Noch ein weiter Weg

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(dpa)

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In Ägypten soll am Wochenende ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Für alle Ägypter eine völlig neue Erfahrung.

Nasser, Sadat und Mubarak hatten es ja nun nicht so sehr mit der Beteiligung des Volkes an politischen Entscheidungsprozessen.
Dennoch bedeutet dieser Vorgang nicht, dass Ägypten über Nacht zu einer wahren Demokratie geworden wäre.
Für das höchste Amt im Staate kandidieren ein Veteran des Mubarak-Regimes sowie ein Islamist.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Für viele politisch und philosophisch liberale Ägypter (deren es aber nun nicht gerade übertrieben viele zu geben scheint) bedeutet dies verständlicherweise die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Am Donnerstag löste das Verfassungsgericht dann auch noch das Parlament kurzerhand auf. Den Richtern zufolge war es bei den Wahlen zu diesem hohen Hause nicht mit rechten Dingen zugegangen. Wenn das Volk im Parlament Leuten zu einer satten Mehrheit verhilft, die der Ansicht sind, dass der Religion das Primat über die Politik gebührt, die also grundsätzlich mit Demokratie nichts Rechtes anzufangen wissen, wirft das natürlich die Frage auf, wie viel Demokratie eine Demokratie eigentlich verträgt.
Hat ein echter Demokrat jede Entscheidung des wählenden Volkes automatisch zu respektieren? Nun ja, zur Kenntnis nehmen vielleicht, aber grundsätzlich immer Respekt dafür zeigen? Mitnichten.

Demokratie und Werte

Wenn das Volk, der große Lümmel, in seinem Ratschluss, der ähnlich unerforschlich zu sein scheint wie jener Gottes, auf demokratische Weise beschließt, dass etwa die Demokratie abzuschaffen sei, kann ein Demokrat das hinnehmen?

Nun, jemand, dem so wenig an den politischen Freiheiten läge, wäre ja nun selbst ein merkwürdiger Demokrat. Denn das Konzept Demokratie ist ja nicht einfach gleichbedeutend mit „aktives Wahlrecht für alle“.
Letzteres ist in Sachen Demokratie zwar eine condition nécessaire, die aber bei Weitem nicht suffisante ist.
Demokratie, im modernen westlichen Sinne, hat ja nun in der Tat auf einer Reihe humanistischer Werte zu beruhen. Und wenn eine Wählergemeinschaft in freier Meinungsäußerung beschließt, diese Werte über Bord gehen zu lassen, macht sie halt im gleichen Aufwasch auch der Demokratie den Garaus.
Wenn etwa die „Schwarm“-Intelligenz (oder -Bescheuertheit) des wählenden Volkes zur Schlussfolgerung käme, dass diese oder jene Bevölkerungsgruppe zu unterdrücken oder gar zu vernichten sei, machte sich der Pöbel (welcher sozialen Schicht er auch immer angehören möge) erst einmal kollektiv selbst zum Verbrecher. Mit echter Demokratie wäre dergleichen jedenfalls grundsätzlich unvereinbar.
Demokratie fällt nicht vom Himmel. Und es kann sogar manchmal, wie das Beispiel Nazi-Deutschland zeigt, zu katastrophalen Rückschritten kommen.

Jedenfalls vermitteln mehrere der „Arabellions“ das ungute Gefühl, dass große Teile der Bevölkerung mit diesem neuen machin namens Demokratie nichts so Rechtes anzufangen wissen. Jene Teile Libyens, die nun de facto von Banditen beherrscht werden, sind ohnehin vom Regen in die Jauche geraten.
Und wenn nun in verschiedenen arabischen Ländern die Wähler ihre neugewonnenen Freiheiten als Erstes dazu benutzen, Frömmlern und Obskurantisten in den Sattel zu verhelfen, dann wird dadurch offenbar, dass dort bis zur Etablierung einer echten Demokratie halt doch noch ein sehr weiter Weg zurückzulegen bleibt.