DeutschlandAltkanzler und Gas-Lobbyist – Gerhard Schröder wird 80 Jahre alt

Deutschland / Altkanzler und Gas-Lobbyist – Gerhard Schröder wird 80 Jahre alt
Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler von 1998 bis 2005, aufgenommen in seiner Kanzlei in Hannover Foto: dpa/Michael Kappeler

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Er hat mit politischen Entscheidungen zu Sozialreformen und dem Nein zum Golfkrieg das Land geprägt. Deutschlands Altkanzler Gerhard Schröder wird am Sonntag 80 Jahre alt. Wegen seines Lobbyismus für russisches Gas und einer fehlenden Distanzierung von Russlands Präsident Putin ist er in seiner SPD mittlerweile nicht mehr gut gelitten. Das will er nicht hinnehmen.

Die Stimmung im Bierzelt in der bayerischen Provinz ist verhalten. Zum Volksfest hat sich der SPD-Kanzlerkandidat angesagt, das sorgt eher für verdrossene Mienen. Zwei Stunden später steht der Großteil der Festzeltbesucher auf den Tischen und feiert einen Politiker, der mit klarer Sprache Volksnähe verkörpert und mit wachem Verstand und Gespür für die Situation auch eingefleischte CSU-Wähler zum Applaus bewegt. So geschehen im Wahlkampf 1998. Der SPD-Ministerpräsident aus Niedersachsen tritt gegen den langjährigen CDU-Kanzler Helmut Kohl an. Und siegt triumphal mit fast 48 Prozent. Die Ära Kohl ist nach 16 Jahren beendet, es folgt die erste rot-grüne Bundesregierung.

Der Fußballfan mit dem Spitznamen „Acker“, der sich später in Luxus-Mänteln und mit Zigarren ablichten lässt, sollte die deutsche Politik verändern. Schröder, der Lebemann, dessen fünf Ehen für Schlagzeilen sorgen. Schröder, der SPD-Politiker, der mit seinen Hartz IV-Reformen zwar seine Partei nachhaltig verärgert, aber für die spätere CDU-Kanzlerin Angela Merkel die Grundlage für eine bessere Wirtschaftsbilanz schafft.

„Ich will hier rein“

Er wächst in armen Verhältnissen im Kreis Lippe als Halbwaise auf, tritt mit 19 Jahren in die SPD ein, studiert Jura. Schon in den 80er Jahren soll er in der damaligen Hauptstadt Bonn am Zaun des Kanzleramts gerüttelt haben: „Ich will hier rein.“ Es sollte ihm gelingen.

Unter Schröder, bis 2004 auch SPD-Chef, wird Deutschland innen- und außenpolitisch deutliche Veränderungen durchleben. Ähnlich wie jetzt bei Kanzler Olaf Scholz ist Schröders erste Legislaturperiode von Kriegen geprägt. Nur fünf Monate nach seiner Vereidigung schickt er erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz. Tornados der Bundeswehr beteiligen sich im Kosovo-Krieg an den Luftangriffen auf Belgrad. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 auf die USA zögert Schröder nicht, einer deutschen Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan zuzustimmen.

Sozialreformen der Agenda 2010

Seine „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA hatte erst bei der Irak-Invasion ein Ende. Schröder sagt Nein zu diesem Krieg, wird 2002 wiedergewählt. Diese Entscheidung stößt in der SPD auf große Zustimmung, die Sozialreformen der Agenda 2010 entfremden Schröder dagegen von Teilen der Sozialdemokratie. 2005 endet seine Kanzlerschaft vorzeitig. In der legendären TV-„Elefantenrunde“ beansprucht ein hörbar angetrunkener Schröder nach vorgezogenen Wahlen trotzig die Regierungsbildung für sich. Doch schließlich wird Merkel am 22. November 2005 zur Kanzlerin gewählt.

Die jetzige Kritik am ehemaligen Regierungschef dreht sich jedoch nicht um seine Innenpolitik. Vielmehr steht Schröder seit Jahren wegen seines Engagements für russische Staatskonzerne in der Kritik, außerdem gilt er als Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin. Schröders enger Draht zu Putin stammt aus einer Zeit, in der Russlands Präsident im Bundestag noch mit Standing Ovations gefeiert wurde. Im Jahr 2000 verkünden Schröder und Putin einen Neustart der deutsch-russischen Beziehungen.

Nach seiner Wahlniederlage nimmt Schröder jedoch bereits im März 2006 den Vorsitz des Gesellschafterausschusses beim Betreiber der neuen Ostsee-Pipeline, der Nord Stream AG, an. Umgehend werden Vorwürfe von Korruption und Vetternwirtschaft laut. Es folgen Engagements als Präsident des Verwaltungsrats bei Nord Stream 2, als Aufsichtsrat beim russischen Ölkonzern Rosneft und als Aufsichtsrat beim britisch-russischen Ölkonzern TNK-BP.

Selbst nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 dauert es Monate, bis Schröder sich bei Rosneft zurückzieht. Sein Büro und seine Mitarbeiter ist der Altkanzler nach einem Bundestagsbeschluss los, sein Vermittlungsversuch in Moskau, ohne Abstimmung mit der Bundesregierung, scheitert. Seinen Draht zu Putin will Schröder jedoch trotz des russischen Angriffskriegs weiter aufrechterhalten. „Ich werde meine Gesprächsmöglichkeiten mit Präsident Putin nicht aufgeben“, sagte der Altkanzler jüngst und begründete das damit, dass sein guter Draht in den Kreml vielleicht doch noch zu einer Beendigung des Ukraine-Kriegs beitragen könne. „Wir haben über lange Jahre vernünftig zusammengearbeitet. Vielleicht kann das immer noch helfen, eine Verhandlungslösung zu finden, eine andere sehe ich nicht“, sagte Schröder.

Wenn Schröder am Sonntag 80 Jahre alt wird, wird es kaum persönliche SPD-Gratulanten geben. Ein Parteiausschlussverfahren scheiterte zwar, die SPD-Spitze jedoch hat mit ihrem Ex-Kanzler gebrochen und lädt ihn nicht mehr zu Parteitagen ein, wie es für frühere Vorsitzende eigentlich üblich ist. Dass Schröder dem jetzigen Generalsekretär Kevin Kühnert bescheinigt, ein „kleiner Wicht“ zu sein, dieser ihm dann nicht zum Geburtstag gratulieren will, ist unnötiges Geplänkel, so sehen es viele in der Partei. Auch Forderungen, etwa von Minister Karl Lauterbach, Schröder möge doch aus der SPD austreten, bescheren „Schröder einfach Schlagzeilen“, sagt ein langjähriger Vertrauter. Man wünsche ihm und seiner Frau am besten beschauliche Tage bei guter Gesundheit – und „ansonsten beredtes Schweigen“.