Deutschland sucht den Superloser

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Heinz Strunk versucht sich im Band „Das Teemännchen“ erstmals an Kurzgeschichten und inszeniert eine erbarmungslose Freakshow von menschlichem Versagen.

Von Oliver Seifert

Anja gilt immerhin als Dorfschönheit, bevor sie sich von Marcel trennt und im Dorfimbiss ein Leben als Arbeitssklavin bis ans Ende ihrer Tage fristet. Eugen ist mehr der Dorfdepp, dessen mittelmäßige Karriere als Fußballer ein plötzliches, schreckliches Ende findet. Marion ist zwar nicht allein, aber trotzdem verdammt unglücklich und selbst ihr letzter todesmutiger Versuch, daran etwas zu ändern, scheitert kläglich. Michael nimmt einmal im Leben allen Mut zusammen und wagt den Schritt in die Unabhängigkeit, doch die Pleite ist abzusehen. Jenny lässt eine weitere, vielleicht die letzte Chance verstreichen, der Tristesse ihrer Vergangenheit zu entfliehen, während Mandy längst weiß, dass sich für sie keine Chance mehr auftun wird.

Willkommen zur großen Freakshow, die Heinz Strunk miesepetrig, sarkastisch und erbarmungslos inszeniert. Nach dem Jammerlappendrama aus dem schwer beschädigten Leben als autobiografisch motivierter Fortsetzungsroman in sechs Teilen treten in seinem ersten Kurzgeschichtenband „Das Teemännchen“ wieder allseits ramponierte Existenzen auf, denen das Schicksal entweder sprechende Namen als Menetekel verpasst hat oder nicht minder sprechende Bezeichnungen wie Gnom, Penner, Nutte oder Blogger.

Von den gesellschaftlichen Rändern castet Strunk sorgsam und penibel seine bizarren Kreaturen, die sonst nur bei RTL II in vielerlei hermetisch abgeriegelten Formaten groß auftrumpfen dürfen. Neu ist, dass bei ihm endlich auch die Gleichberechtigung Einzug gehalten hat und neben Männern auch Frauen als Deklassierte und Deprimierte präsentiert werden.

Sein Interesse an Versagern und Verlierern kennt keine Grenzen, ob Alte, Dicke, Kranke, Doofe, Ossis, Dorfis, auch alte Dicke, kranke Dorfis, doofe Ossis oder andere Konstellationen.

Der als Mathias Halfpape 1962 in Hamburg geborene Heinz Strunk, in Literatur, TV, Kino und Hörspiel gleichermaßen unterwegs, kennt da keine Gnade: Vor seinem grotesk-ulkigen Tribunal sind alle Menschen gleich – gleich in ihrem fatalen Hang, aus sich ihrem bisschen Leben wenig bis gar nichts zu machen.

Die Anklage wird generell schonungslos offen und drastisch vorgetragen, das Urteil lautet meist: „Selbst schuld.“ Der Autor als Richter ist nicht zimperlich, seine lakonische, plakative Sprache hat kaum Mitleid, Charakterisierungen sind mehr Lästereien und Beleidigungen. Auf Tragik wird mit Drastik, auf Drama mit Zynismus, auf unfreiwillige Komik mit erzwungenen Gags reagiert.

Kein Herz für Verlierer

Die von ein paar Zeilen bis zu ein paar Seiten reichenden Stories aus dem Abseits spielen mit Genres wie Nachricht, Glosse, Polemik, Kommentar, Betrachtung, Erinnerung, mischen Beobachtungen, Anmerkungen, Überlegungen ganz selbstverständlich miteinander. Für Dialoge (oder Monologe) ist kein Platz, für respektlose Zuschreibungen und deftige Beschimpfungen dafür schon. Heinz Strunk behält die Fäden der Figuren fest in den Händen, er führt sie nach seinen Vorstellungen und zu seinen Bedingungen, viel Raum zum Scheitern bleibt nicht. Die Welt der Stolpernden, Fallenden und Liegenbleibenden ist einfach konstruiert; vielschichtige, überraschende Schicksale und Katastrophen sind nicht zu erwarten.

Empathie des Erzählers für sein Personal gibt es leider wenig. Bekam in der Langform selbst der Frauenmörder Fritz Honka (im hochgelobten „Der goldene Handschuh“) davon reichlich ab, haben in der Kurzform Janine, Marcel, Steffen, Jenny oder Mandy schlechte Karten.

Das etwa ist ein gravierender Unterschied zum Kollegen Clemens Meyer, der für seine strauchelnden Antihelden in rauen Milieustudien stets Respekt und Mitgefühl übrig hat. In den Momenten allerdings, wenn Strunk wie in „Living in the Past“, „Verkehrsfunk“ oder „When we were Kings“ das Beschreiben über das Beurteilen stellt, profitieren nicht nur die Betroffenen.

Gesichter statt Masken sind dann zu erkennen, Menschen statt Freaks. Verziehen ist dann beinahe auch der mehrfache Einsatz von sprachlichen Drechseleien wie „über das gesamte Leben verhängte Aussichtslosigkeit“ oder „kommen aus dem Nichts und verschwinden im Nichts“.

Gnadenlose Effizienz, Selbstfeier oder Unachtsamkeit? Stilmittel oder Marotte? In jedem Fall: peinlich.