Covid-19-GesetzDer Weg aus dem „état de crise“ gestaltet sich schwierig

Covid-19-Gesetz / Der Weg aus dem „état de crise“ gestaltet sich schwierig
Nachdem der erste Entwurf auf Ablehnung gestoßen war, wollen Premierminister Xavier Bettel (M.) und Gesundheitsministerin Paulette Lenert (r.) dem Parlament am Dienstag eine überarbeitete Version des Covid-19-Gesetzentwurfs vorlegen Foto: Editpress/Julien Garroy

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der von der Regierung vorgelegte „Vor-Vorentwurf“ für ein Covid-19-Gesetz stieß am vergangenen Mittwoch nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei einigen Abgeordneten der Mehrheitsparteien auf Ablehnung. Die CSV spricht von einer „Verlängerung des Ausnahmezustands durch die Hintertür“, die Partei „déi Lénk“ von einem „liberalen Nachtwächterstaat-Gesetz“, bei dem die sozialen Schutzfunktionen fehlen. Am Dienstag wird die Regierung dem Parlament voraussichtlich einen überarbeiteten Text oder einen neuen Gesetzentwurf vorlegen. In Abwesenheit eines Pandemiegesetzes ist nicht auszuschließen, dass nach dem Ende des Ausnahmezustands mehrere Gesetze zur weiteren Eindämmung der Corona-Pandemie gebraucht werden oder der „état de crise“ bei einer weiteren Infektionswelle erneut ausgerufen werden muss.

Weil Luxemburg  nicht über ein Pademiegesetz verfügt, hatte die Regierung zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie am 18. März  den Ausnahmezustand („état de crise“) ausgerufen, den das Parlament drei Tage später einstimmig um die maximale Dauer von drei Monaten verlängert hat. Am 24. Juni läuft der Krisenzustand offiziell  aus. Das Virus SARS-CoV-2 wird die Welt und auch Luxemburg aber voraussichtlich über diese Frist hinaus noch weiter beschäftigen. Die Infektionszahlen sind in den vergangenen Wochen zwar stetig gesunken, doch Virologen schließen nicht aus, dass die Zahl der Neuerkrankungen durch die Lockerung der Ausgangssperre wieder steigen könnte. Die Weltgesundheitsorganisation warnte am Montag sogar vor einer zweiten tödlichen Welle von Coronavirus-Infektionen in Europa.

Um nach Ende des verfassungsmäßig auf drei Monate begrenzten „état de crise“ weiter handlungsfähig zu bleiben, arbeitet die Luxemburger Regierung seit einigen Wochen an einem sogenannten Covid-19-Gesetz. In Abwesenheit eines umfassenden Pandemiegesetzes soll das Covid-19-Gesetz eine Notlösung darstellen, die es der Regierung  ermöglicht, bestimmte Einschränkungen aufrechtzuerhalten, ohne den Ausnahmezustand ein weiteres Mal ausrufen zu müssen. Einen „Vor-Vorentwurf“ dieses Gesetzes hatten Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP), Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) und Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am vergangenen Mittwoch (13. Mai) dem Büro und der „Conférence des présidents“ der Abgeordnetenkammer zur Diskussion vorgelegt. Dieser erste Entwurf sieht vor, dass die staatliche Gesundheitsbehörde („Direction de la Santé“) zur Eindämmung und zur Bekämpfung der Corona-Krise großherzogliche Reglemente zur Einschränkung der Grundrechte und der wirtschaftlichen Tätigkeit erlassen könne. Ähnlich wie bei den Vollmachtsgesetzen nach 1970 soll die Zustimmung der „Conférence des présidents“ des Parlaments ausreichen, um diese Reglemente durchzuwinken. Die Dauer der Reglemente soll auf einen Monat begrenzt werden, bei Bedarf können sie aber verlängert werden. Der Text beinhaltet auch bereits konkrete Strafen, die bei Verstößen gegen die Einschränkungen angewandt werden sollen.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Die Oppositionsparteien lehnten den „Vor-Vorentwurf“ am vergangenen Mittwoch entschieden ab. Auf Tageblatt-Nachfrage äußern sowohl die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen als auch der linke Abgeordnete Marc Baum verfassungsrechtliche Bedenken. In der „Conférence des présidents“, der die Fraktionschefs der drei Mehrheitsparteien und der größten Oppositionspartei angehören, hätten nur vier Abgeordnete das Stimmrecht, bemängelt Hansen. Zudem habe das exklusive Gremium nicht die notwendigen Mittel, um solche Entscheidungen zu treffen.

Marc Baum kritisiert, dass bei einer Abstimmung innerhalb der „Conférence des présidents“ der Fraktionszwang quasi institutionalisiert werde. „déi Lénk“ würde es daher bevorzugen, wenn das ganze Parlament seine Zustimmung zu den Reglementen, zum Beispiel in Form von Motionen, geben könne. Die CSV wünscht sich hingegen, dass konkrete Maßnahmen nach dem Auslaufen des „état de crise“ am 24. Juni auf der Grundlage von Gesetzen statt großherzoglicher Reglemente getroffen würden. Einschränkungen der bürgerlichen und wirtschaftlichen Freiheiten sollten fortan nur noch mit der Zustimmung des gesamten Parlaments möglich sein, sagt Martine Hansen, die den vergangene Woche präsentierten „Vor-Vorentwurf“ als „Verlängerung des Ausnahmezustands durch die Hintertür“ bezeichnet.

Schutzmaßnahmen fehlen

Marc Baum bezeichnet den Vorentwurf als „liberales Nachtwächterstaat-Gesetz“. Es sehe lediglich vor, dass verfassungsrechtliche Freiheiten eingeschränkt werden können. Die Aufrechterhaltung der in der Krise beschlossenen sozialen Schutzmaßnahmen oder wirtschaftlichen Garantien seien hingegen nicht festgehalten worden. Deshalb fordert Baum, das Covid-19-Gesetz müsse beinhalten, dass bei einer erneuten Einschränkung der Freiheiten auch Maßnahmen wie Kurzarbeit oder Urlaub aus familiären Gründen wieder zum Tragen kommen.

Hansen kritisiert weiter, dass die Kriterien, nach denen die Regierung ihre Entscheidungen trifft, dem Parlament noch immer nicht bekannt seien. Die Minister würden stets betonen, dass Lockerungen beschlossen werden, wenn die Zahlen „gut“ seien. „Wir wissen aber nicht, welche Zahlen konkret in Betracht gezogen werden, und was ‚gut’ konkret bedeutet“, moniert die CSV-Fraktionschefin. 

Neben der Einschränkung von Grundrechten wie der Versammlungs- oder der Bewegungsfreiheit sieht der Vorentwurf auch vor, dass infizierte oder „mutmaßlich infizierte Personen“ unter medizinische Aufsicht gestellt werden können. Diese unglückliche Formulierung hatte CSV-Parteipräsident Frank Engel bereits am Wochenende in einer Sendung auf Radio 100,7 kritisiert.

Ferner enthält der Vorentwurf ein Kapitel über die erneute Einschränkung der medizinischen Tätigkeiten, falls zusätzliche Ärzte und Krankenpfleger für die Bekämpfung der Corona-Pandemie gebraucht werden. In diesem Zusammenhang stellt Marc Baum die Frage, ob es schon Erkenntnisse über die Auswirkungen der Reduzierung der medizinischen Tätigkeit vor zwei Monaten gebe. Eine mutmaßliche Studie eines Mitarbeiters des deutschen Bundesinnenministeriums hatte laut Medienberichten ergeben, dass abgesagte Operationen, Therapien und Arztbesuche zu zahlreichen Todesfällen geführt hätten. Veröffentlicht wurde dieser Bericht bislang nicht. Auch für Luxemburg sind noch keine entsprechenden Zahlen bekannt.

Text wurde überarbeitet

Laut unseren Informationen äußerten neben der Opposition auch Abgeordnete der Mehrheitsparteien Kritik an dem „Vor-Vorentwurf“, den Gesundheitsministerin Paulette Lenert selbst als „Copie martyre“ bezeichnet hatte. Der LSAP-Fraktionsvorsitzende Georges Engel spricht sich auf Nachfrage für einen „anderen Weg“ aus. Er betont, dass ein parlamentarischer Konsens für ein Covid-19-Gesetz gefunden werden müsse. Wie dieser „andere Weg“ jedoch konkret aussehen soll, konnte Engel nicht genau sagen. Er schließe aber nicht aus, dass mehrere Gesetze notwendig sein könnten, damit die sogenannten Corona-Maßnahmen auch nach Ende des Ausnahme- oder Krisenzustands am 24. Juni aufrechterhalten werden können.

Am Dienstag werden Premierminister Xavier Bettel (DP) und Gesundheitsministerin Paulette Lenert erneut im Büro der Abgeordnetenkammer zu Gast sein, um über das Vorprojekt für ein Covid-19-Gesetz zu diskutieren. Schon am vergangenen Freitag sollte eine Debatte stattfinden, die wegen der krankheitsbedingten Abwesenheit der Gesundheitsministerin aber kürzer als geplant ausfiel. Unseren Informationen zufolge ist es wahrscheinlich, dass Paulette Lenert am Dienstag einen neuen oder zumindest stark überarbeiteten Text vorlegt.

Weil Luxemburg, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, nicht über ein Pandemiegesetz verfügt, schließen weder Georges Engel noch Martine Hansen aus, dass im Falle einer zweiten Infektionswelle der Ausnahmezustand erneut verhängt werden könnte. 

dnt
19. Mai 2020 - 3.08

KEIN ERMÄCHTIGUNGSGESETZ MEHR, NIE MEHR....

Jimmy
18. Mai 2020 - 21.34

@Jean Muller "Genau dieses Verhalten war von Anfang an vorhersehbar!" Genau. Die CSV hat es 70 Jahre lang versäumt für solche voraussehbare Fälle Vorsorge zu tragen und wir müssen mal wieder dafür büßen.

Jean Muller
18. Mai 2020 - 21.03

Genau dieses Verhalten war von Anfang an vorhersehbar! Wenn die Verfassung eh schon ausser Kraft gesetzt ist kann man ja einfach noch einen Schritt weitergehen und den Zustand mittels der bestehenden Allmacht und irgendwelchen Ausreden immer weiter verlängeren. Es hätte nie eine Ausnahmemöglichkeit geben dürfen um unsere Verfassung ausser Kraft zu setzen! NIEMALS!!!¨ Die Verfassung ist das höchste Gut eines demokratischen Staates und sollte egal wie ihre Obrigkeit über alle Gesetzesgrenzen hinweg beibehalten. Gelegenheit macht Diebe, und nun stellt sich heraus, dass die Unseren genau auf ihre Gelegenheit lechzen :(