ÖsterreichUntauglicher FPÖ-Reinwaschungsversuch mit Historikerbericht

Österreich / Untauglicher FPÖ-Reinwaschungsversuch mit Historikerbericht
Thomas Grischany, Historiker aus Österreich, spricht während einer Pressekonferenz der FPÖ zur Veröffentlichung des Historikerberichtes Foto: Herbert P. Oczeret/APA/dpa

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Die FPÖ will ihr von vielen braunen Flecken ramponiertes Image mit einem Historikerbericht weißwaschen. Es funktioniert wie in der Waschmittelwerbung: Die verspricht auch mehr, als sie hält.

Wer einen Tag vor dem Heiligen Abend der Öffentlichkeit einen 700-Seiten-Wälzer über die Geschichte einer Partei präsentiert, der hat kein wirkliches Interesse, damit groß in die Medien zu kommen. An diesem Tag erheben sich alpenrepublikanische Leitartikler über die Niederungen der Tagespolitik und verfassen weihnachtliche Nachdenklichkeits-Kommentare, in denen es um Gott und die Welt und ums große Ganze geht. Die Redaktionen sind urlaubsbedingt schon dünn besetzt und wissen: Wenn heute das Christkind kommt, will außer ein paar politischen Feinspitzen sicher niemand darüber diskutieren, woher die FPÖ und ihre Gründerväter weiland gekommen sind. Nach den Weihnachts- und Neujahrsfeiertagen wiederum dürfte ein Zukunftsthema die Aufmerksamkeit vom Vergangenen ablenken: Aller Voraussicht nach werden ÖVP und Grüne eine Koalitionsregierung präsentieren – und wenn die Verhandlungen doch auf den letzten Meter scheitern, wird erst recht kaum Raum für großartige Betrachtungen der FPÖ-Geschichte bleiben.

PR-technischer Schiffbruch

Natürlich weist FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker den Verdacht solcher Überlegungen zurück, als er in Wien zur mehrfach verschobenen Präsentation des Berichts der Historikerkommission schreitet. Der gewählte Termin sei weder eine „Schikane der Journalisten“ noch ein „taktisches Manöver“, beteuert derselbe Mann, der bis vorgestern erklärt hatte, warum sich eine Veröffentlichung des Berichtes heuer leider nicht mehr ausgehen werde.

Im August schon hatte man eine 32-seitige Kurzfassung des damals noch 1.100 Seiten umfassenden Rohberichtes veröffentlicht – und damit wenige Wochen vor der Nationalratswahl PR-technisch Schiffbruch erlitten. Es hagelte nicht nur von außen Kritik an dem Mini-Exzerpt. Selbst einige der Autoren distanzierten sich davon. Bei der Zusammenfassung sei „vieles aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt wiedergegeben worden“, ärgerte sich etwa der Wiener Geschichtswissenschaftler Michael Wladika. Dem ehemaligen Wiener Schulratspräsidenten Kurt Scholz, einem Sozialdemokraten, war es überhaupt plötzlich unangenehm, von der FPÖ als „SPÖ-affiner“ Autor, also quasi als rotes Feigenblatt, präsentiert zu werden. Er habe dem Vorsitzenden der Historikerkommission, dem sehr FPÖ-affinen Wilhelm Brauneder, lediglich vor eineinhalb Jahren einen Beitrag abgeliefert, aber seither nichts mehr gehört. Trotzdem prangt Scholz’ Name auch jetzt neben 15 weiteren Autoren auf der Titelseite des Berichts.

Bisschen Asche aufs Haupt …

Die einleitenden Worte der neuen FPÖ-Spitze spiegeln auch die Rollenverteilung bei den Rechtspopulisten wider: Parteichef Norbert Hofer gibt den Konzilianten, der auch ein bisschen Asche aufs Haupt streut, weil sich das angesichts der Verflechtungen zwischen alten bzw. neuen Nazis und der FPÖ ohnehin nicht vermeiden lässt.

„Wir sind gewillt, das Positive fortzuführen, uns weiterzuentwickeln, Fehler zu korrigieren und uns für das zu entschuldigen, was unentschuldbar erscheint“, schreibt Hofer, erhebt aber den Anspruch, die 1955 aus dem Nazi-Sammelbecken Verband der Unabhängigen (VdU) hervorgegangene FPÖ viel tiefer und positiver in der Geschichte zu verorten: „Unsere Ursprünge reichen bis in die Freiheitsbewegung von 1848 zurück“, schlägt Hofer einen Bogen von der 1848-Revolution zum ersten Satz des FPÖ-Programms: „Freiheit ist unser höchstes Gut.“

Sein Stellvertreter Herbert Kickl, der vor dem Ibiza-Skandal als Innenminister und nun als FPÖ-Fraktionschef im Parlament der Mann fürs Grobe war bzw. ist, schlägt andere Töne an. Er attackiert in seinem Vorwort „linke Medien und politische Mitbewerber, denen wir es nie recht machen können, es sei denn, wir lösen nach erfolgter Selbstgeißelung die Partei auf“. Diesen absurden Gefallen werde man „ihnen aber sicher nicht tun“, so Kickl, der SPÖ und Grüne zur Aufarbeitung ihrer „linksextremen Vergangenheit“ auffordert und den früheren Koalitionspartner ÖVP zur Untersuchung, wie deren Gründerväter in der Ersten Republik die „Demokratie zu Grabe getragen hätten“.

… und täglich grüßt das Opferlamm

Die anderen haben auch Dreck am Stecken und im Übrigen ist die FPÖ Opfer linkslinker Propaganda. Dieser in der populistischen DNA festgeschriebene Rechtsfertigungscode findet sich auf vielen Seiten des Historikerberichtes. Auch beim eigentlichen Anlassfall, der Nazi-Liederbuch-Affäre um den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer.

Anfang 2018 war kurz vor der Landtagswahl aufgeflogen, dass es bei der Burschenschaft Germania, deren Vize-Chef Landbauer war, ein Liederbuch mit antisemitischen und nazistischen Strofen wie dieser gegeben hatte: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.’“ Die längst bekannte Verteidigungsstrategie führt auch der Historikerbericht fort: Udo Landbauer sei bei der Erstellung des Liederbuches erst elf Jahre alt gewesen und könne daher mit diesen Texten nichts zu tun haben. Während seiner Zeit bei der Burschenschaft habe er die umstrittenen Texte, weil schon geschwärzt, nicht gesehen. Die Staatsanwaltschaft habe ein Verfahren eingestellt. Fazit des Berichtes: „Es wurde offensichtlich und mit extremer Kraft versucht, Udo Landbauer zu diskreditieren und seine Zukunft – wie auch die seiner Familie – zu zerstören.“ Ganz genau hinschauen konnten die Autoren des Berichtes allerdings gar nicht, da die schlagenden Burschenschaften bei aller Freundschaft zu FPÖ ihre Archive nicht zu öffnen bereit waren.

Der Mangel an juristisch verwertbaren Beweisen wird auch in Bezug Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache zum politischen Vollwaschmittel umfunktioniert. Seine Nähe zu früheren Neonazis, seine wehrsportähnlichen Paintballspiele und/oder seine als Neonazi-Gruß interpretierte „Bierbestellung“ mit drei ausgestreckten Fingern waren strafrechtlich nicht fassbar, weshalb der Historikerbericht auch Strache in die Opferrolle rückt. Als Nachweis der Ungerechtigkeit aller Unterstellungen werden Israel-freundliche Presseaussendungen des einstigen FPÖ-Chefs abgedruckt, in denen dieser dem jüdischen Staat nach einem Angriff im Gaza-Streifen das Recht auf Selbstverteidigung zubilligt.

Einzelfälle ausgeklammert

Nachgewiesen wird auch, dass die FPÖ formell „eindeutig keine Nachfolgerin der NSDAP“ ist. Das hatte freilich auch niemals jemand ernsthaft behauptet. Das Dauerproblem der FPÖ waren vielmehr die unzähligen Einzelfälle mit eindeutig antisemitischen bzw. antisemitisch konnotierten Wortmeldungen oder Handlungen von mehr oder weniger hochrangigen Funktionären. Doch was sagte der Historikerbericht dazu? „Die ‚Einzelfälle‘ hingegen wurden bewusst ausgeklammert, da es sich dabei um Tagespolitik handelt, für welche die Partei zuständig ist.“ So werden die braunen Flecken wohl nie von der FPÖ-Weste gewaschen …