Fast wie im Gefängnis? Luxemburger Studenten starten Sensibilisierungskampagne in der „Fixerstuff“

Fast wie im Gefängnis? Luxemburger Studenten starten Sensibilisierungskampagne in der „Fixerstuff“

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In der route de Thionville, direkt an der Büchler-Brücke, die das Bahnhofsviertel mit Bonneweg-Süd verbindet, steht ein graues, zweistöckiges Gebäude. Viele wissen, dass es existiert, laufen jedoch mit gesenktem Blick schnell daran vorbei. Die Rede ist vom Drogenhilfezentrum Abrigado. Fünf Studentinnen der Universität Luxemburg arbeiten derzeit an einem Projekt, um die Bürger des Landes hinsichtlich der Fixerstube und ihrer Besucher zu sensibilisieren.

Von Lisa Rock

Eine Mauer als Sichtschutz: Im November 2017 wurde zwischen dem Drogenhilfezentrum Abrigado und der A3 in Luxemburg-Stadt eine schwarze Mauer gebaut.

Die Begründung damals: Die Autofahrer sollten von dem Anblick der Obdachlosen und Drogenkonsumenten verschont bleiben. Nun wurde vor zwei Monaten eine weitere Wand errichtet. Diesmal vor dem Abrigado, ab der Seite zur route de Thionville. Einerseits bietet dieser zweite Sichtschutz den Besuchern der Fixerstube Privatsphäre, andererseits wirkt die schwarze Wand befremdend und lässt den Ort wie ein Gefängnis erscheinen.

Yana Weis, Liz Klensch, Meggie Jakoby, Josie Kaiser und Samantha Moos hatten die Idee, diese Sichtschutz-Mauer gemeinsam mit den Besuchern des Abrigado zu verschönern.

Projekte in Bonneweg

Die fünf jungen Frauen sind dabei, ihren Bachelor in Sozial- und Erziehungswissenschaften an der Universität Luxemburg zu machen. Ihr Studium beinhaltet unter anderem das Fach Örtlichkeitsarbeit, in dem sämtliche Studenten in Teilen des Viertels Bonneweg, die als eher heruntergekommen und unsicher gelten, ein Projekt in die Wege leiten sollen. Ziel ist es, den ausgewählten Ort des Viertels zu verschönern und zum Besseren zu verändern.

Der Aufbau der Mauer vor dem Drogenkonsumraum hat die Aufmerksamkeit der Studentinnen auf sich gezogen und sie auf die Idee gebracht, gemeinsam mit der Asbl. Inter-Actions, die sich um die Probleme des Bahnhofsviertels in Luxemburg-Stadt kümmert, im Abrigado eine Sensibilisierungskampagne zu starten.

Bilder, Texte, Gedichte

Das Konzept: Die Besucher der „Fixerstuff“ malen Bilder oder schreiben Texte und Gedichte auf, die dann an die äußere Fassade der Mauer zur Straße hin aufgehängt werden. Das benötigte Material wie Blätter, Farben und Buntstifte wird von Inter-Actions gespendet. „Die Leute von außen sollen merken, dass die Besucher des Drogenhilfezentrums auch Menschen sind. Die Bilder und Gedichte sollen zeigen, dass sie ebenfalls Gefühle besitzen und auch etwas mitzuteilen haben. Wir wollen ihnen eine Stimme geben“, erklärt Yana Weis. Außerdem haben die Obdachlosen und Drogenkonsumenten anhand dieser Aktion die Möglichkeit, die Mauer so zu gestalten, wie es ihnen gefällt, und können jeden Tag etwas sehen, das sie eigenhändig geschaffen haben.

Als die fünf Studentinnen ihren Freunden von ihrer Kampagne erzählten, waren die Reaktionen anfangs eher negativ. Sie bekamen Sätze wie „Was macht ihr dort bei dem Abschaum?“ und „Traust du dich wirklich dorthin?“ zu hören. „Die Leute verurteilen immer sehr schnell, manchmal unbewusst und automatisch. Das habe ich auch bei mir selbst bemerkt. Doch sobald man hier ist, fällt einem auf, dass die Leute hier auch nur Menschen sind“, erzählt Meggie Jakoby. Die Studentinnen hatten keine Vorurteile, waren jedoch ein wenig skeptisch, wie die Besucher des Abrigado auf sie reagieren würden und wie motiviert sie mit ihnen zusammenarbeiten würden. Doch bereits am ersten Tag der Sensibilisierungskampagne sind bei den Studentinnen alle Zweifel verschwunden. Die fünf hatten in der Fixerstube eine Verabredung, jedoch waren die Türen verriegelt. Als die Drogenkonsumenten, die sich draußen aufhielten, merkten, dass die jungen Frauen nicht ins Gebäude kamen, suchten sie mit ihnen nach einer Eingangstür, die nicht verschlossen war. Danach fingen sie sogar an zu rufen, damit die Arbeiter des Abrigado sie hören und den Studentinnen die Tür öffnen.

Positive Erfahrung

„Wir haben wirklich noch keine einzige schlechte Erfahrung im Abrigado gemacht. Die Menschen hier sind noch nie unfreundlich zu uns gewesen“, merkt Yana an. „Am Anfang waren die Leute etwas uninteressiert am Malen oder Schreiben, doch nachdem wir ein paar Mal hier waren, hatten die meisten dann doch Lust, etwas zur Verschönerung der Mauer beizutragen“, erläutert Josie Kaiser. Die Kampagne der Studentinnen läuft bereits seit drei Wochen. Sie besuchen die „Fixerstuff“ ein- bis zweimal die Woche.

Am 8. Januar geht ihre Sensibilisierungskampagne in die zweite Phase. An diesem Tag werden sie einen Stand auf der anderen Straßenseite des Drogenhilfezentrums aufbauen. Die fünf haben vor, den Passanten Kaffee, Tee und Kuchen anzubieten, ihnen die Bilder der Drogenkonsumenten und Obdachlosen zu zeigen und ihnen so zu vermitteln, dass es sich bei diesen Menschen keinesfalls um Pöbel handelt. Sie wollen die Sicht, welche die meisten auf den Drogenkonsumraum und seine Besucher haben, zum Positiven verändern. „Mir ist es wichtig, dass die Leute von draußen sehen, dass hinter der Mauer Menschen wie du und ich sind“, betont Liz Klensch.

Am Freitag sind die Studentinnen auf Nachfrage der Besucher mit Spraydosen und A1-Blättern im Abrigado aufgetaucht. Alle waren begeistert und wollten etwas sprayen. Tatsächlich sind die fünf dabei, das Ziel ihrer Kampagne, das die Universität ihnen gesetzt hat, zu verwirklichen. Sie verschönern und verändern den Platz mit den Bildern, und hoffentlich verändern sie auch das Bild der „Fixerstuff“ in den Köpfen der Bürger.