Das Tier und sein Mensch

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Von unserem Korrespondenten Roland Mischke 

Menschen haben ihre Haustiere lange schlecht behandelt. Inzwischen wird darüber diskutiert, den Tieren Bürgerrechte zu geben. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden zeigt nun die sich wandelnde Verbindung in der Ausstellung „Tierisch beste Freunde“.

Wie passt der Rottweiler zu dem korpulenten Gassigeher, der stolz mit dem Vierbeiner über die Straße läuft? Warum hat die Nachbarin drei Katzen? Das ist die Sicht, die wir auf Haustiere haben, immer vom Menschen aus. Im Dresdner Hygiene-Museum geht es bis Juli 2018 in der unterhaltsam-informativen Ausstellung „Tierisch beste Freunde“ exakt umgekehrt. Wie passt der Mann zu dem Rottweiler? Wie sehen die drei Katzen unsere Nachbarin? Man glaube nicht, dass das ein Gag ist. „Es tun sich ganz schnell Abgründe auf“, sagt Kurator Christoph Willmitzer.

Wer besitzt wen?

Haustiere sind für ihre Besitzer eine Ich-Erweiterung. Sie leben mit einem Tier, hängen an ihm, versorgen ihren Schützling. Doch wer besitzt in Wahrheit wen? Das Haustier kann trainiert und dressiert werden, aber es ist kein Untertan, sondern ein eigenes und oft eigensinniges Wesen. Die großartige Dresdner Schau erfasst sogar die Erotik zwischen Mensch und Tier. Die „Liegende mit grünem Sonnenschirm“, ein Ölbild von 1925 von Richard Müller, zeigt eine nackt hingestreckte Frau, neben ihr ein sabberndes Hündchen mit ausgestreckter Zunge. Woody Allen fiel zur Liebe in „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ ein, dass es sie auch zwischen einem Mann und einem Schaf geben kann.

Perspektiven werden virtuell getauscht

Haustiere sind kultivierte Natur, die ihre Wildheit noch besitzen, nur meist unterdrücken. Im Eingangsbereich kann man kurz mal traurig werden unter den ausgestopften Tieren hinter Glas. Aufregend wird es im virtuellen Raum, da drehen sich die Perspektiven. Der Besucher setzt eine Brille auf und kann in den Käfig des Wellensittichs kriechen und sehen, wie der Sittich sehr viel mehr Bilder erfasst als der Mensch. In einem überdimensionalen Aquarium geht es zu Unterwassertieren. Eine Qualle trudelt heran, eine Riesenkrabbe folgt in respektvoller Entfernung. Für die Fische ist das Wasserreich eine bunte, abwechslungsreiche Welt.

9 Milliarden Euro (10,5 Milliarden Franken) geben allein die Deutschen pro Jahr für ihre Haustierliebe aus. Das geht bis zur künstlichen Hüfte für den Hund. Wenn er nicht mehr kann, wird er mit T61 eingeschläfert und mancher bekommt eine Todesanzeige. Die Barbarenzeit, in der es als normal galt, Tiere zu treten, zu schlagen oder anderweitig zu peinigen, ist vorbei – Tierquäler landen heute vor dem Richter. Die Kuratorin Viktoria Krason spricht von der Asymmetrie und dem Machtgefälle zwischen tierbesitzenden Menschen und dem als Statussymbol gehaltenen Haustier.

Diskussion über Bürgerrechte

Vor allem der Homo sapiens und der Canis lupus brauchen einander, sie teilen ihr Biotop mitunter bis ins Bett. 9 Millionen Hunde leben in Deutschland in Wohnungen, für viele Menschen sind sie die einzigen oder wichtigsten Kontaktwesen. „Was war der Mensch“, so Friedrich Schiller 1795, „ehe die seelenbildende Kunst ihre Hand an ihn legte? Der trotzigste Egoist unter allen Thiergattungen, und bei aller Anlage zur Freiheit der abhängigste Sinnensklave.“

Menschen und ihre Haustiere. Oder umgekehrt. Die Universität Münster hat ein Zentrum der Meerschweinforschung eröffnet, auch Hamster und Kaninchen sind „Einstiegsmodelle“ ins Leben mit einem Haustier. Da werden schon mal Möbel in die Mitte gerückt, denn Kaninchen brauchen an der Wand Fluchten. Bei anderen Haustieren sind die Neurowissenschaftler tätig, sie wollen wissen, was ein Haustier empfindet. Rund 250 Projekte sind in der Ausstellung versammelt, in drei Abteilungen sortiert. Die interessanteste ist „Das Haustier und sein Mensch“, weil es da um die Perspektive der Tiere geht. Darwins Evolutionslehre machte Tiere im Bewusstsein der Menschen zu Verwandten. Inzwischen wird über Bürgerrechte für Tiere diskutiert.

Zum Autor

Roland Mischke wurde als Kind vertriebener Schlesier in Chemnitz geboren. Er studierte Evangelische Theologie und Germanistik in Berlin, volontierte bei der FAZ und arbeitete danach zwölf Jahre vor allem im Feuilleton dieser Zeitung. Danach gründete er mit Partnern einen Buchverlag und war nebenher als freier Journalist für Zeitungen und Zeitschriften im gesamten deutschsprachigen Raum tätig.

Sein Themenspektrum erstreckt sich von aktuellen Kulturberichten – vor allem aus Berlin – über Kommentare zum Kulturbetrieb bis zu Lifestyle-Berichten und Geschichten über politische und gesellschaftliche Hintergründe und Entwicklungen. Zudem hat er einige Sachbücher geschrieben.