„Zeugnisse einer Zeit, die noch Hoffnung verleiht“

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In unserer Serie „Kunst im öffentlichen Raum“ wollen wir unseren Lesern heute den Skulpturenweg in Lultzhausen vorstellen, der bei einem internationalen Symposium im Jahre 1999 geschaffen wurde, bei dem der Luxemburger Bildhauer Bertrand Ney federführend war, der uns auch schon auf dem Skulpturenweg von Bilsdorf begleitete. Carlo Kass

Wir hatten herausgefunden, dass auch ältere Herren diese beiden Skulpturenwege von zusammen rund acht Kilometer Länge an einem einzigen Tag bewältigen können, vorausgesetzt sie verfügen über einen fahrbaren Untersatz, um die vier Kilometer Höhenstraße mit herrlichem Ausblick nach allen Seiten zwischen Bilsdorf und Lultzhausen zu überbrücken. Ältere Herren, denn wir hatten, die wir damals anwesend waren, als Bertrand Ney vor rund einem Jahrzehnt seine Skulptur „Jakobsleiter“ auf dem zweiten Symposium oberhalb von Lultzhausen installierte, bei der Begrüßung in Bilsdorf bereits festgestellt, dass sich das Haar von Künstler und Journalist in diesen Jahren deutlich in Farbrichtung Grau entwickelt hatte. Ein Grau, das im tiefen Kontrast zum azurblauen Sommerhimmel stand, unter dem wir nun auch den Skulpturenweg in Lultzhausen angingen, der auf dem Parking an der Nationalstraße neben der Brücke nach dem benachbarten Insenborn ansetzt, um nach einem kleinen Höhenunterschied gleich auf die Skulptur „Der Engel vom See“ zu stoßen, der die Besucher sozusagen in Empfang nimmt und später auch verabschiedet. Er könnte leicht zum Leitbild der Skulpturenwege am Stausee werden, wie man das bei Engeln eben so gewohnt ist. Jedenfalls war sein Erschaffer, der 1947 in Koblenz geborene Georg Ahrens, der bereits Bildhauersymposien auf Lanzarote, in Japan, Kanada, Namibia sowie in Germersheim, Pirmasens und an der Obermosel erlebt hatte, begeistert von der Ausrichtung des Lultzhausener Symposiums: „Es war für mich das erste Symposium, bei dem sich die Verantwortlichen bewusst zum Ziel gesetzt hatten, Natur und Skulptur in eine Wechselwirkung zu bringen. Die Choreografie der Platzierung der verschiedenen Bildhauerpersönlichkeiten, ihrer jeweiligen Denk- und Arbeitsweise entsprechend, bezeugt den hohen Grad an Professionalität dieses Symposiums.“

Stille, Ruhe und Schlichtheit

Diese aus der Begleitmappe stammende Lobeshymne des Engelvaters gaben wir gerne an Bertrand Ney weiter, verbunden mit der Frage, wie viele Künstler minimal und maximal an einem Bildhauersymposium teilhaben sollten: „Unter vier sollte man nicht anfangen, weil es schwer sein dürfte, Synergien herzustellen. Bei über acht bis zehn Teilnehmern wird es schwer, die Übersicht zu behalten. Es hängt natürlich immer davon ab, mit welchem Material gearbeitet wird und wie die Themenstellung erfolgt. Bei diesen Symposien am Stausee war von vornherein abgemacht, die Natur mit petrifizierten Artefakten zu ergänzen, auch wenn diese Steine aus den verschiedensten Gegenden stammen“, so der Künstler. Inzwischen waren wir an der Sonnenskulptur des belgischen Bildhauers Jaak Hillen angekommen. Eine Steingruppe, die einerseits eine Verbindung herstellt zwischen offenem Raum und Luft, Wasser und Sonne sowie andererseits mit der Erde. Wie bei so vielen Steindokumenten in freier Natur sind die Achsen der Komposition den Sonnenaufgängen in den verschiedenen Jahreszeiten zugewandt. Auch der dreieckige Stein des niederländischen Bildhauers Ton Kalle, der oben auf einer Lichtung, in freier Landschaft auf drei anderen Steinen liegt, hat laut seinem Erschaffer auf seiner dritten Seite die „geflügelte Strahlung der Sonne“ in sich. Es benötige Stille, Ruhe und Schlichtheit, damit das Ursprungsmaterial von Mutter Erde sich selbst ausdrücken kann: „Diese drei Elemente sind immer in meinen Werken vorhanden“, so der Künstler weiter, der seine Skulpturen gerne als Symbole der Zeit in der Landschaft sieht. Der ursprüngliche Bildhauer Ton Kalle versteht seine Steinkomposition auf den „Lëltzer“ Höhen als „prähistorische Form, die sich nach Zukunft sehnt.“ Einige Schritte weiter ragt der Monoblock von Bertrand Ney in den inzwischen marianisch blau schimmernden Himmel, den der Künstler „Jakobsleiter“ benannte, frei nach der im Buch der Genesis (28.11) erzählten Geschichte des Jakobs, dem auf der Flucht vor seinem Bruder Esau die Himmelsleiter im Traum erschien, auf der er Engel auf- und niedersteigen sah und an ihrem Ende Jehowa, der sich ihm als Gott seiner Vorfahren zu erkennen gab und die Land- und Nachkommensverheißung erneuerte, obwohl er diese seinem Bruder für eine Linsensuppe abgeluchst hatte. Und so kam die göttliche Ungerechtigkeit in die Welt der Träumer und Geschichtenerzähler.

Ist Hoffnung noch erlaubt?

Bertrand Ney dagegen sieht seine Stele, die durch ihre Vertikalität die Landschaft nach oben verlängert, als Mittler zwischen Himmel und Erde, wie sie auch in animistischen Religionen vorkommen, in denen die für das Transzendentale zuständigen Schamanen migranter Völker ihren Stab als Schutz vor bösen Geistern in den Boden rammten, wenn man das Lager in fremder Umgebung aufschlug. „Eine Skulptur kann den Ort, an dem sie aufgestellt wird, verändern und ihm eine neue Bedeutung verleihen; ein solcher Ort unterscheidet sich jedoch bisweilen durchaus von jenen Orten, an denen eine Skulptur nur das andeutet, befragt und vermittelt, was ihrem Umfeld liegt und das ich ‚den Geist des Ortes‘ nennen möchte. An diesem Standort auf den Höhen des Pfades, von wo aus man einen Teil des Sees beherrscht, unmittelbar gegenüber den benachbarten Hügelkämmen, lädt nichts zur Rast, nichts zur Ruhe ein. Hier ist alles im richtigen Sinn des Wortes vorübergehend und in Bewegung begriffen; ein offener und dynamischer Raum, der einem ewigen Wechselspiel ausgeliefert ist. Dies vermittelt das Gefühl eines Ortes, der keiner ist, eines flüchtigen Raumes, eines ‚Nicht-Ortes‘, ein Gefühl, das erst nach einer Reihe von Spaziergängen in meinem Geist gereift war, und mich Schritt für Schritt dazu führte, einen drahtigen Monolithen zu wählen. Eine aufrecht stehende Stele, die den Raum filigranartig durchbohrt, zugleich präsent durch ihre Dynamik und abwesend durch ihre Bodenmasse“, so fügt es der Künstler in fast schon in Marmor zu meißelnde Worte, die den Kierkegaardschen Menschen, der mit beiden Füßen im Boden verwachsen die Sterne mit seiner Stirn berührt, sehr gut beschreibt. Und als ob der Moment dem Künstler auch noch Recht geben wollte, zog, als ob der den Stein des Bertrand Ney als Wegweiser nutzen wollte, genau in dem Augenblick in 10.000 Meter Höhe ein Flugzeug seinen weißen Schweif hinter sich her, bei dessen Anblick man für den Hauch einer Sekunde nicht an die CO2-Belastung denken mochte. Beim Abstieg von der „Jakobsleiter“ kommt der Wanderer an der Skulptur der schottischen Bildhauerin Sybille von Halem vorbei, die neben einem altehrwürdigen Kirschbaum steht und an einen versteinerten Bienenkorb erinnert. Wie alle anderen Werke wurde sie genau für diesen Standort konzipiert und auch dort gestaltet. Mit der Skulptur des Griechen Kyriakos Rokos sind die sechs Steinzeugen von sechs Künstlern aus sechs verschiedenen Ländern komplett, die ihre Spuren für die Spaziergänger von gestern, heute und morgen hinterlassen haben. Und dem Künstler aus Metsovo in Griechenland sei auch das Schlusswort gegönnt: „Vielleicht sind es Zeugnisse einer Zeit, die noch Hoffnung verleihen kann.“ Schön wär’s!