Der Künder der einen Wahrheit

Der Künder der einen Wahrheit
(dpa)

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Bin Laden ist tot. Alle Probleme sind gelöst. Schön wär’s.

Das grundsätzliche Problem besteht aber nun eben darin, dass religiöse Extremisten (gegenwärtig in der Hauptsache fundamentalistische Moslems und wiedergeborene Christen) im Wahn leben, von Gott dem Herrn dazu beauftragt worden zu sein, das Werk des Schöpfers hienieden zu vollenden und die Menschheit auf den letzten Tag, den Tag des Gerichtes, vorzubereiten.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Wenn im Laufe dieses Unterfangens einer der Förderer des Obersten Anliegens zum Märtyrer werden sollte, ändert dies kein Jota an der grundsätzlichen Wahrheit Seines Willens. Ganz im Gegenteil. Auch wenn Bin Laden sich kraft Uncle Sams Militärmacht nun urplötzlich gezwungen sah, das Zeitliche zu segnen, wird er für alle Zeiten im Geiste seiner Verehrer fortleben, als Verbreiter der einen, der göttlichen Wahrheit.

So ist das nun mal. Und gegen diese Sorte geistigen Permanentcrashs hilft auch kein Psychopharmakon und kaum eine Verhaltenstherapie. Denn für die Illusion, dass es nur eine Wahrheit gebe und dass man selbst bzw. seine eigene religiöse (oder politische) Gemeinschaft diese erkannt habe, gibt es keine Heilung. Religiöser (oder pseudoreligiöser) Wahn bietet, wie alle Drogen, einen schnellen Trost. Er verschafft eine vermeintlich abgeschlossene, harmonische, in sich selbst ruhende, sinnstiftende Weltanschauung.

Rabiate Liebe

Doch sobald etwas schiefgeht, im Angesicht der Niederlage, des Unfalls, des Verbrechens, der Krankheit, der Ungerechtigkeit oder sonstiger Naturkatastrophen, erweist sich der erhoffte Trost zackoflex als auf tönernen Füßen ruhend.

Aber derlei lässt so manchen Gläubigen keineswegs zweifeln oder resignieren. Er wird vielmehr rabiat. Und zwar grundsätzlich gegen all jene, die sich unterstehen, seine persönlichen Überzeugungen füglich in Frage zu stellen.
Oder diese gar als ausgesprochen ludicrous zu empfinden. Wobei beides im Übrigen der Zweifler elementares Recht ist. Und zu sein hat.
Im schlimmsten Falle sprengt er dann ein marokkanisches Touristenrestaurant in die Luft, im günstigeren macht er ein „caca nerveux“ über atheistische oder humanistische Botschaften auf einem Bushinterteil.
Doch mal im Ernst: Welch Ungemach könnte, um mal streng theologisch zu räsonieren, einem tatsächlich Allmächtigen denn nun aus einer schnöden Reklameparole erwachsen? Oder aus dem durchaus nicht unverhofften Ableben einer merkwürdigen Prophetenparodie in einer pakistanischen Provinzgarnison?
Gott ist, wie es das Johannesevangelium mehrfach bezeugt, die Liebe. Und doch glaubten die kreuzzüglerischen „Befreier“ Jerusalems bis zu den Knien im Blut waten zu müssen, um Seinem Willen Genüge tun zu können. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Binladenisten und sonstigen Salafisten: Sollte die Abschlachtung Zehntausender irakischer Schiiten mittels Autobomben oder Halsaufschlitzen dem Herrn zu Wohlgefallen sein, ist es die Pflicht des wahren Gläubigen, dergestalt nach Kräften zur Vollendung Seines Würdigen Werkes beizutragen.
Was tun? Politische Leitartikel schreiben, die aus spontan nachvollziehbaren Gründen zumindest in unseren Breiten keine Sau liest? Reine – zudem möglicherweise klimamordende – Energieverschwendung!
Vielleicht erlaubt aber ja dereinst die natürliche Evolution der menschlichen Art die Ablegung dieser selbstzerstörerischen weltanschaulichen Ketten. Und falls nicht? Nicht weiter schlimm: Der unermessliche Rest des unendlichen Uni- oder Multiversums wird unverändert weiter da sein.
Ob mit uns oder ohne uns.