Das Pseudo-Leben

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Nadine wusste es schon immer: Bio ist Unkraut also Kompost also Abfall. Dagegen macht Leberwurst nicht dick, denn in ihr ist kein Zucker, sondern Leber drin. Und die, das weiß doch jedes Kind, ist gesund. Wer so etwas behauptet, der braucht nicht lesen zu können. Oder den Unterschied zwischen Territorium und Terrarium kennen. Fazit Nadine:...

Nichts scheint unsere deutschen Nachbarn momentan mehr zu bewegen als die Frage nach dem Nachfolger von Thomas Gottschalk als Moderator von „Wetten, dass..?“. Nadine hat das falsche Geschlecht. Loriot wird es nicht und auch Jopie Heesters kommt seit diesem Wochenende nicht mehr in Frage. Was durchaus zu bedauern ist, denn die zwei Letztgenannten hatten unendlich mehr auf dem Kasten als die TV-Clowns des 21. Jahrhunderts.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Zurück zu Nadine und Co.: Das Zauberwort des Fernsehens 2011 hieß „Scripted Reality“. Was durchaus als Unwort des Jahres herhalten könnte. Doch leider besteht die Bezeichnung für die neuen Fernsehformate aus zwei Wörtern. Und außerdem ist das „Grujelwuert“ des Jahres ja bereits gewählt. Schade, dass bei der Internet-Abstimmung von RTL der Ausdruck „Grujelwuert“ nicht zur Auswahl stand. Es hätte mit ziemlicher Sicherheit gewonnen und die Moderatoren hätten dann stolz verkünden können, „datt d’Grujelwuert dëst Joer Grujelwuert ass“. Loriot lässt grüßen! Seine Freude hätte Vicco von Bülow auch an der „Scripted Reality“ gehabt. Nur dass das, was da gezeigt wird, keine Komik ist, sondern Realität. Zumindest wollen das die Macher den Zuschauer glauben lassen. Der kleine Zusatz „scripted“ aber verrät den wahren Charakter der Realität. Scripted bedeutet so viel wie geschrieben. Demnach handelt es sich um eine Realität, die von einem Drehbuch vorgegeben wird. Eine erfundene. Reine Fiktion, die dem Zuschauer vorgaukelt, es handele sich um eine Dokumentation des wahren Lebens.

Alltägliche Gauklerei

Um das wahre Leben vorzugaukeln, sind die Bilder verwackelt, Gesichter oder Autokennzeichen werden unkenntlich gemacht. Die Schauspieler sind ausnahmslos Laiendarsteller. Nur wer ganz genau aufpasst, der sieht den Hinweis auf das Drehbuch in Vor- und Abspann. Ansonsten aber deutet nichts darauf hin, dass das Gezeigte gar nicht echt ist. Außer natürlich die Geschichten, die immer schriller und somit auch unglaubwürdiger werden. Doch kann jeder den Unterschied zwischen Realität und Fiktion erkennen, oder verschwimmt durch die alltägliche Gauklerei auf der Mattscheibe nicht nach und nach die Grenze zwischen echt und frei erfunden?

Zumal auch bei anderen Formaten kräftig nachgeholfen wird. So handelt es sich bei den Quotenrennern „Bauer sucht Frau“ respektive „L’amour est dans le pré“ oder aber Nadines „Frauentausch“ zwar nicht um „Scripted Reality“, doch wird den Protagonisten der Sendungen ziemlich genau gesagt, was sie vor der Kamera zu tun und was sie zu lassen haben. Die Realität wird zugunsten der Quote aufgemotzt.

Der Spiegel schlussfolgerte unlängst, dass sich das „Medium Fernsehen zu Tode schwindelt. Denn ein Fernsehen, dem die Realität egal wird, das koppelt sich letztlich von ihr ab. Wenn sich ein Medium, das dokumentarisch sein will, nicht mehr die Mühe macht, dem Leben selbst die spannendsten Geschichten abzulauschen, dann wird es zynisch – und hat am Ende gar nichts mehr zu erzählen, weil ihm die Glaubwürdigkeit abhandenkommt“.

Das Leben aber ist nicht immer spannend, sondern kann mitunter ziemlich langweilig sein. Wie die Luxemburger Sitcom „Weemseesdet“ – übrigens auch kein schlechter Kandidat für das „Grujelwuert vum Joer“.