45. Tokyo Motor Show: Jenseits von Glut und Getöse

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Auf seiner Flucht vor Paul Hammelmann verschlug es unseren gelegentlichen Mitarbeiter Eric Netgen in das ferne Japan, wo er mit pflichtbewusstem Eifer einen Drachen auf Bonsai-Grösse reduzierte und sich aus dessen Schuppen einen Kampfanzug für den nächsten Ball der Sécurité Routière bastelte. Daneben besuchte er auch noch die Tokyo Motor Show. Hier sein Bericht und...

Das Motto der diesjährigen Tokioter Motor Show, „Beyond the Motor“ ließ nichts Gutes verheißen: Wollte man uns hier wieder zum x-ten Mal mit der Brechstange in Richtung Gutmenschentum hieven, uns die birkenbestockte Nachhaltigkeit mit der Schnabeltasse kredenzen, während irgend so ein messianistisch dreinschauender Bartträger im Hintergrund auf einer Hollywoodschaukel aus recycelter Kokosfasermatten seine Visitenkarten selbst häkelt? Nein, denn dies ist Japan, ein Land, in dem die Menschen einen Super-Taifun so lässig wegstecken wie einst Roberto Duran die vehementen Massagen seiner Kinnspitze. Derweil plant man nicht nur das Auto von Morgen, sondern schon das Auto von Übermorgen.

Es war ein Heimspiel für die Japaner, das den nicht sehr zahlreich angereisten Gästen aus Europa ganz schnell zeigte, dass es auf nichts anderes als einen klaren Kantersieg herauslaufen konnte. Aus Europa waren nur PSA mit Citroën, DS Automobiles und Peugeot angereist, der Volkswagen-Konzern mit Audi, Porsche und VW, dann Daimler mit Mercedes-Benz und den Pendants AMG und smart, Renault mit einem klitzekleinen, fast symbolischen Stand, BMW mit Alpina im Schlepptau, und schließlich Volvo mit lediglich zwei Autos.

Keine Amis, wenig Europäer

Während die Amerikaner mit Abwesenheit glänzten, begnügten sich die Europäer mit ein paar mickrigen Exponaten, die sie bereits im September bei der IAA in Frankfurt aufgetischt hatten, wie die Konzeptautos von Audi, der Elaine und der Q8 Sport Concept, den Mercedes-AMG Project One oder den elektrifizierten GLA namens EQ-A, den die Schwaben auch bereits anderenorts gezeigt haben. Dieser kompakte E-Flitzer soll auf der neuen 2018er Plattform der A-Klasse mit mindestens 400 km Reichweite in den Unterflurakkus angerollt kommen. Mal schauen ob was draus wird. Volvo zeigte seinen XC60, Citroën einen hundsgewöhnlichen C3 und einen C4 Picasso, BMW den i8, Porsche die Rabauken GT3 und GT3 Cup, VW den up! GTI und den Minivan I.D. Buzz. Renault und DS waren irgendwie einfach nur da, verteilten Internetadressen und Aufkleber. Das war alles sehr überschaubar und irgendwie nicht der Rede wert, also musste man sich bei den Hausherren umschauen, um auf seine Kosten zu kommen.

Nippon-Feuerwerk

Das erste Feuerwerk zündete der Kleinstwagen-Spezialist Daihatsu, der sich 2013 nach 24 Jahren einer nicht immer leichtfüßigen Präsenz auf dem Alten Kontinent ganz offiziell aus Europa zurückzog und sich in seinem Heimatland auf das Herstellen so genannter „Kei Cars“ beschränkte. Diese Miniatur-Automobile dürfen per Gesetz maximal 3,39 m lang und 1,475 m breit sein, ihr Hubraum ist ebenfalls auf 600 Kubikzentimeter limitiert. Diese Tamagotschi-Kisten finden im überbevölkerten urbanen Raum Japans allerdings reißenden Absatz und befriedigen so ganz nebenbei auch noch den ausgeprägten Spieltrieb der Japaner. Daihatsu teilte sich die größte Halle mit dem Branchenschwergewicht Toyota und brachte gleich eine ganze Zwergen-Armada mit in die Ausstellungshallen der „Big Sight“, einem Konstrukt, das eher einer außerirdischen Abhöranlage ähnelt als einem konventionellen Messezentrum à la Essener Grugahalle.

Die Heimmannschaft dominiert mit Steilpässen

Im Sortiment fielen ein paar bunte Sachen auf, die zumindest für einen Europäer alles andere als gewöhnlich waren. Wie z. B. der Daihatsu Thor, ein Minivan (MPV) im Kühltaschenformat, das augenzwinkernd dem nordischen Donnergott huldigt, und der drüben auch als Toyota Tank bzw. Toyota Roomy verscherbelt wird. Für die sportlichen Kei-Fahrer hatte man den schmucken Campagno aus den 60er Jahren wieder neu aufgelegt, und für all diejenigen, die gerne ihren eigenen Bus auf der Fläche eines Gurkenglases parken, das Konzept-Vehikel DN Pro Cargo, das Ganze natürlich mit elektrischem Antrieb, Türen so groß wie Scheunentoren und einer integrierten Rollstuhlrampe bestückt. Die japanische Bevölkerung altert im Zeitraffertempo, also suchen die pragmatischen Insulaner nach Lösungen.

Visionen mit Joystick

Die Hallen-Nachbarn von Toyota konterten mit der durchgeknallten Wonder Capsule und dem etwas (aber auch nur etwas) bodenständigeren LCV D-Cargo. Als potenzieller Nachfolger des GT86 (alias Subaru BRZ) wurde der GR HV Sports Concept mit dreigeteiltem Scheinwerfer vorgestellt. Und dann kam der Crown, das könnte die fünfzehnte Generation seit 1955 werden, die wohl nicht letzte Etappe eines Dauerbrenners, der leider für den heimischen Markt reserviert ist. Im Grill trägt der ein RS-Logo, das anscheinend für „Racing Spirit“ steht. Wer einen haben möchte, muss sich mit einem Lexus GS trösten, mit dem der opulente Crown sich viele Bauteile teilen wird. Die ultimativen Hingucker waren allerdings zwei automobile Zukunftsvisionen, die Concept-i und Concept-i Ride hießen und mit so viel futuristischem Zinnober antraten, dass man sich wie in einer Episode der Jetsons vorkam. Zugegeben, um bei diesem Interieur in Neon und violettem Pastell noch etwas „Street Cred“ auf dem Sunset Strip zu behalten, sollte man lieber den Kadaver von Motörhead-Lemmy auf dem Beifahrersitz transportieren: Aber mutig war das allemal. Und auch hier wieder mit an Bord, der praktische Kran für den Rollstuhl, selbst im winzigen i Ride. Das Auto selbst lässt sich übrigens ganz wie ein Rollstuhl über Joysticks lenken, Drive by Wire, ganz wie ein kleiner Airbus.

Die Japaner schenkten sich nichts und fuhren alle mit Vollgas, pardon Starkstrom, auf der Sci-Fi-Schiene. So bot Honda seine Visionen NeuV und Sports EV bzw. Urban EV, Lexus tischte ein wuchtiges LS+ Concept auf, Mitsubishi einen fast schon barocken SUV namens e-Evolution, der wie aus einem Eisblock geschlagen aussieht, so als müssten die Starship Troopers hiermit zum Einkaufen fahren – serienreife wohl nicht in diesem Jahrhundert – und Nissan einen etwas plausibleren IMx Concept. Mit gegenläufig öffnenden Türen und 600 km Reichweite, von zwei Elektromotoren mit 700 Newtonmeter Drehmoment angetrieben, klappt er bei Bedarf einfach das Lenkrad zur Seite und fährt autonom. Auch hier dürften die Chancen auf Serienreife gegen null tendieren, aber egal: Die Tokyo Motor Show bewies auch in diesem Jahr wieder Mut zur Vision. Das ist auch schon mal was.

Text & Bilder: Eric Netgen