Individualität innerhalb einer Gemeinschaft

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So verschieden die Personen auch sein mögen, die wir im Laufe unserer Serie vorgestellt haben, eines haben sie alle gemeinsam: Sie konsumieren Kunst und Kultur nicht nur, sondern sie praktizieren sie. Janina Strötgen

Subkulturen entstehen meist aus dem Verlangen nach Abgrenzung und nach Rebellion. In den afroamerikanischen Gettos von New York und Philadelphia ist die Hip-Hop-Kultur in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als eine Abgrenzung gegen bürgerliche Werte, als Rebellion gegen ungerechte Zukunftschancen und als Reaktion auf Perspektivenlosigkeit entstanden.
Deshalb waren die ersten Strömungen der Hip-Hop-Kultur stark politisch motiviert. Vom Wunsch nach Veränderung und vom Kampf um Gleichheit sprechen die Rapper in ihren Texten und zeugen die Graffiti an den U-Bahn-Stationen. In einem Land wie Luxemburg, in dem die meisten Jugendlichen weder an sozialen Ungerechtigkeiten noch an Perspektivenlosigkeit leiden müssen, haben es Subkulturen schwerer, sich zu entwickeln. Ihnen fehlen Gründe, sich aufzulehnen und gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Dennoch gibt es Subkulturen.

Zur persönlichen Entfaltung

Denn auch in einer Wohlstandsgesellschaft und einem gut funktionierenden Sozialstaat spielen Kunst und Kultur neben ihrer Funktion als „Konsumobjekt“ und „Zeitvertreib“ eine entscheidende Rolle: Sie sind das geeignete Medium für das Individuum, seinen Platz in der Gesellschaft zu manifestieren. Kunst und Kultur sind Mittel zur persönlichen Entfaltung und zur Emanzipation des Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft. Die Graffitikünstler zum Beispiel definieren sich selbst mit jedem Graffiti neu: Sie entwickeln ihren persönlichen Stil, unterschreiben mit ihrem Pseudonym und verleihen so ihrer Individualität Ausdruck. Gleichzeitig entwickeln sie untereinander ihren eigenen Mikrokosmos: Die Welt der Sprayer, die nach klaren Regeln funktioniert und einen eigenen Wertekanon besitzt. Demnach definiert das Individuum seinen Platz in der Gesellschaft nicht nur durch Abgrenzung, sondern auch durch die Bildung von Interessengemeinschaften. Ein weiterer Grund für das Entstehen von Subkulturen ist das Bedürfnis nach Engagement. Wir haben dies zum Beispiel bei Joël Adami gesehen, der sein Blog als Medium versteht, sich selbst darzustellen, politisch Stellung zu nehmen und sich in den öffentlichen Diskurs einzuschalten. Ob zur Lage der Europäischen Union, dem Atomkraftwerk in Cattenom oder den Überwachungskameras in Luxemburg – Joël hat seine Meinung und möchte sie mitteilen. Subkulturelle Kreise bieten demnach der Individualität Platz, sich zu entfalten, die Akteure entwerfen sich ständig neu und leben ihre Wünsche und Sehnsüchte. Gleichzeitig aber setzten Subkulturen Energien frei, die weit über die persönliche Entfaltung hinausgehen: Sie stellen Gegebenes infrage, schauen über den Tellerrand und entwerfen unterschiedliche Realitätsmodelle. In gewisser Weise sind sie ein Katalysator für Fortschritt und Verbesserung. Deshalb sollten gerade Länder wie Luxemburg, die in einer wohlhabenden, gut funktionierenden Struktur eingebettet sind, subkulturellen Strömungen Platz bieten, sich entfalten zu können. Querdenker, schräge Vögel und Gegen-den-Strom-Schwimmer können die Gesellschaft nur bereichern.