840 Meter Lesestoff: Geerbte und gebundene Kultur bei den „Bicherdeeg“

840 Meter Lesestoff: Geerbte und gebundene Kultur bei den „Bicherdeeg“

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Am Wochenende fanden in Walferdingen die alljährlichen „Bicherdeeg“ statt. In vier Hallen gab es neben den neusten Werken der nationalen und überregionalen Literatur und traditionellen Lesungen auch so manchen Workshop zu entdecken, bei dem es galt, selbst die Feder in die Hand zu nehmen. Thema der diesjährigen Ausgabe war Kultur, und zwar in all ihren Farben und Facetten.

Von Laura Tomassini

Genau 24 Jahre ist es her, dass ein paar Leseratten aus Walferdingen beschlossen, Bücher in der Gemeinde zu verkaufen und so die Liebe zur Lektüre mit anderen zu teilen. Seither hat sich aus einer Idee von wenigen ein Treffpunkt für viele entwickelt, und die „Walfer Bicherdeeg“ sind zu einem regelrechten Label herangewachsen. Passend zum Europäischen Kulturerbejahr 2018 lautete das Motto der diesjährigen Ausgabe „Kultur ierwen – Kultur verierwen, iwwert Zäit, Zeien an Zukunft“.

Zeit mussten die Besucher des Büchersalons definitiv so einige mitbringen, denn in den Sporthallen von Walferdingen gab es so manchen geschriebenen Schatz zu entdecken. „Es ist eigentlich eine Mischung aus richtigen Autoren und Verlagshäusern und Privatleuten auf dem Bücherflohmarkt, was wir hier anbieten“, erklärte Gemeindesekretär Patrick Delmarque. Wie jedes Jahr starteten die „Walfer Bicherdeeg“ schon am vergangenen Donnerstag mit der Verleihung des Buchpreises. Neben den Gewinnern in den drei großen Kategorien Kinder- und Jugendbuch, Literatur und Sachbuch/Beau-Livre konnte vor allem einer so richtig absahnen, und zwar Mike „An American in Luxembourg“ McQuaide, der den offiziellen Publikumspreis gewann.

Ateliers von Muno und Forgiarini

Ein thematisch perfekter Sieger, denn bei den 24. Büchertagen ging es vor allem um den Reichtum von Kulturen. „Am Freitag haben wir ja einen luxemburgischen Abend veranstaltet, deshalb wollten wir an den anderen Tagen auch andere Kulturen vorstellen“, meinte Delmarque mit Hinweis auf die „Soirée Eastern Beats & Bites“. Neben orientalischen Spezialitäten wie Gulasch und Falafel aus der Küche des Restaurant „Chiche!“ gab es auch was auf die Ohren, und zwar Balkan-Beats der Gruppe Captain Stambolov aus Lyon.

Aber auch beim traditionellen RTL-Diktat am Sonntag gab es eine internationale Überraschung, nämlich einen Text auf Englisch. „Das hat die Klassierung nochmal etwas durcheinandergeworfen“, verkündete der Delmarque schmunzelnd. Andere Highlights des Wochenendes waren mitunter die angebotenen Ateliers von Claudine Muno und Tullio Forgiarini. Neben ihrem Konzert lud die Luxemburger Musikerin und Schriftstellerin zu einem „Songwriting Workshop“ ein, während der Autor Interessierten die Techniken des „roman noir“ näherbrachte.

Zusammenarbeit mit der „Nuit des Lampions“

Besonders war dann auch die Zusammenarbeit mit der „Nuit des Lampions“, wie Claudine Trauden aus der Kommunikationsabteilung der Gemeinde verriet: „Die Laternen schaffen eine sehr spezielle Atmosphäre, insbesondere bei der Kinderlektüre, wo die Kleinen Ruhe finden sollen und es dunkler im Raum ist.“ Insgesamt hatten dieses Jahr 53 Autoren, 47 Verlage und 96 Flohmarktverkäufer den Weg nach Walferdingen gefunden, um die rund 840 Meter Tische mit ihren Werken zu füllen.

Und auch an Besuchern mangelte es am sonnigen Wochenende nicht. „Ich denke, wir haben die übliche 12.000er-Grenze dieses Jahr übertroffen“, meinte Patrick Delmarque zufrieden. Für das kommende Jahr müsse sich die Gemeinde allerdings ein wahres Highlight einfallen lassen, denn 2019 feiern die „Walfer Bicherdeeg“ Jubiläum. „Dann gibt es uns schon 25 Jahre, deshalb wollen wir einen renommierten Schriftsteller finden und zu uns einladen. Wir müssen also Gas geben“, verriet Delmarque.

Etwas Buntes und Lebendiges

Wo Bücher sind, da sind auch Buchliebhaber, so lautet die Regel. Freunde des geschriebenen Wortes ließen sich in den Hallen der „Walfer Bicherdeeg“ zur Genüge finden, genau wie Gründe, warum Geschichten auf Papier auch heute noch immer begeistern. Von den ganz Kleinen bis hin zu gestandenen Leseratten hatte jeder seine ganz persönliche Antwort auf die Frage, was ein Buch so besonders macht.

Als „Vater“ zahlreicher Kindertrickfilme erweckt Jang Linster Geschichten auf DVD und CD zum Leben. Auch er hatte am vergangenen Wochenende so einiges an Lektüre mit dabei: „Ich habe hier eigentlich nur Bücher mit Ohren, also mit einer CD dabei. Wenn Kinder eine Geschichte hören, haben sie so direkt ein Bild vor Augen, und ein Buch ist einfach anders als digitale Medien. Es ist deines und du passt darauf auf, stellst es hin und hast eine Beziehung dazu.“

Sofortige Begeisterung lösten die „Jangli“-Bücher bei der 7-jährigen Luna aus. „Bücher gehören bei uns zu 100 Prozent zum Alltag dazu. Jeden Abend lesen wir zusammen eine Geschichte, das ist ein Muss“, erklärte der Vater der kleinen Leseratte und meinte weiter: „Ein Buch ist einfach etwas Buntes und Lebendiges, und was meiner Tochter Freude bereitet, macht mich auch glücklich.“

„Beim Lesen redet man miteinander“

Ebenfalls klar als Leseratte zu erkennen war der 8-jährige Julien, der gleich eine ganze Tüte voll „Lustiger Taschenbücher“ ergattert hatte. „Gemeinsam lesen ist für uns super wichtig, da redet man miteinander und es ist einfach viel interaktiver als nur passiv fernzusehen“, erklärten seine Eltern Pascal und Céline. Und auch Tochter Claire hatte sofort einen Vorteil von Büchern parat: „Dann kann ich meiner kleinen Schwester Noémie Geschichten vorlesen!“

Auf der anderen Seite der Schreibmaschine sitzt der Schriftsteller Max Graf, welcher auf der Messe seine Krimi-Reihe „Tatort Lützelburg“ präsentierte. „Für mich stellt ein Buch einfach Abwechslung dar, man taucht in eine andere Welt ein“, so der Autor, der seine Geschichten immer nur schreibt, wenn es dunkel ist. „Optimal zum Lesen ist ein verregneter oder stürmischer Abend, dann liegt man auf dem Sofa, schaltet das Handy aus und liest. Das ist wie ein kleiner Urlaub vom richtigen Leben“, so Graf.

„Früher gab es kein Fernsehen“

Aber auch bei der Jugend finden gebundene Seiten noch immer Käufer. „Ich lese vor allem Sachbücher mit vielen Informationen, die tragen zu meiner Bildung bei und sind verlässlicher als beispielsweise das Internet“, meinte der 14-jährige Sascha. Große Denker wie der Astrophysiker Stephen Hawking haben es dem Jugendlichen besonders angetan, und auch Kumpel Willem hielt in Walferdingen vor allem Ausschau nach Biografien und Wissenswerken.

„Es gibt doch eigentlich nichts Schöneres, als zu lesen“, meinte die 38-jährige Colinda, denn „wenn man ein Buch in den Händen hält, werden viel mehr Sinne angeregt, als wenn man einen Text auf einem Bildschirm liest. Kein anderes Medium lässt einen so in die Fantasie eintauchen.“

Auch Marie-Rose schwärmt angesichts der vielen Bücher. „Früher gab es kein Fernsehen, damals wurden noch Bücher verschenkt. Und wenn draußen kein gutes Wetter war, dann haben wir gelesen, und das tue ich auch heute noch“, sagte Marie-Rose. „Als ich umgezogen bin, hatte ich eine Kiste mit Kleidern und drei voll mit Büchern. Jetzt kaufe ich mir gerne ein neues Regal, dann kann ich all meine Werke wieder neu ordnen“, so die 66-Jährige.