Kafka – der unendliche Prozess

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Es hat schon etwas Kafkaeskes: In zehn Schließfächern schlummern, seit Jahrzehnten unberührt, Briefe und unveröffentlichte Manuskripte Franz Kafkas, Gegenstand eines bizarren Erbstreits zwischen der israelischen Nationalbibliothek und zwei alten Damen.

Bevor das Familiengericht Tel Aviv entscheidet, wem die mutmaßlich literarisch wie finanziell wertvolle Hinterlassenschaft gehört, will es erst einmal genau wissen, was eigentlich drin ist in den Fächern.

So wurden in der vergangenen Woche auf Anweisung des Gerichts die Boxen in Banktresoren in Tel Aviv und Zürich geöffnet, damit Wissenschaftler den Inhalt sichten können. Das kann noch Wochen dauern; vorher ist mit einer Entscheidung nicht zu rechnen.

„Kafka hätte so eine Geschichte schreiben können, wo man versucht etwas zu tun und alles schief geht und alles ungelöst bleibt“, meint die Autorin Sara Loeb, die zwei Bücher über Meister des Alptraumhaften geschrieben hat. „Das ist wirklich so ein Fall, wo das Leben die Kunst imitiert.“

Verzwickter Nachlass

In Kafkas Werken wie „Der Prozess“, „Das Schloß“ oder „Die Verwandlung“ zappeln Protagonisten immer wieder hilflos im Netz rätselhafter Machenschaften unbekannter Mächte.

In dem Erbstreit geht es eigentlich darum, wie das Testament des Dichters Max Brod auszulegen ist. Bevor er 1924 an Tuberkulose starb, hatte Kafka seinem Freund seine Manuskripte vermacht und ihm aufgetragen, alles ungelesen zu verbrennen.

Brod, 1938 vor den Nationalsozialisten nach Palästina geflüchtet, hielt sich nicht daran. Er veröffentlichte das meiste – aber eben nicht alles. Als er 1968 starb, übertrug er die Verwaltung seines literarischen Nachlasses seiner Sekretärin Esther Hoffe. Die hütete das Kafka-Konvolut 40 Jahre lang in ihrer Wohnung in Tel Aviv sowie in Bankschließfächern.

Einiges verkaufte sie auch. So wurde das Originalmanuskript des „Prozess“ 1988 bei Sotheby’s in London für 3,5 Millionen D-Mark versteigert. Es befindet sich heute im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, das auch an den anderen Schriften interessiert ist. Als Hoffe vor drei Jahren im Alter von 101 Jahren starb, hinterließ sie ihren Besitz ihren Töchtern Eva Hoffe und Ruth Wiesler. 

Deutsches Literaturarchiv Marbach interessiert

Die kommen aber bis heute nicht an ihr Erbe heran, weil die israelische Nationalbibliothek Anspruch auf die Kafka-Papiere erhebt und die Testamentsvollstreckung gerichtlich blockiert. Nach ihrer Auffassung war es Brods Wille, dass sie die Manuskripte bekommen sollte.

„Die verstorbene Frau Hoffe hat nicht getan, worum der verstorbene Herr Brod sie gebeten hat, nämlich die Dokumente der Nationalbibliothek zu übergeben“, sagt deren Anwalt Meir Heller.

Der Anwalt von Eva Hoffe, Oded Hacohen, hält dagegen, Brod habe die Sammlung der Mutter seiner Mandantin geschenkt und ihr freigestellt, sie dem Nationalmuseum oder einer anderen Einrichtung ihrer Wahl im In- oder Ausland zu übergeben.

Er verweist auf ein Gerichtsurteil von 1974, das ebendies bestätigt. Das bedeute, dass Eva Hoffe die Dokumente rechtmäßig geerbt habe und frei darüber verfügen könne. Das schließe auch einen Verkauf an das Literaturarchiv in Marbach ein, mit dem sie bereits Verhandlungen über den restlichen Nachlass Kafkas und Brods geführt hat.

Dem Leiter der Handschriftenabteilung, Ulrich von Bülow, zufolge hatten schon Brod und Esther Hoffe mehrmals darüber gesprochen, das Material dort einzubringen. Das Archiv sei daran interessiert, weil es bereits viele andere Manuskripte und Briefe besitze, die es ergänzen könnte.

Die Nationalbibliothek hingegen gedenkt nach Worten ihre Vorsitzenden David Blumberg „nicht, auf die Kulturgüter zu verzichten, die rechtmäßig ihr und damit dem israelischen und jüdischen Volk gehören“.

(apn)