„Krankheiten kennen keine Grenzen“

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Von Laurent Graaff

Die „ALAN – Maladies rares Luxembourg“ feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Das Tageblatt hat sich im Vorfeld des Internationalen Tages der seltenen Krankheiten
(28. Februar) mit Marc Ries, dem Direktionsbeauftragten der Vereinigung, unterhalten.

Tageblatt: Rund 30.000 Menschen haben hierzulande eine seltene Krankheit – eine enorme Anzahl. Wie steht Luxemburg im internationalen Vergleich da?

Marc Ries: Experten schätzen, dass europaweit etwa 30 Millionen Menschen mit einer seltenen Krankheit leben, was etwa 30.000 Menschen in Luxemburg entspricht. Dies sind aber nur Schätzungen, da es in vielen Ländern noch kein Register für seltene Krankheiten gibt und daher auch keine zuverlässigen epidemiologischen Daten. Auch in Luxemburg noch nicht.
Dies soll sich aber mit dem nationalen Plan für seltene Krankheiten, der noch dieses Jahr vorgestellt werden soll, ändern. Der Plan schafft einen rechtlichen Rahmen für die vielen Facetten der seltenen Krankheiten. Er umfasst neben dem Register die medizinische Versorgung, eine Informationsplattform, die Forschung und die psychosoziale Betreuung.

Was kann man sich unter einer seltenen Krankheit vorstellen?

ALAN

Die „ALAN – Maladies rares Luxembourg“ wurde 1998 gegründet. Ihr Ziel war es, Personen mit neuromuskulären Erkrankungen und ihren Familien zu helfen. Im Jahr 2005 begann der Verein dann aber damit, alle Personen, die an einer seltenen Krankheiten leiden, und ihre Angehörigen zu unterstützen. Die Vereinigung organisiert in diesem Rahmen jede Menge Aktivitäten. Das Hauptziel von ALAN ist in diesem Zusammenhang die Verbesserung der Lebensqualität seiner Mitglieder.
Aktuell zählt der Verein über 400 Mitglieder, die meisten davon haben eine seltene Krankheit oder sind Angehörige, freiwillige Helfer und Förderer
– rh

Es gibt zwischen 6.000 und 8.000 verschiedene seltene Krankheiten mit sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern. Sie verlaufen chronisch, können so ziemlich jedes Organ betreffen und lebensbedrohlich sein. Am häufigsten begegnen wir neurologische, neuromuskuläre und autoimmune Krankheiten. Mit einer seltenen Erkrankung zu leben, ist ein fortwährender Lernprozess und eine ständige Herausforderung für die Betroffenen, deren Familien, Freunde, Pfleger sowie für das gesellschaftliche Umfeld.

Wie werden die Menschen bei der ALAN betreut?

Die ALAN leitet seit Jahren eine psychosoziale Beratungsstelle für Menschen mit seltenen Krankheiten und deren Angehörige. Unsere Sozialarbeiter und Psychologen bieten diesen Menschen administrative, soziale und psychologische Unterstützung an. Viele der Betroffenen kämpfen mit denselben Problemen: langes Warten auf die richtige Diagnose, Informationsmangel, schwierige Koordination zwischen den zuständigen Instanzen des Gesundheits- und Sozialsystems, umständliche Verwaltungsverfahren, gesellschaftliche Isolation und mangelnde psychologische Unterstützung. Über die Jahre ist die Anfrage an den Beratungsdienst kontinuierlich gewachsen. 2017 haben wir 58 Prozent mehr Beratungsgespräche geführt als noch im Jahr zuvor.

Welche Rolle spielt die ALAN?

Neben dem Beratungsdienst bietet die ALAN Sport- und Freizeitaktivitäten für ihre Mitglieder an, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit seltenen Krankheiten zugeschnitten sind, wie therapeutisches Reiten oder auch Schwimmen im Rehazenter. Außerdem vertritt die ALAN das Interesse von Menschen mit seltenen Krankheiten auf internationaler Ebene und leistet in Luxemburg intensive Aufklärungsarbeit. Daher organisieren wir regelmäßig Sensibilisierungsaktionen wie unsere jährliche Quiz-Veranstaltung am Internationalen Tag der seltenen Krankheiten.

Was sind ihre Herausforderungen?

Im Interesse der Betroffenen würden wir uns wünschen, dass die administrativen Abläufe vereinfacht und beschleunigt werden und dass jeder die Hilfe bekommt, die er braucht – sei es nun medizinische Versorgung und Pflege, psychologische Unterstützung, finanzielle oder soziale Hilfe. Außerdem hoffen wir, dass noch mehr Forschung im Bereich der seltenen Krankheiten betrieben wird, dass wir bald ein Register für seltene Krankheiten haben und dass sich Luxemburg gut mit den Europäischen Referenznetzwerken (ERNs) für seltene Krankheiten vernetzt. Hierbei handelt es sich um Netzwerke von Fachzentren, Gesundheitsdienstleistern und Laboren mit grenzübergreifender Orientierung.
Viele dieser Herausforderungen werden vom nationalen Plan für seltene Krankheiten in Angriff genommen. Wir setzen daher große Hoffnungen in den Plan und gehen davon aus, dass eine effiziente und schnelle Umsetzung des Plans die Situation vieler Betroffenen auf lange Sicht verbessern wird.

Nimmt die Anzahl an seltenen Krankheiten eigentlich zu? Und wenn ja, warum?

Dadurch, dass sich die Diagnosemethoden verbessern, nimmt die Zahl der bekannten seltenen Krankheiten ständig zu. Es werden fast jede Woche neue seltene Krankheiten in der medizinischen Literatur beschrieben. Leider erhalten trotzdem ungefähr 15 Prozent der Menschen mit seltenen Krankheiten nie eine Diagnose, was für die Betroffenen eine enorme Belastung darstellt und oft einer spezifischen psychologischen und/oder administrativen Unterstützung bedarf.

Wie ist es um die Forschung bestellt?

Die Forschung hat in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Gensequenzierung wichtige Erfolge verzeichnen können. Schnellere und präzisere Diagnosen sind jetzt öfter möglich, auch in den Bereichen der Behandlung und der Prävention gibt es Lichtblicke. Leider bleiben aber noch sehr große Lücken vorhanden, denn für nur fünf Prozent der seltenen Krankheiten gibt es erfolgreiche Behandlungen.

Gibt es hierzulande einen Menschen, der als Einziger eine ganz spezifische seltene Krankheit hat?

Ja, es gibt Krankheiten, die so selten sind, dass in Luxemburg nur eine Person davon betroffen ist. Das zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern ist. Krankheiten kennen nämlich keine Grenzen.