Die Geschichte der luxemburgischen Arbeitersiedlungen

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Die Häuser sind noch da, doch die Kolonie gibt es nicht mehr. Als Anfang des vorigen Jahrhunderts die Schmelz ihre Produktion aufnahm, fehlte es in der Gemeinde Differdingen vorne und hinten an Wohnraum. Die Einwohnerzahl der Kommune entwickelte sich explosionsartig. Zwischen 1900 und 1910 zogen 6.823 Menschen dorthin.

Von Roby Fleischhauer

Die Schmelz hatte das Problem schon sehr früh erkannt und sorgte selbst für Wohnungen für ihre Beschäftigten – zumindest für ihre Spezialisten.

Bereits nach 1897 begann die neue „Société anonyme des hauts fourneaux de Differdange“ unter ihrem Verwaltungsratspräsidenten Alexandre de Gerlache mit dem Bau von Vierer- und Doppelhäusern für Arbeiter, Werkmeister und höhere Beamte, und zwar in der Stahlstraße beim früheren Bahnhof. Die Werkshäuser in der Stahlstraße sind noch heute bewohnt. Sie weisen die für Industriegebäude typischen Backsteinverzierungen auf.

Kolonien im französischen Stil

Um eine bessere Belieferung der Hütte mit Koks zu gewährleisten, fusionierte das Werk im Jahr 1899 mit der Kohlengrube Dannenbaum in Bochum. Die neue Gesellschaft nannte sich nun „Aktiengesellschaft für Eisen- und Kohlenindustrie Differdingen-Dannenbaum“. Die Firma begann sofort mit dem Bau einer größeren Siedlung in Oberkorn. So entstand die „Kolonie Dannenbaum“. Inzwischen nannte sich die Gesellschaft „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-A.G.“ Sie baute im Jahre 1901, wiederum in Oberkorn, eine Siedlung von vier Straßen mit Doppelhaüsern und Einfamilienhäusern: Heute rue de l’Industrie, de la Sidérurgie, de la Métallurgie, du Travail.

Eine kleinere Kolonie entstand in der rue du Funiculaire. Im Jahre 1955 übernahm die Gemeinde die Koloniehäuser in Oberkorn mit ihren Straßen. Kleinere Werkssiedlungen gab es noch in der rue Dalscheid und der rue Laboulle (Stummenkolonie). In der rue Emile Mark auf Fousbann gab es die Beamtenhäuser für Schmelzbeamte. Alle diese Kolonienhäuser waren eher im Stil der deutschen Arbeiterhäuser gebaut. In Lasauvage entstand an 1880 ein ganzes Bergarbeiterdorf mit 70 Häusern, erbaut vom Grafen de Saintignon.

Es waren funktionelle Häuser mit Gärten, die es dem Bewohner erlaubten, Gemüse und Obst anzubauen sowie Kleinvieh zu züchten. Sie waren im Stil der französischen Arbeiterhäuser, der sogenannten „corons“, gebaut worden. Die Nachfolgerin des Grafen, das Rodanger Werk „Ougrée Marihaye“ (später MMRA) baute noch 42 Häuser hinzu. In den 60er Jahren verkaufte die MMRA die Häuser an die Bewohner für 100.000 bis 200.000 Franken pro Stück. Eine gute Gelegenheit für die Mieter, in den Besitz eines Hauses zu kommen – eine Katastrophe jedoch für das Industrieerbe.

Verlust und Erhalt des ursprünglichen Charmes

Die neuen Besitzer setzten Plastik, Aluminium, Rollläden und modernes Baumaterial ein, sodass das ursprüngliche Aussehen verloren ging. „Sites et Monuments“ versuchte in den 80ern, das ursprüngliche Aussehen wieder herzustellen. Das fand jedoch wenig Anklang bei den Bewohnern, die nicht einsahen, weshalb sie ihre Häuser noch einmal umbauen sollten.

Leider wurde auch beim Verkauf der Häuser in Differdingen durch das Werk nicht früh genug darauf geachtet, dass das ursprüngliche Aussehen erhalten bleibt. Die neuen Besitzer gestalteten ihre Häuser, wie sie es für richtig hielten. Im Kohlerevier in Deutschland ging man anders vor: In Ahlen, in Westfalen, einer Partnerstadt von Differdingen, hat man z.B. beizeiten die hübschen Häuser der Kohlenzeche so renoviert, dass ihr ursprüngliches Aussehen weitgehend erhalten blieb, ohne dass es den Besitzern an Bequemlichkeit und moderner Gestaltung im Inneren fehlte. Sie geben heute ein sehr ansprechendes Bild ab.

Die Lebensbedingungen

Kunsthistorikerin Antoinette Lorang hat die Arbeiterhäuser im Süden in ihrem Werk „Luxemburger Kolonien und billige Wohnungen“ eingehend beschrieben. Die Wohnfläche dieser Häuser variierte zwischen 44 und 90 m2.

Die Arbeiterfamilien mit meistens zahlreichen Kindern lebten auf engstem Raum. Die Arbeit verfolgte sie bis in ihre Privatsphäre. Dadurch, dass der Mietvertrag an den Arbeitsvertrag gekoppelt war und gewisse Bedingungen bezüglich des Verhaltens am Arbeitsplatz gestellt wurden, blieben die Bewohner in hohem Maße abhängig vom Wohlwollen des Arbeitgebers. Die Miete wurde vom Lohn abgezogen. Sie betrug rund 25 Franken pro Monat. Arbeitete der Hausherr nicht mehr im Werk, sei es, dass er frühzeitig starb, in Rente ging oder nicht den Ansprüchen des Werkes entsprach, musste er die Wohnung mit seiner Familie räumen.

Man vergab die Wohnungen prioritär an Fachkräfte des Werks, um sie so weit wie möglich an ihre Arbeitsstelle zu binden. Handlanger und Unqualifizierte blieben außen vor. Im Jahr 1926 arbeiteten in Differdingen 4.427 Arbeiter auf der Hütte und im Bergbau. Davon wohnten 272 in Werkswohnungen (6 Prozent), 120 in der Kantine in Oberkorn und 53 in der Kantine in Differdingen.


Das Leben der Kolonisten

Es gab auch ein reges gesellschaftliches Leben in den Arbeitersiedlungen. Lassen wir Ady Debortoli zu Wort kommen, der im 1990 im Café-Restaurant Courtois in Oberkorn ein Konveniat der früheren Koloniebewohner organisiert hatte.

Léif Frënn!
Et ass haut fir d’éischt, dass mer esou beienee sinn an ech géif iech all Merci soen, well der esou spontan d’Accord waart, fir heihin ze kommen. Dat hei soll en Erënnerungstreffe sinn, eng Erënnerung un heemeleg Stroossen aus eiser Zäit. E puer goufen der hei gebuer, dat sinn ‚d’Stackkolonisten‘. Awer vill vun deenen, déi eis gesinn hunn opwuessen, sinn net méi. De schwaarze Won mat de schwaarz zougehaangene Päerd ass oft an eis Stroosse komm. Eigentlech war et deemools eng uarm, mais awer eng glécklech Zäit. Et war nach net alles verbaut. D’Kor war nach net zougedeckt. Och wann se gestonk huet. Mär si mat plakege Féiss derduerch marschéiert. Ronderëm waren Hecken a Wisen. D’Minièren an d’Schmelz hu floréiert, mä d’Aarbechter hunn net vill verdéngt. De Confort vun haut hu mer net kannt. D’Toilette waren hannert dem Haus an hu missen hei an do mam „Piffmännchen“ eidel gemat ginn. Dat Wuert, „Ëmweltschutz“ gouf et nach net.

Am „Klein-Emma-Laden“ vum Eugène Aldrin konnt een alles kréien, wat een esou fir ze liewe gebraucht huet, an et konnt een esouguer op Puff mam Bichelchen akafe goen. De Café vum Bopa Collart war den Treffpunkt vun deenen duuschteregen Aarbechter. Do ass Kaart gespillt ginn. Méi spéit koum och nach eng Keelebunn derbäi. Et ass gedanzt ginn an den Orchester war nëmmen eng Zéiharmonika. Et ass nach kee Fernseh ginn a ganz seelen e Radio. D’Leit hu sech ënner sech ameséiert. Et ass nach keen Auto ginn a keen eegent Haus fir den Aarbechter. Bis op Déifferdang si mer iwwer de Quai gaangen oder ze Fouss laanscht d’Binnchen. Deen eenzege Luxus, deen d’Leit sech geleescht hunn, war eng grouss Zuel Kanner, an dat war jo och e schéinen Amusement.

D’Männer ëmmer voll an d’Fraen ëmmer schwanger, do ass et ni langweileg ginn.
D’Leit hu sech deemools richteg geplot. Zu eiser Zäit ass et nach e schmuele Pad bis bei d’Kierch ginn an d’Géigend hei war d’„Peschkopp“ Ganz fréier war de Kierfecht ronderëm d’Kierch. Mä dovu wësse mer haut näischt méi. Wéi heemeleg war et, wann d’Gaslantere gebrannt hunn. Wann et gereent huet, waren d’Kelleren de Revéier fir eis Kanner.
Esou sinn d’Jore vergaangen a mär si méi al ginn. Et si vill schéi Meedercher an eise Stroosse ginn, mä déi hunn ëmmer en anere bestuet.

Wéi mer an eise beschte Jore waren, ass dee schreckleche Krich komm, deen alles verännert huet. Eis Frënn hu missen an den „Arbeitsdienst“ an un d’Front. Och an eise Stroosse sinn et der en etlech ginn, déi net méi erëmkomm sinn. Dat kënne mer ni vergiessen.

Mä alles geet emol laanscht. An deene Joren hu mer ugefaangen, eis ze bestueden, an d’Liewen huet d’Noperen aus eise Stroossen auserneebruet.“
(Gekürzte Fassung)