DeutschlandDiplomatie auf Hochtouren: Treffen der G7- und NATO-Außenminister

Deutschland / Diplomatie auf Hochtouren: Treffen der G7- und NATO-Außenminister
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (l.) mit dem stellvertretenden NATO-Generalsekretär Mircea Geoana (M.) und US-Außenminister Antony Blinken beim Treffen der NATO-Außenminister in Berlin Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

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In Berlin kommen die 30 NATO-Außenminister angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu informellen Beratungen zusammen. Es geht auch um Erweiterungspläne. Die Türkei hat Bedenken. Doch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock versichert Finnland und Schweden: „Wenn ihr bereit seid, sind wir es auch.“

Hereinspaziert. Dann also „herzlich willkommen!“ Die Nachricht aus Helsinki hat Annalena Baerbock gerne gehört. Finnland will vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Jahrzehnten der Neutralität Mitglied der NATO werden. Baerbock hatte schon am Vortag zum Abschluss des G7-Treffens in Weissenhaus in Schleswig-Holstein betont, dass sie den Beitrittswunsch von Finnland wie auch von Schweden „sehr, sehr unterstützen“ werde. Die NATO sei „ein Bündnis der offenen Türen“. Nun vermeldet die Regierung von Ministerpräsidentin Sanna Marin: NATO, wir kommen! Schweden will auch. 29 der insgesamt 30 NATO-Mitglieder dürften diesen Schritt gleichfalls begrüßen – mit einer Ausnahme: Die Türkei hat Vorbehalte gegen einen Beitritt von Finnland und vor allem von Schweden.

Es geht in diesen Tagen Schlag auf Schlag. Die Diplomaten des deutschen Auswärtigen Amtes dürften ein Wochenende erlebt haben, das es so bislang selten gab: Erst G7-Außenminister in Weissenhaus, dann NATO-Außenminister in Berlin. Baerbock hatte geladen und es stand nichts weniger auf dem Programm als eine mögliche Erweiterung des westlichen Verteidigungsbündnisses.

In Anbetracht des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sind die skandinavischen Länder Finnland und Schweden entgegen ihrer historischen Tradition der Bündnisfreiheit bereit, eine Mitgliedschaft in der NATO zu beantragen. In beiden Ländern ist durch die russische Bedrohung die Stimmung zugunsten einer NATO-Mitgliedschaft gekippt. Finnland trennt eine rund 1.300 Kilometer lange Grenze von Russland.

Besorgt über Sicherheitslage

Baerbock stellt beiden Ländern am Sonntag zum Auftakt des NATO-Treffens eine rasche Zustimmung Deutschlands in Aussicht. Sollten sich beide Länder für eine NATO-Mitgliedschaft entscheiden, sei ihr sehr wichtig, „dass wir in diesem besonderen, für diese Staaten wirklich historischen Moment keine Hängepartie erleben sollten“, sagt die Grünen-Politikerin. „Deswegen haben wir als Bundesrepublik, deswegen haben wir als Bundesregierung alles dafür vorbereitet, einen sehr, sehr schnellen Ratifizierungsprozess zu machen.“ Baerbock weist auf die Tradition Finnlands und Schwedens hin und betont, die Menschen in beiden Ländern dächten jetzt anders: „Jetzt müssen wir Teil der NATO werden, weil Russland uns in die NATO hineingepusht hat.“ Zunächst müssen alle 30 NATO-Staaten dem Beitritt Schwedens und Finnlands zustimmen, dann müssen die Parlamente der Mitgliedsländer die Aufnahme ratifizieren.

Die Regierungen in Helsinki und Stockholm sind allerdings besorgt über die Sicherheitslage ihrer Länder in der Zeit zwischen Antrag auf Beitritt und dem Beitritt selbst. In dieser Phase ist die Beistandspflicht laut Artikel 5 des NATO-Vertrags offiziell noch nicht in Kraft. Baerbock betont, es sei wichtig, dass es in diesem Moment „keine Hängepartie“ gebe und der Beitritt beider Länder von allen NATO-Mitgliedern schnell bestätigt werde. Die deutsche Außenministerin betont: „Finnland und Schweden sind nicht nur Partner und Freunde, sondern Teil der europäischen Familie. Die Türen der NATO sind für sie weit geöffnet.“ Baerbock versichert Finnland und Schweden: „Wenn ihr bereit seid, sind wir es auch.“ Beide skandinavischen Staaten seien gewissermaßen schon Mitglieder, bislang nur „ohne Mitgliedsausweise“.

Türkei signalisiert Gesprächsbereitschaft

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stört sich allerdings an den Beitrittswünschen von Schweden und Finnland, weil beide Staaten nicht hart genug gegen PKK-Anhänger und die Gülen-Bewegung in ihren Ländern vorgingen. Skandinavische Länder seien geradezu „Gasthäuser für Terrororganisationen“ wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, so Erdogan. Baerbock ist darüber irritiert. Staaten könnten ihre Bündnisse frei wählen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu signalisiert in Berlin aber Gesprächsbereitschaft.

Die G7-Außenminister hatten bei ihrem Treffen am Weissenhäuser Strand erneut ihre Solidarität und ihre Unterstützung für die Ukraine betont. So forderten sie in ihrer Abschlusserklärung Russland zu einem unverzüglichen Ende des Krieges auf. Falls nicht, würde Russland wirtschaftlich wie politisch weiter isoliert. Baerbock macht deutlich, dass etwa die G20, wo Russland noch Mitglied ist, als „Ort des Austauschs“ in einer schwierigen Lage gebracht werde. Allerdings: „Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir zusammenkommen können, ohne dass wir uns mit demjenigen an einen Tisch setzen, der diese internationalen Zusammenkünfte im wahrsten Sinne des Wortes gerade bombardiert.“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, zugeschaltet aus Brüssel, sagte am Sonntag mit Blick auf Russland, es sei den Truppen von Wladimir Putin nicht gelungen, die Hauptstadt Kiew zu erobern, aus der ukrainischen Millionenstadt Charkiw zögen sie sich zurück, im Donbass hätten sie sich „festgefahren“. Stoltenberg: „Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen.“ Baerbock betont: „Uns allen ist bewusst: Dieser Krieg wird so schnell nicht zu Ende sein.“ Dies zeige, welchen Wert und welche Sicherheit die Allianz tatsächlich biete. Die NATO sei „aktueller und wichtiger denn je“.

Ukraine-Krieg: Russischer Vormarsch im Osten ausgebremst

Die ukrainischen Truppen haben mit heftigem Widerstand den russischen Vormarsch im Osten des Landes abbremsen können, die Truppen Moskaus halten den Druck dennoch hoch. „Wir bereiten uns auf große Offensiven in Sewerodonezk und an der Straße zwischen Lysytschansk und Bachmut vor“, teilte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, mit. In der Nacht zum Sonntag zerstörte die russische Armee nach eigenen Abgaben mehrere militärische Ziele in der Region Donezk. Bisherige Versuche zur Einkesselung von Sewerodonezk hätten die Soldaten zurückgeschlagen, erklärte Gajdaj. Er beschrieb allerdings die zunehmend schwierige humanitäre Lage in der Region Luhansk: „Es gibt absolut kein Gas, kein Wasser und keinen Strom“, teilte er am Samstagabend mit. An der Grenze zur Region Donezk, auf der Seite der Stadt Popasna, werde heftig gekämpft. Nahe des Dorfes Bilohoriwka versuchen die russischen Streitkräfte seit drei Wochen erfolglos, einen Fluss zu überqueren. Nach Angaben des Gouverneurs erlitten die russischen Truppen schwere Verluste an Soldaten und Ausrüstung. Aus abgehörten Telefongesprächen habe die ukrainische Seite erfahren, „dass ein ganzes russisches Bataillon sich geweigert hat, anzugreifen, weil sie gesehen haben, was passiert“. Luftaufnahmen zeigten Dutzende von zerstörten Panzerfahrzeugen am Flussufer sowie zerstörte Pontonbrücken. Die russischen Truppen hätten schwere Verluste erlitten, nachdem die ukrainischen Streitkräfte ihren Versuch der Überquerung des Flusses zurückgeschlagen hätten, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Das Manöver spreche „für den Druck, unter dem die russischen Befehlshaber stehen, ihre Operationen in der Ostukraine voranzubringen“. Nach Angaben aus Moskau wurden in der Nacht zum Sonntag mehrere Hochpräzisionsraketen auf zwei ukrainische Kommandopunkte und vier Artilleriemunitionslager in der Nähe von Saporischschja, Konstantinowka und Nowomichailowka in der Region Donezk abgefeuert. Die russische Luftwaffe habe zudem zwei Raketenwerfer der S-300-Systeme und ein Radarsystem in der Region Sumy zerstört, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Russische Flugabwehrsysteme hätten zudem 15 ukrainische Drohnen in den Regionen Donezk und Luhansk vernichtet. Der britische Militärgeheimdienst ging von herben Verlusten Moskaus in der Ostukraine aus, weshalb die Offensive „an Schwung verloren“ habe. Russische Truppen hätten es versäumt, wesentliche Gebietsgewinne zu erzielen, wodurch ihr Schlachtplan „erheblich in Verzug“ geraten sei, hieß es aus Geheimdienstquellen. Russland habe „wahrscheinlich Verluste von einem Drittel der Bodenkampftruppe erlitten, die es im Februar eingesetzt hatte“, verlautet weiter aus diesen Quellen. Unter den derzeitigen Bedingungen sei es unwahrscheinlich, dass Russland sein Vormarschtempo in den nächsten 30 Tagen erheblich beschleunigen wird. Erfolge meldete die Ukraine unterdessen aus dem Norden des Landes: Die russischen Streitkräfte mussten sich nach Angaben des ukrainischen Generalstabs aus mehreren Ortschaften nordöstlich der Großstadt Charkiw zurückziehen. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirilo Budanow, sagte einen militärischen „Wendepunkt“ in dem Konflikt für die zweite Augusthälfte voraus. Noch vor Jahresende werde der Krieg mit einer Niederlage für Russland enden, erklärte er. (AFP)

JJ
16. Mai 2022 - 10.31

Die PKK ist aber nur in der Türkei verboten.Oder?