KinoWer ist Terrence Malick? (Teil 2)

Kino / Wer ist Terrence Malick? (Teil 2)
Christian Bale in „Knights of Cups“ von Terrence Malick Foto: Broad Green Pictures  

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit nur neun Filmen hat sich Terrence Malick zu einem der umstrittensten Filmemacher der Gegenwart entwickelt. Seine Filme wirken wie Störfaktoren in der amerikanischen Filmindustrie – sie bedienen Genremuster, sind aber keine klassischen Genrefilme, sie stellen große Sinnfragen des Lebens, ohne Antworten zu formulieren. Sie streben nach pantheistischer Esoterik, die vielen unverständlich und entrückt, ja zu nah am Kitsch ist. In allen Fällen gilt: Die Filme Malicks vermitteln mehr über die Form als über den Inhalt. Dieses mitunter als ambivalent empfundene Verhältnis des Form-Inhalt-Bezugs begleitet den mittlerweile achtzigjährigen Regisseur seit den Anfängen seiner Regiekarriere.

In „To The Wonder“ (2012) geht es um die Liebesgeschichte zwischen einem US-Amerikaner und einer in Paris lebenden Ukrainerin. Die diversen Stadien dieser Beziehung strukturieren den Film allenfalls nur lose. In „Knight of Cups“ (2015) begleiten wir einen wohlhabenden, luxuriös lebenden, aber zweifelnden Drehbuchautor in der Schaffenskrise; die Beziehung zu mehreren Frauen kann ihn nicht aufrichten. So auch in „Song to Song“ (2017) – ein Musikerpaar ist auf Tournee, ein Dreiecksverhältnis deutet sich an, die Figuren dieses Films erliegen den Irrungen und Wirrungen ihrer Gefühle. Besonders diese drei Filme sind für ein klassisch, nach konventioneller Dramaturgie geschultes Publikum nur noch schwer erschließbar, für manche sogar ist damit die äußerste Schmerzensgrenze erreicht.

Stream of consciousness in Bildern: „To The Wonder”, „Knight of Cups“, „Song to Song“

Die dramatische Konzentration fehlt nahezu gänzlich, da sich die Filme immer wieder ausgesprochen viel Zeit lassen für philosophische Exkurse, die sich als narrativ äußerst schwach präsentieren oder gar als narrative Leerstellen empfunden werden können. Entsprechende Haltungen erwachsen indes nur, wenn man den strukturgebenden Prinzipien klassischen Erzählens, wie Aktion-Reaktion, Kausalität oder Stringenz, den höheren Rang beimisst, ja diese als Maßstab ansetzt. Die Filme funktionieren freilich nicht ganz ohne Handlungsgerüst, aber dieses ist so minimalistisch, so fragil, dass ein narrativer, roter Faden immerzu zu zerreißen droht.

Hinzu kommt, dass diese Trilogie an Filmen erzählerisch sehr komplex verschachtelt sind, unmarkierte Zeitsprünge erschweren einem die Rekonstruktion obendrein, sodass allein der Ansatz nach einem Zurechtlegen des Plots ein nur wenig stimulierendes Unterfangen darstellen kann. Vielmehr funktionieren diese Filme sehr stark über den Fluss des Gezeigten: Es sind vor allem die Großaufnahmen der Gesichter, die diese Filme visuell prägen, Gesichter von verständnislos in die Welt blickenden Figuren, glücklos, melancholisch. Aber sie sind getrieben von der Sehnsucht nach dem Ungreifbaren, das sich besonders in dem Sonnenlicht, das durch die Blätter fällt, manifestiert.

Malicks Figuren schwimmen in Universen, die nur ihnen gehören. Sie durchschreiten Räume, die sie ganzheitlich mit ihrer Präsenz füllen auf der Suche nach echten, verlässlichen Wahrheiten, die bei Malick denn auch nur Andeutungen sein können. Das ist der Leitgedanke dieser innerlich kohärenten Filmtrilogie: Etwas, was nicht begreifbar ist, in Andeutungen auszudrücken – die Filme präsentieren eine Vorstellung davon, das Glück im puren Sein zu finden und darin ganzheitlich aufzugehen. Es ist ein reiner „stream of consciousness“ ausgedrückt in audiovisuellen Zeichen. Darin liegt die essenzielle Form von Malicks Filmschaffen, er selbst avanciert somit zu einer nahezu mythischen Figur des amerikanischen Kinos: Malick ist kaum jemand an die Seite zu stellen; nur Malicks Filme sind es, die in dieser Form so radikal die pure Poesie des Kinos bedienen. Sofern man „To The Wonder“, „Knight of Cups“ oder „Song to Song“ allenfalls nur an der reinsten Oberfläche noch als Beziehungsdramen fassen möchte, so entzieht sich sein nächster Film diesen Assoziationen wieder gänzlich.

Die Heiligsprechung: „A Hidden Life“

Bereits die Einführung in die diegetische Welt seines nächsten Werks bietet die bekannten Schauwerte eines Terrence-Malick-Films: Mit erhabenen Bildern von Felsmassiven, dichten Wäldern und wehenden Grashalmen soll eine sakrale Präsenz innerhalb dieses idyllischen Naturerlebens des Menschen ausgedrückt werden, wieder dominiert der immanente Fluss des Gezeigten den gesamten Film. Man kann darin eine Postkartenästhetik sehen, die sehr zum „Bergkitsch“ tendiert, indes ist diese Überhöhung ganz im Sinne Malicks, denn wieder einmal erzählt „A Hidden Life“ (2019), Malicks Heiligengeschichte, von der Vergiftung des Paradieses: Franz Jägerstätter lebt 1939 mit seiner Familie im oberösterreichischen St. Radegund.

Als Widerstandskämpfer wider Willen verweigert er den Wehrdienst im Zweiten Weltkrieg, sodass er in Berlin zum Tode verurteilt und am 9. August 1943 hingerichtet wird. 64 Jahre später wird er von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen. „A Hidden Life“ folgt besonders Malicks Anspruch der Gleichwertigkeit in der Darstellung von Menschen-, Natur- und Objektwelt. Dies erreicht er durch einen sehr assoziativen Montagestil, der einem kontingenten Verknüpfungsprinzip verpflichtet ist, das die kohärente Handlungsrekonstruktion auf intelligible Weise ungemein erschwert, ja unmöglich macht.

Auch „A Hidden Life“ folgt den pantheistischen Ansprüchen Malicks vollends: Der Film ist keine Meditation im Sinne der inneren Entleerung, sondern vielmehr eine Form des filmischen Gebets, er adressiert eine intensive Befragung des Selbst und des Kosmos in inniger Verbindung mit allem. Auch Jägerstätter ist ein Suchender, ein Fragender, der sich mit der totalitären Ideologie des Nationalsozialismus nicht identifizieren kann – seine Ratlosigkeit kommt da zum Ausdruck, wo Malick den Off-Kommentar über die Bilder legt.

Die Idee der Transzendenz, die im Fluss der Bilder und Töne angestrebt wird, kann mit der strengen NS-Ästhetik aus geraden Linien und uniformierten Menschenmassen nicht harmonieren. Der Idee des Selbstopfers gilt hier das Augenmerk, für das die Nazis kein Verständnis, keine Auffassungsgabe haben. Jägerstätter findet seine Resistenz und Resilienz im Göttlichen des Pantheismus, die die ganze Welt, besonders die Natur anbieten kann. Malick ist förmlich bestrebt danach, diesen Landschaften etwas Geistliches einzuverleiben. Darin liegt ja die Wesensart des Pantheismus: Es geht um das Übergreifende, das Göttliche als Prinzip, das sich in allem Sein manifestiert.

Die Suchbewegung als Angebot

In Malicks Filmen geht es immer um das große Ganze, es ist die Bedingung sine qua non für den Filmemacher; immer ist da der Wille spürbar, das Kleine und das Große im Sinn des pantheistischen kosmischen Weltbildes allumfassend festzuhalten. Natürlich müssen in diesem Zuge die großen Themen, die großen Sinnfragen des Lebens adressiert werden. Tatsächlich lässt sich sagen, dass in der totalen Ablehnung von Malicks spirituellen Befragungen, die immer nur ein Angebot an das Publikum sein können und sich konsequent als solche verstehen, die Grundeinstellung geschaffen ist, sich über Malick zu mokieren.

Für die anderen wird gerade dies immer die Magie der Filmkunst von Terrence Malick bleiben; seine Virtuosität liege gerade in dem Umstand, mit den medialen Eigenschaften des Films, den Bildern und den Tönen diese Übertragungsleistung zu vollziehen. Er vermittelt seinem Publikum diese Angebote an Spiritualität, die dedizierte Annäherung an ‚das Heilige‘ sind, nicht in einem religiös-christlichen, sondern in einem allgemeinen philosophischen Sinn. An Malick scheiden sich freilich die Geister, die Positionen sind unvereinbar. Diese Kluft in der filmkritischen Rezeption um Malick ist so unüberbrückbar, wie das Streben nach dem Spirituellen der Filmfiguren Malicks niemals manifest werden kann. Es sind Suchbewegungen.

Wer ist Terrence Malick? (Teil 2)

Der erste der zwei Teile dieser Serie von Marc Trappendreher erschien in der Ausgabe vom Freitag.