Alain spannt den BogenChopin mit Preisträger Seong-Jin Cho: Im Zeichen der Leichtigkeit

Alain spannt den Bogen / Chopin mit Preisträger Seong-Jin Cho: Im Zeichen der Leichtigkeit
Cho zeigt, dass Chopin viel mehr zu bieten hat als nur virtuoses Getöse Foto: Philharmonie/Alfonso Salgueiro

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Die Medien und die Plattenfirmen machen sich oft ihre eignen Gesetzte. Sie machen Stars oder sie lassen sie fallen, wenn sie sich nicht in ein Konzept einfügen oder ihre Rolle nicht ausfüllen. Da macht auch die Klassik-Branche keine Ausnahme. 

Sex sells – also auch hier – schöne Musikerinnen mit tiefen Dekolletees, hübsche Solisten in modischen Anzügen, potente Dirigenten, tänzerisch versiert, gehören in der Zwischenzeit längst zu der edlen Klassikszene dazu und geben ihr den Hauch von etwas jugendlich Frischem. An sich keine schlimme Sache, nur oft kommt das Künstlerische, das Ehrliche dabei zu kurz. Sehr beliebt und in Mode sind im Moment die asiatischen Musiker, die, jetzt recht pauschal ausgedrückt, oft technisch atemberaubend, interpretatorisch allerdings wenig aussagestark sind. Siehe den völlig überschätzten Pianisten Lang Lang.

Als getrimmte und gezüchtete Musikmaschinen vermitteln viele mehr und mehr ein komplett irreführendes Klassikfeeling und führen uns mit blendender Virtuosität eher vom Kern der Musik weg als zu ihm hin. Ein solches Paradepferdchen ist der junge Pianist Seong-Jin Cho allerdings nicht! Er ist der lebende Beweis dafür, dass Ausnahmen die Regel bestimmen. Cho, 1994 in Seoul geboren, studierte am Pariser Konservatorium bei Michel Béroff und ist neben etlichen Auszeichnungen auch Gewinner des Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau 2015.

Und mit den beiden Chopin-Konzerten auf zwei Wochen verteilt, gastierte Cho dann auch in der Philharmonie Luxemburg. Am vergangenen Donnerstag und Freitag (das Konzert wurde insgesamt viermal an zwei Tagen gegeben) spielte der südkoreanische Pianist das 1. Konzert für Klavier und Orchester op.11, das er bereits 2016 mit dem London Symphony Orchestra unter Gianandrea Noseda aufgenommen hat. Bereits nach den ersten Takten merkt man, dass hier ein sehr werkkundiger und interpretatorisch überzeugender Pianist zu Werke geht. Mit einer vollendeten Technik und einem sehr klaren, von einem impressionistischen Farbenreichtum geprägten Spiel lässt er den Hörer an einer in allen Punkten überragenden Aufführung des Konzerts teilhaben. Chopins Musik wird ernst genommen und hinterfragt, Cho zeigt, dass Chopin viel mehr zu bieten hat als nur virtuoses Getöse, sondern ein Meister der Stimmungen und der Expressivität sein kann, wie das der 2. Satz „Romanze“ besonders schön zeigt.

Unter seinen Fingern klingen aber auch die Ecksätze sehr feingliedrig und stilistisch einwandfrei, sodass diese Interpretation das Prädikat „sehr wertvoll“ verdient. Nicht minder engagiert als Seong-Jin Cho spielt auch das Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Gustavo Gimeno. Auch wenn der Orchesterpart relativ undankbar ist und quasi nur als Begleitung des Soloinstruments in Erscheinung tritt. Zwiesprache gibt es nicht, Klavier und Orchester wechseln sich regelmäßig ab. Doch alleine dadurch, dass Gimeno mit getrennten ersten und zweiten Geigen spielen lässt, wirkt das Klangbild an sich lebendiger und luftiger. Die Musik kann besser atmen, Solist und Orchester finden sich so zu einem fast kammermusikalischen, transparenten Spiel wieder, dessen Leichtigkeit diesem Konzert ungemein guttut.

Leichtigkeit ist dann auch das Motto der 4. Symphonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy, einer der beliebtesten Symphonien überhaupt. Wie die meisten Dirigenten hatte sich Gustavo Gimeno auch für die erste und bessere Fassung von 1830 entschieden. Sehr virtuos und mit rasanten Tempi stürzten sich Gimeno und seine Musiker in den ersten Satz, ein Allegro vivace, das ich selten mit einer solchen Schnelligkeit gehört habe.

Trotzdem blieb das Spiel der Musiker sehr klar, deutlich und immer präzise. Die beiden langsameren Mittelsätze durften dann aufatmen und die Musik fand jetzt hier zu einem sehr natürlichen inneren Duktus zurück, der Farben, Schönheit und Wärme verbreitete. Ehe sich das OPL dann mit Verve in den Finalsatz (Saltarello – Presto) stürzte, der durch Gustavo Gimenos deutliche Gesten zu einem wahren und lichterfüllten Feuerwerk wurde. Gerade nach dem Chopin-Konzert, wo die OPL-Musiker nicht wirklich brillieren konnten, ließen sie nun bei dieser Italienischen ihre ganze Energie und ihr ganzes Können mit spielerischer Freude aufblitzen.

Neue CD mit Jean Muller:  Ein Mozart voller Überraschungen

Ein ganz anderer Pianistentyp als Seong-Jin Cho ist Jean Muller, der soeben seine dritte CD einer Integralen der Mozart-Sonaten veröffentlicht hat. Wie bereits die beiden ersten CDs bewegen sich auch diese Aufnahmen der Sonaten Nr.2 KV 280, Nr.8 KV 310, Nr.10 KV 330 u. Nr.16 KV 545 (hänssler Classic HC20065) auf allerhöchstem Niveau, denn Muller spielt einen sehr persönlichen und hochinteressanten Mozart. Da stoßen dann eigentlich verschiedene Welten aufeinander. Zum Ersten unterstreicht Muller den jugendlich-frischen Charakter in der kontrastreichen 2. Sonate und der spielfreudigen 8. Sonate, dies aber mit individueller Konsequenz und einer gewissen Strenge, zum anderen lässt er durchgehend Einflüsse von Bach und das Augenzwinkern eines Haydn durchscheinen.

Doch immer bleibt Mullers Spiel eigenwillig, nie verfällt er ins Banale oder Plakative. Und Mozart als Unterhaltungsmusik? Weit gefehlt. Trotz allem Witz und aller Lebendigkeit nimmt Muller Mozart sehr ernst und interpretiert die Musik mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, die eine großartige Interpretation eben auszeichnet. Dabei bleiben die Linien klar, das Spiel durchhörbar. Mullers Interpretationen bleiben ausgewogen, obwohl sie manchmal Extreme aufzusuchen scheinen. Vermeintlich schnelle Tempi stehen dann im Kontrast zu wundervoll lyrischen Momenten. Auf jeden Fall wiegt Muller den Hörer nie in Sicherheit, immer kommt etwas, worauf man nicht gefasst ist.

Es ist ein Mozart voller Überraschungen, konsequent in seiner Auslotung, interessant und kohärent in seiner Interpretation. Darüber hinaus spielt Muller überragend und so darf man sich schon auf die nächste Veröffentlichung freuen. Klangtechnisch ist die CD super gelungen, das Klavier kommt sehr natürlich zur Geltung und die Dynamik sowie das luftige Klangbild kommen diesen Sonaten optimal entgegen.