Ein Foul zum Anstoß

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Manchmal braucht es offenbar einen Fußtritt in den Hintern, um Politiker zum Verlassen ausgetretener Pfade zu bewegen. Die von dem Ettelbrücker Allgemeinarzt Jean Colombera ausgelöste Debatte um die medizinische Anwendung von Cannabis und Cannabis-Extrakten erinnert verdammt an das, was im April 2009 im deutschen Rüthen (Nordrhein-Westfalen) passierte.

Léon Marx
lmarx@tageblatt.lu

Dort bekam der Arzt und Vorsitzende der Vereinigung „Cannabis als Medizin“, Franjo Grotenhermen, damals in seiner Praxis Besuch von Polizei-Ermittlern. Sein Service, bei dem Patienten über eine Internetapotheke Zugang zu ihrer „Medizin“ fanden, ist mittlerweile unterbunden. Die Debatte um die medizinische Nutzung von Cannabis aber war mit der bewussten Gesetzesübertretung des Arztes ins Rollen gebracht. Und sie kam erstaunlich schnell zu konkreten Ergebnissen.

War eine politische Debatte 2008 noch ergebnislos verlaufen, so beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung – fast unbemerkt – mitten im tiefsten Sommerloch 2010 eine „kleine“ Reform der Cannabis-Gesetzgebung. Dass Cannabis mit seinen Wirkstoffen THC und CBD Leiden lindern kann, ist seit Jahrhunderten unumstritten. Es verringert Schmerzen und regt den Appetit an, auch bei Patienten, bei denen herkömmliche Behandlungsmaßnahmen nicht anschlagen. Es verringert die quälenden Begleiterscheinungen zum Beispiel von Krebs, Aids, Grünem Star, Morbus Crohn, multipler Sklerose und dem Tourette-Syndrom.

Seit 2005 gibt es daher in Deutschland trotz Betäubungsmittelgesetz bereits die Möglichkeit für Betroffene, legal an Cannabis heranzukommen. Rund 40 Patienten haben sich bislang über sogenannte Ausnahmegenehmigungen das Recht auf Cannabis per Rezept erstritten. Die geplante Gesetzesänderung könnte den Zugang für schätzungsweise 100.000 chronisch kranke Patienten eröffnen.

Deutschland reiht sich damit ein in die Reihe der Staaten, in denen Cannabinoid-basierte Medikamente verfügbar sind oder natürliches Cannabis nutzbar ist: Kanada, Österreich, die Niederlande, Spanien, Israel, Italien, Finnland, Portugal und … einige Bundesstaaten der USA.

Wird demnächst auch Luxemburg von seinem antiquierten Totalverbot abrücken? Wünschenswert wäre eine Überarbeitung der Gesetzeslage allemal. Die derzeit geltenden Bestimmungen gehen auf ein Gesetz zurück, das 1973 von CSV und DP verabschiedet wurde.

Vor 37 Jahren demnach! Aus medizinischer Sicht betrachtet ist das tiefste Vergangenheit. Allein in den letzten fünf Jahren haben sich das Wissen und das Verständnis vom gesundheitlichen Nutzen von Cannabis rasant entwickelt. Sogar in den USA, die der ganzen Welt zwischen 1919 und 1933 ihre unsägliche Prohibitionspolitik aufzwangen, ist ein Umdenken zu erkennen.

System außer Kontrolle

„Meinen Patienten etwas Gutes tun“ – mit diesem Argument verteidigt Jean Colombera die Verschreibung von Cannabis „in medizinischen Dosen“ seit rund 18 Monaten. Dass bei der aktuellen Gesetzeslage auch „medizinische Dosen“ illegal sind, ist in der Debatte, die das Land seit gut einer Woche beherrscht, nur ein Punkt. Einer, über den man sicherlich diskutieren kann.

Weitaus schwerwiegender und eine Katastrophe für diese öffentliche Debatte ist, dass das „System Colombera“ außer Kontrolle geriet und Eltern Alarm schlugen, weil ihr Nachwuchs den Stoff ganz unmedizinisch nutzte. Wenn dann auch noch Parkinson-Patienten im Rollstuhl „vorgeführt“ werden und öffentlich erklären, den Stoff zu rauchen, wie das am Donnerstag geschah, dann wird definitiv klar, dass die sicherlich notwendige Reform im Umgang mit Cannabis hier mit einem schweren Foul angestoßen wurde. Ein Foul, das auch der Hippokrates-Eid eines Arztes nicht entschuldigen kann.

Den Schaden haben chronisch kranke Patienten, die jetzt, zumindest vorübergehend, ihr medizinisches Cannabis nicht mehr erhalten.