Das Potenzial des Sports„Sportunity“ hilft Flüchtlingen bei der Integration

Das Potenzial des Sports / „Sportunity“ hilft Flüchtlingen bei der Integration
Muhannad Al Ali (Mitte) mit seinen Schülern Xavier, Abdelrahman, Tigabu und Mosazigi Foto: Editpress/Julien Garroy

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Integration geschieht nicht von selbst und Flüchtlinge befinden sich nur allzu oft alleine auf weiter Flur. Die gemeinnützige Vereinigung „Sportunity“ nutzt Sport als Mittel zur Integration und bietet Neuankömmlingen unter anderem gratis Sportstunden an.

Eine Handvoll Jugendliche finden sich an einem Samstagnachmittag im September auf dem Sportplatz beim hauptstädtischen Athenäum ein, um zusammen Fußball zu spielen. Gemeinsam ist ihnen allen – außer ihrer Liebe zum Fußball –, dass es sich um Flüchtlinge handelt, die er erst seit kurzem in Luxemburg sind.

Hussam aus Afghanistan lebt seit acht Monaten in Ettelbrück: In gebrochenem Englisch und dem bisschen Französisch, das er in kurzer Zeit gelernt hat, schildert er mit gedämpfter Stimme seine Odyssee. „Too much fighting in Afghanistan“ – zu viele Kämpfe in Afghanistan –, erklärt er seine Flucht aus dem Heimatland. Zu Fuß, mit dem Auto, Lkws und auf dem Schiff verlief seine „Reise“ von Afghanistan über den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Luxemburg. Als unser Fotograf ein Gruppenfoto macht, blüht der Junge einen Moment auf und macht eine selbstbewusste Geste für die Kamera. Er bringt das zum Ausdruck, was uns die Präsidentin der Vereinigung Sportunity, Eryn Zander, später bestätigt: Durch den Sport, oder einfach nur die Teilnahme an der Gruppe, wird ihr Selbstvertrauen gestärkt.

Omar Ramos, der Trainer der kleinen Fußballmannschaft, stammt aus Venezuela. Er ist einer der wenigen, die schon etwas länger bei Sportunity mitmachen. Er selbst war von Anfang an so begeistert von der Gruppe, dass er regelmäßig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln aus Wiltz nach Luxemburg-Stadt zum Training fuhr.  „Normalerweise bleiben die Leute nicht sehr lange bei uns“, erklärt er. „Bei uns knüpfen sie vor allem die ersten Kontakte.“ 

Angenehmer Rahmen

Kontakte knüpfen ist genau das Ziel, was Sportunity verfolgt. Laut Eryn Zander versteht sich die Vereinigung als eine Art Hotline, wo jungen Flüchtlingen ein angenehmer Rahmen im Bereich des Sports geboten wird, in dem sie Leute kennenlernen können, ohne die eine Integration nicht möglich ist.

Einige Wochen nach dem Fußballtraining treffen wir uns wieder mit der Präsidentin und einer ihrer Mitstreiterinnen, diesmal in einer Sporthalle der erwähnten Schule, wo an den Dienstagabenden ein Karatetraining der Vereinigung stattfindet. Fünf junge Karateschüler haben sich an dem Abend mit ihrem Trainer dort eingefunden. „Es ist erst das erste Training seit der Rentrée“, erklärt Valeria Ulianina, die Projektkoordinatorin von Sportunity. „Aber Sie hätten das Kindertraining vorige Woche sehen sollen. Wir müssen sogar Kinder abweisen, da sich coronabedingt nur eine begrenzte Anzahl von Personen in der Halle aufhalten darf.“  Nach der Trainingseinheit zeigt uns der Trainer, Muhannad Al Ali (25), ein Foto des Kindertrainings zum Beweis. Um die 20 begeisterten Kinder tummeln sich auf der Matte. „Da geht es nicht so diszipliniert zu wie jetzt“, lacht der 25-jährige Syrer.

Wieder von null angefangen

Muhannad lebt seit 2015 in Luxemburg, spricht bereits alle drei Landessprachen (neben Italienisch, Portugiesisch, Türkisch und Arabisch) und hat in der Zwischenzeit ein IT-Bachelor-Studium an der Uni Luxemburg abgeschlossen. Seit ein paar Monaten besitzt er auch die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Was sich wie ein Bilderbuchweg eines Immigranten liest, begann alles andere als rosig für den heute 25-jährigen Syrer.

In seiner Heimat war er in seiner Jugend ein bekannter Karatekämpfer, unter anderem erlangte er 2012 einen Weltmeistertitel bei den Cadets. Eine vielversprechende Sportlerkarriere lag vor ihm, die durch den Krieg jäh ausgebremst wurde. Im selben Jahr beschloss sein Vater, der zu der Zeit im Libanon arbeitete, dem Regime den Rücken zu kehren. Die Familie zog in die Türkei. Muhannad und sein Bruder Mohamad beschlossen, ihr Glück im Westen zu suchen. Es begann für sie eine dreijährige Odyssee, die auch sie über die Türkei, Griechenland, Ungarn, Österreich und Deutschland schließlich nach Luxemburg führte. Doch hier war anfangs nicht alles rosig. Sie saßen monatelang im Flüchtlingsheim in Bourscheid und waren kurz davor, das Land wieder zu verlassen, um irgendwo anders ihr Glück zu versuchen.

Dann trat wie aus heiterem Himmel Sportunity in sein Leben und veränderte es im wahrsten Sinne des Wortes, wie Muhannad selbst sagt. „Ich wollte wirklich das Land verlassen, als mich eine Textnachricht von Eryn (Zander) erreichte. Sie suchte Trainer für ihre Vereinigung. Sie war wie ein Engel, auf den ich gewartet habe. Gerade als ich aufgeben wollte, trat sie in mein Leben. Hätte sie mir nicht an genau dem Tag geschrieben, hätte ich Luxemburg am darauffolgenden Tag verlassen.“

Sportunity gab ihm eine Aufgabe, die Möglichkeit, seine sportlichen Fähigkeiten an andere weiterzugeben. Doch über das Sportliche hinaus bedeutet ihm die Vereinigung viel mehr: „Sportunity hat mir geholfen, ins Leben zurückzufinden.“

„Außer ihren sportlichen Fähigkeiten können unsere Trainer den Kindern und Jugendlichen noch etwas viel Wichtigeres mit auf den Weg geben, und das sind ihre Lebenserfahrungen“, sagt Zander. Nach einer dieser „Lebenserfahrungen“ befragt, sagt Muhannad: „Alles ist möglich im Leben.“

Alles ist möglich im Leben

Muhannad Al Ali, Karatetrainer

Gegründet wurde die Organisation von der Russin Eryn Zander. Die aus dem russischen Zheleznogorsk stammende Frau studierte an der Pariser Wirtschaftsfachschule Insead und zog 2008 im Alter von 27 Jahren aus beruflichen Gründen nach Luxemburg. Inspiriert habe sie u.a. das Beispiel des äthiopischen Weltklasseläufers Haile Gebrselassie, dessen sportlichen Erfolge mitgeholfen hätten bei einem wirtschaftlichen Aufschwung in seiner Heimat. Nach ein paar Aktivitäten mit Jugendlichen habe sie das enorme, manchmal ungenutzte Potenzial des Sports erkannt, um gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben. „Sportler sind als Vorbilder für junge Leute ideal, um wichtige Lebenserfahrungen zu vermitteln.“ Nach dieser Erkenntnis suchte sie nur noch ein Medium, wo sie das Potenzial des Sports einsetzen konnte. So entstand die Idee zu Sportunity, die dann 2013 gegründet wurde.

Zu ihren permanenten Mitarbeiterinnen gehört die Russin Valeria Ulianina, die seit zehn Monaten mit ihrem Mann in Luxemburg lebt. Als Begründung, warum sie sich freiwillig in einer sozialen Organisation engagiert, sagt sie: „Indem ich etwas für andere tue, tue ich auch etwas für mich.“

„Im Grunde sind wir irgendwie alle Immigranten auf dieser Welt“, philosophiert Eryn Zander. „Natürlich kann ich meinen privilegierten Weg einer MBA-Absolventin nicht mit dem von Teenagern vergleichen, die weite Wege zu Fuß aus Afghanistan hierher gelaufen sind. Ich glaube aber fest daran, dass Vielfalt uns reicher macht und dass jeder im Leben eine Chance verdient hat, unabhängig davon, wo man geboren wurde.“

Seit der Gründung 2013 organisiert Sportunity noch eine Reihe anderer Aktivitäten, wie z.B. Spaziergänge, Jogging, wo jeder mitmachen kann. Zudem leistet die Vereinigung Freiwilligenarbeit bei lokalen Veranstaltungen, um so Verbindungen zwischen den Mitgliedern und ihrer neuen Umgebung herzustellen.

Informationen über die Aktivitäten von Sportunity finden Sie unter www.sportunity.org sowie auf Facebook unter www.facebook.com/sportunityorg/.

Max Schmähling
17. Oktober 2021 - 19.13

Gratis Boxstunden als Mittel zur Integration , merde alors !