen und Meinungen, als jener, der das Wort Ausländerwahlrecht benutzt.

Eigentlich bündelt sich in den beiden Präfixen ein- und aus- der Streitpunkt der Debatte: Wer darf wählen und wer nicht? Wer darf dazugehören und wer nicht? Einwohnerwahlrecht impliziert eine Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen, während Ausländerwahlrecht abgrenzt und ausschließt. Einwohner gehören zu uns, Ausländer nicht.

Die Diskussionen um das Einwohner- beziehungsweise Ausländerwahlrecht haben sich zu einer heftigen Identitätsdebatte entwickelt, bei der es „nur“ zwei Alternativen, zwei Lager, Ja oder Nein, zu geben scheint. Und das obwohl die Entstehungen kollektiver Identitäten immer überaus vielschichtig und komplex sind.

Deshalb ist gerade in politisch aufgeladenen Zeiten die kritische Auseinandersetzung mit Sprache so wichtig. Dank der Sprache kann Deutungshoheit über Sachverhalte gewonnen werden, mit der sich dann die öffentliche Meinung beeinflussen lässt. Die Wortwahl verrät dabei viel über ein Menschenbild.

Auch wenn es manchmal mühselig ist, das Ringen um den richtigen Ausdruck und das sprachliche Einkreisen eines Sachverhaltes ist der einzige Weg, um sich vor durch Sprache hervorgebrachte Manipulation zu schützen.

Nur wer selbst die Sprache ernst nimmt und sich nicht hinter Sätzen wie „Du weißt ja, wie ich es meine“ versteckt, ist sensibel gegenüber rhetorisch angehauchten und ideologisch motivierten Worten und Sätzen im öffentlichen Raum. Demokratie kann nur in einer sprachkritischen Gesellschaft, die vor Propaganda gefeit ist, funktionieren.

Denn, wie bereits Heiner Müller feststellte, „der Niedergang eines gemeinschaftlichen Geistes beginnt mit der Beschädigung der Sprache“.

jstroetgen@tageblatt.lu