Von Silicon Valley nach LuxemburgDie unterschätzte Macht der 3D-Scanner: Das Unternehmen Artec 3D

Von Silicon Valley nach Luxemburg / Die unterschätzte Macht der 3D-Scanner: Das Unternehmen Artec 3D
Diese tragbaren 3D-Scanner werden in Luxemburg-Hamm hergestellt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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3D-Printer sind ein anerkannter Faktor der künftigen industriellen oder logistischen Entwicklung der Weltwirtschaft. Weit weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht der 3D-Scanner. Doch auch dessen potenzielle Möglichkeiten sind schier überwältigend. Zu den führenden Firmen in diesem Bereich zählt ein Unternehmen aus Luxemburg.

Mit Artec 3D hat ein Unternehmen der besonderen Art ihren Hauptsitz in Luxemburg-Stadt (Hamm). Zu ihren Kunden zählen bekannte Konzerne wie Google, Facebook, Ikea, Volkswagen, ArcelorMittal, Nvidia, Tesla, Apple, Disney, Boeing und SpaceX.

Gegründet wurde Artec3D vor 15 Jahren in Kalifornien. Im Silicon Valley „hatten wir damals unsere Büros neben denen von Intel“, erinnert sich Artyom Yukhin, Gründer und Geschäftsführer, im Gespräch mit dem Tageblatt, an die Anfänge. Kurz danach, 2009, hatte die Firma ihren ersten tragbaren 3D-Hand-Scanner fertig entwickelt.

Alle Auto- und alle Smartphone-Hersteller sind unsere Kunden

Artyom Yukhin, Gründer und Geschäftsführer

Die Anwendungsmöglichkeiten sind so groß, wie die Fantasie erlaubt. Das gehe vom 3D-Scannen während archäologischen Ausgrabungen, über das digitale Festhalten des Ortes eines Verbrechens, bis hin zur Erhaltung des kulturellen Erbes, zu der Gestaltung von virtuellen Welten, und zur Erzeugung von Spezialeffekten für Filme, erzählt Yukhin.

„Auch die Luxemburger Polizei nutzt unsere Scanner“, so der Firmengründer weiter. „Für Orthopädie-Firmen können wir den Rücken von Patienten scannen, und sie dann personalisierte Rollstühle bauen. Mit dem Scan können 3D-Modelle von großen Gebäuden, Autos oder Möbeln erstellt werden.“ Nutzen kann der Kunde sie dann für beispielsweise Druck, Messungen, Analysen und Design.

Ein 3D-Scan von Barack Obama

Einer der wohl bekanntesten Menschen, die bisher von einem der 3D-Scanner von Artec 3D gescannt wurden, ist der ehemalige US-Präsident Barack Obama. „Von jedem US-Präsidenten wird eine Gips-Maske angefertigt“, so der Firmengründer. „Für Obama war das einfacher als für seine Vorgänger. Er wurde einfach von uns gescannt.“ (Siehe Video unter dem Artikel auf tageblatt.lu)

Seit seinen Anfängen sei das Unternehmen seinen eigenen Weg gegangen, erzählt Yukhin weiter. Im Gegensatz zu der großen Mehrheit der ehrgeizigen Tech-Start-Ups habe man sich nicht auf die Suche nach Kapitalgebern, zur Finanzierung des Wachstums, gemacht. „Wir haben gleich angefangen mit Verkaufen.“ Da man jedoch zu klein war, um die spezialisierten Geräte weltweit selber zu verkaufen, hat man ein Netz von Verkaufs-Partnern aufgebaut.

Artyom Yukhin vor der Produktionslinie der 3D-Scanner in Hamm
Artyom Yukhin vor der Produktionslinie der 3D-Scanner in Hamm Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Zu dieser Zeit waren 60 Prozent unserer Kunden in Europa“, erzählt er weiter. Man war bereits dabei, die Eröffnung eines Büros in der Schweiz zu planen. Artyom Yukhin kannte das Land. Nach einem Studium in Optik, Elektronik und Computer Vision hatte er in der Schweiz bereits einmal ein Unternehmen gegründet und verkauft. Im Bereich der 3D-Gesichts-Erkennungstechnologie.

Dass er schlussendlich ins Großherzogtum kam, war dem Luxemburger Diplomaten Gaston Stronck zu verdanken. Dieser warb bei ihm für das Land und organisierte ein Treffen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Jeannot Krecké. Bereits 2010 eröffnete das Unternehmen dann ein Büro in Luxemburg. Etwas später folgte die Verlegung der Firmenzentrale.

Unterstützung durch Luxemburg im Ausland

„Es war meine beste geschäftliche Entscheidung“, so Artyom Yukhin weiter. „In Luxemburg erhielten wir viel Unterstützung. Man half uns bei der Eröffnung unserer Niederlassung in Shanghai.“ Auch bei der rezenten Eröffnung der neuen Niederlassung in Montenegro „war der Luxemburger Botschafter Philippe Donckel eine wirklich große Hilfe“.

Unsere Kunden sitzen gut verteilt zu je einem Drittel in Asien, Europa und Amerika. 45 Prozent der Kunden kommen aus der Industrie, 30 aus der Wissenschaft und 20 aus der Kunst.

Artyom Yukhin , Gründer und Geschäftsführer

Mittlerweile zählt die Unternehmensgruppe 250 Mitarbeiter, davon etwa 80 am Hauptsitz in Luxemburg. Dabei ist keine bloße Verwaltung in Hamm. Hier befindet sich die Produktionslinie für die spezialisierten Geräte. Genutzt werden „die gleichen Maschinen, die man auch zur Herstellung eines Smartphones braucht“, so Yukhin. Zudem wird hier geforscht und entwickelt. Die Mehrheit der Angestellten sind spezialisierte Ingenieure, darunter auch drei hochspezialisierte Luxemburger, die für diesen Job aus dem Ausland zurückgekehrt sind.

Für die Herstellung der Scanner braucht es Experten aus unterschiedlichen Bereichen 
Für die Herstellung der Scanner braucht es Experten aus unterschiedlichen Bereichen  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Insgesamt fünf unterschiedliche 3D-Scanner hat das Luxemburger Unternehmen aus Hamm heute im Angebot. Das geht von einem Gerät zum Scannen von sehr kleinen Objekten bis hin zu einem für große Gebäude oder Schiffe. Das Netz der Verkaufspartner ist mittlerweile auf 150 in 60 Ländern gewachsen. „Die müssen sich zertifizieren lassen, die Geräte warten können, und wir messen ihre Leistung“, so der Firmenchef. Oftmals handle es sich um Firmen, die ebenfalls Software oder 3D-Printer verkaufen.

Zu einem „Unicorn“ werden

Das Besondere an den 3D-Hand-Scannern des Unternehmens ist, neben der Möglichkeit, sie tragbar per Hand zu bedienen, die eigene Software. „Früher musste jedes 3D-gescannte Objekt mühsam mit Aufklebern beschriftet werden“, erinnert er sich. „Unsere Software, Mathematik und Optik haben den Unterschied gemacht.“ Die Software wird derweil ständig verbessert und steht nicht nur zum Kauf. Sie kann auch gemietet werden. „Das hilft, das Beste aus den Scannern herauszuholen“, so Artyom Yukhin. „Jedes Jahr liefern wir eine neue Software.“

Ein Journalist wird gescannt
Ein Journalist wird gescannt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Das Vorzeigeprodukt, der kabellose Scanner, besteht aus einem Projektor und einer Kamera. Hinten ist ein Touch-Screen-Monitor zur Steuerung des Geräts. Die Batterie hält acht Stunden. Zum Scannen muss man um das Objekt/oder die Person umhergehen, anzielen und scannen. Auf dem Bildschirm wird mit roter Farbe angezeigt, wo der Scan noch nicht vollständig ist. Dreht man das Objekt danach um und scannt unten weiter, dann erkennt das Programm die bereits gescannten Stellen.

In Zukunft möchte Yukhin den Wert des Unternehmens weiter steigern, es „zu einem Unicorn“ (ein Unternehmen, das eine Milliarde wert ist) werden lassen. Die Zahl der Mitarbeiter möchte er derweil, wenn möglich, nicht zu sehr wachsen lassen. Derzeit werden alle Gewinne in Forschung und Weiterentwicklung gesetzt. Unter anderem soll auch die Software weiter entwickelt werden. Und es wird nach weiteren Wegen gesucht, wie man all die gesammelten Daten noch nutzen kann.

Ukraine braucht wiederkehrende Einnahmen

Beschäftigen tut ihn derweil auch etwas anderes: Für viel Unmut, Unverständnis und Frust im Unternehmen hat der Krieg in der Ukraine gesorgt. Immerhin zählt die Gesellschaft Mitarbeiter aus 25 unterschiedlichen Ländern, darunter auch viele aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Das Thema wird nicht ignoriert. Es wird deutlich Stellung bezogen. Im Eingangsraum der Firma hängt die ukrainische Flagge.

„Das betrifft uns alle persönlich“, so Yukhin. „Die Familien sind betroffen. Leben sie noch? (…) Wir haben unsere Verkäufe in Russland eingestellt. Bereits 2014 hatten wir damit begonnen.“ Gleichzeitig hat sich das Unternehmen mit der Vereinigung LUkraine zusammengetan. „Bei jedem Euro, den einer unsere Mitarbeiter spendet, legen wir noch einen Euro drauf“, so der Firmengründer. Doch das reiche nicht. „Der Krieg ist noch nicht vorbei.“ Und auch wenn er nicht mehr ganz so präsent in den Medien wie anfangs sei, so brauchten die Opfer doch wiederkehrende Einnahmen. „So haben wir uns entschieden, ein Prozent vom Verkaufspreis eines jeden Scanners an LUkraine zu spenden. Unsere Kunden wissen das“, so Artyom Yukhin. Es stehe auf der Rechnung mit drauf. „Auch eine Bäckerei in Luxemburg macht das. Das ist ein gutes Beispiel für nachhaltige Hilfen.“

Scanner gegen Kriegsverbrechen

Von den vielen Millionen Menschen, die nun die Ukraine, oder auch Russland, verlassen mussten, hat das Unternehmen auch etwa 60 Hochqualifizierte (mit Familien) in Montenegro eingestellt. Im Gegensatz zu Luxemburg, wo es rund ein halbes Jahr dauere, um die notwendigen Papiere für Spezialisten zu erhalten, dauere die Beantwortung einer Arbeitserlaubnis in Montenegro nur drei Wochen. Bis Ende des Jahres hofft er auf 100 Mitarbeiter am neuen Standort, direkt an der Adriaküste.

Beschäftigen tut Artyom Yukhin mittlerweile auch das Thema Prothesen. Gerade im Krieg sei der Bedarf enorm. „Es geht um tausende Menschen, die Hilfe brauchen.“ Und für die Qualität von Prothesen sei die Personalisierung sehr wichtig, bemerkt er. Theoretisch könnte ein Patient auf dem Feld gescannt und dann eine Prothese in 3D geprintet werden.

Um zum Erhalt des kulturellen Erbes beizutragen, hat man nun einen Scanner gestiftet. Ein Scanner kostet etwa 30.000 Euro.

Auch bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen will Artec 3D helfen. „Es ist wie ein großer Tatort. Und wir können große Gegenden scannen. Man braucht kein spezielles Training und nicht einmal einen Laptop. Einer unserer Hand-Scanner reicht, und die Beweise sind dokumentiert. Die Zeit ist eingefroren und dem Richter kann das auch noch in einigen Jahren vorgelegt werden.“

Genutzt werden könnten diese Maschinen auch, um Smartphones herzustellen
Genutzt werden könnten diese Maschinen auch, um Smartphones herzustellen  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Videos:

3D-Scanner bei Kriminalfällen:

Das Scannen von Barack Obama: 

Die Aufarbeitung von Unfällen: