OlympiaKolumne zu den Spielen von 1964: Im Bann des roten Sonnenballs

Olympia / Kolumne zu den Spielen von 1964: Im Bann des roten Sonnenballs
Der Schütze Vic Kremer mit der Luxemburger Fahne auf dem Weg ins Olympiastadion  Foto: „Von Athen bis Sydney“ – Petz Lahure

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Japan scheint nicht auf besonders gutem Fuß mit den Olympischen Spielen zu stehen. Im Jahr 1940 sollte das Land der aufgehenden Sonne sowohl die Winterspiele (Sapporo) als auch die Sommerspiele (Tokio) organisieren. Dazu ist es aber nie gekommen.

Zuvor fand in der japanischen Hauptstadt als „Testlauf“ eine sogenannte Jugend-Olympiade für Sportler und Sportlerinnen bis 18 Jahre statt. Insgesamt 31 Länder beteiligten sich an den Wettkämpfen, Luxemburg war nicht vertreten. Der Einzug ins Meiji-Stadion erfolgte strikt nach den Vorschriften des olympischen Protokolls.

Danach marschierte Japans Armee in China ein. Das Geld wurde knapp und anderweitig gebraucht, sodass die Regierung dem Organisationskomitee die finanzielle Unterstützung verweigerte. Tokio musste die Spiele im Jahr 1938 an das IOC zurückgeben. Für viele Japaner bleibt das auf immer und ewig eine große Schmach.

Zwölf Luxemburger Athleten

Auch mit der Ersatzstadt Helsinki als Austragungsort von Olympia 1940 war es schnell Essig. Der Angriff Russlands auf Finnland im Winter 1939 ließ den olympischen Traum platzen. Olympia war für neun Jahre tabu. Erst in London 1948 loderte das Feuer wieder auf.

Für die Spiele von 1960 wurde die Kandidatur Tokios von den wichtigen Herren im IOC nicht für gut befunden. Vier Jahre danach aber durfte Olympia erstmals auf dem asiatischen Kontinent stattfinden. Auf dem offiziellen Plakat prangte neben den fünf olympischen Ringen der rote Sonnenball, das Symbol Japans.

An den Spielen von Tokio 1964, die vom 10. bis zum 24. Oktober ausgetragen wurden, nahmen 5.588 Athleten teil, darunter aber nur 723 Frauen. Diesmal gibt es fast doppelt so viele Starter, der Prozentsatz der Frauen ist auf 48,8% gestiegen. Mit der Parität Männer-Frauen (5.250 Sportler, 5.250 Sportlerinnen) wird 2024 in Paris gerechnet.

Im Jahr 1964 fanden die olympischen Wettkämpfe von Tokio im Herbst statt und hatten nicht unter der starken Sommerhitze zu leiden, die für die kommenden Wochen vorausgesagt wird. Der letzte Fackelläufer, der das Olympische Feuer entzündete, war der 19-jährige Sakai Yoshinori, der am 6. August 1945 in Hiroshima geboren wurde, also am Tag des Atombombenabwurfs auf die Stadt. Yoshinori wurde nur 69 Jahre alt, er starb am 10. September 2014 in Tokio.

Unter den Olympioniken von 1964 waren auch zwölf Luxemburger, zwei Fechterinnen (Colette Flesch, Ginette Rossini), zwei Radrennfahrer (Johny Schleck, Edy Schütz), zwei Kunstturner (Ady Stefanetti, Josy Stoffel), drei Leichtathleten (Jean Aniset, Michel Medinger, Charles Sowa), ein Schütze (Vic Kremer), ein Ringer (Ray Schummer) und ein Schwimmer (Georges Welbes). Fünf Sportler (Stefanetti, Stoffel, Sowa, Kremer, Schummer) sind nicht mehr am Leben.

Die Luxemburger Olympiadelegation 1964 nach ihrer Rückkehr bei der offiziellen Audienz im Großherzoglichen Palast: v.l.n.r. Charles Sowa, Johny Schleck, Ady Stefanetti, Vic Kremer, COL-Präsident Paul Wilwertz, Pierre Hentges Sr., Jean Aniset, Großherzogin Joséphine-Charlotte, Georges Welbes, Colette Flesch, Michel Medinger, Großherzog Jean, Ferd Wirtz, Ginette Rossini, Jacques Leurs, Josy Stoffel, Edy Schütz, Pierre Hentges Jr., Ray Schummer, Fred Berchem
Die Luxemburger Olympiadelegation 1964 nach ihrer Rückkehr bei der offiziellen Audienz im Großherzoglichen Palast: v.l.n.r. Charles Sowa, Johny Schleck, Ady Stefanetti, Vic Kremer, COL-Präsident Paul Wilwertz, Pierre Hentges Sr., Jean Aniset, Großherzogin Joséphine-Charlotte, Georges Welbes, Colette Flesch, Michel Medinger, Großherzog Jean, Ferd Wirtz, Ginette Rossini, Jacques Leurs, Josy Stoffel, Edy Schütz, Pierre Hentges Jr., Ray Schummer, Fred Berchem  Foto:  „Von Athen bis Sydney“ – Petz Lahure

Staatsamateure

Von den zwölf Luxemburger Teilnehmern wartete Charles Sowa (9. Rang über 50 km Gehen und 16. über 20 km) mit dem besten Resultat auf. Ginette Rossini (19.) verpasste knapp die dritte Runde im Florettfechten, Colette Flesch wurde im selben Wettbewerb 29. unter 39 Starterinnen, Jean Aniset beendete den Marathon als 34., die beiden Radfahrer Johny Schleck (19.) und Edy Schütz (76.) fuhren mit dem Hauptfeld über die Ziellinie, Vic Kremer belegte die Ränge 45 (Liegendkampf) und 39 (Dreistellungskampf), Ady Stefanetti wurde 97. im Sechskampf (19. an den Ringen), Josy Stoffel (104.) verletzte sich an der Achillessehne, während Michel Medinger, Ray Schummer und Georges Welbes jeweils in der ersten Runde ausschieden. Damals waren die Spiele den Amateuren vorbehalten, es durften keine Berufssportler teilnehmen. Insbesondere in den Ostblockstaaten aber scherte man sich einen Dreck um diesen Paragrafen. Sozusagen alle Teilnehmer aus diesen Ländern waren Staatsamateure, die keiner geregelten Arbeit nachgingen und ausschließlich Sport betrieben. Mit der Aufhebung der Amateurbestimmungen im Jahr 1981 wurde dem ein Ende gesetzt.

Bei den Spielen, die am Freitag in Tokio beginnen, stellt Ni Xia Lian am selben Ort den Rekord von Josy Stoffel ein, den dieser seit 1964 mit fünf Olympiateilnahmen hält. Ni ging erstmals 2000 in Sydney für Luxemburg an den Start, 2004 in Athen passte sie, um danach 2008 in Peking, 2012 in London und 2016 in Rio wieder mit dabei zu sein. Neben Josy Stoffel wird sie sich nicht nur als Luxemburger Co-Rekordhalterin, sondern mit 58 Jahren (geb. am 4. Juli 1963 in Shanghai) auch als älteste Tischtennisspielerin aller Zeiten bei Olympischen Spielen verewigen.

Peter Snells Doppelsieg

Josy Stoffel (geb. am 27. Juni 1928 in Differdingen, gest. am 9. März 2021 in Rodange) wurde zum ersten Mal 1948 für die Spiele von London (64. Rang) selektioniert. In Helsinki 1952 klassierte er sich als 32., in Melbourne 1956 als 30., in Rom 1960 als 18. und in Tokio 1964 als 104. Allerdings konnte er den Wettkampf im fernen Asien wegen einer Verletzung nicht zu Ende turnen und musste die Rückreise mit einem Gipsverband am Bein antreten. Damit ging eine beispielhafte Karriere zu Ende.

In Tokio waren die Presseplätze erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele mit Fernsehschirmen ausgestattet. Die Wettkämpfe wurden von einer ganzen Reihe Ausnahmesportlern geprägt. Im Gedächtnis blieben vor allem der US-Schwimmer Don Schollander (4 x Gold) und die australische Badenixe Dawn Fraser (3. Olympiatitel über 100 m Freistil), die tschechische Turnerin Vera Caslavska und ihre russische Kontrahentin Larisa Latynina, der holländische Judo-Riese Anton Gesink, der die Japaner in ihrer Paradedisziplin bezwang, die rumänische Hochspringerin Jolanda Balas (die mit den langen Beinen) und ihr männliches Pendant Valery Brumel, der bullige amerikanische 100-m-Läufer Bob Hayes, der später Football spielte, sowie sein boxender Landsmann Joe Frazier, als Profi dreifacher Gegner von Muhammad Ali bei den sogenannten „Kämpfen des Jahrhunderts“.

UPDATE

Im Abschnitt zu den siegreichen Läufen von Peter Snell haben wir einen Fehler korrigiert. Wir danken unserem Leser R. Sommer für den freundlichen Hinweis. fgg

Unvergessen sind auch die 1.500-Meter- und 800-Meter-Siege des Neuseeländers Peter Snell. In Tokyo gewann er die 800 Meter vor dem Kanadier Bill Ccothers und dem Kenianer Wilson Kiprugut. Vier Jahre zuvor hatte er bereits bei den Olympischen Spielen in Rom gegen den Belgier Roger Moens gewonnen. Ihr Kolumnist hockte damals in der Kaserne, wo er seinen obligatorischen Militärdienst absolvierte (auch das gab es einmal), heimlich und ohne Erlaubnis von oben vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher und drückte dem Franzosen Michel Jazy, der vier Jahre zuvor in Rom Silber über 1.500 Meter gewonnen hatte, die Daumen. Peter Snell ist dreifacher Goldmedaillengewinner.

Die Fechterin Ginette Rossini auf Stadtrundfahrt
Die Fechterin Ginette Rossini auf Stadtrundfahrt  Foto: „Von Athen bis Sydney“ – Petz Lahure

Wirbel um eine Fahne

Eingangs der Schlussrunde zog Jazy im Dauerregen auf der aufgeweichten Piste (die Kunststoffbahn war noch nicht erfunden) den Schlussspurt an und schien einem sicheren Sieg entgegenzulaufen. Auf der Zielgeraden aber schwächelte der Franzose. Er wurde von Schul, dem Deutschen Harald Norpoth und dem Amerikaner William Dellinger abgefangen und musste sich mit dem unliebsamen 4. Rang abfinden.

Eine Geschichte am Rande der Spiele von „Tokyo 1964“ sorgte auch Jahre danach für viel Wirbel. Nach ihrem dritten Titel über 100 m Crawl (1956, 1960, 1964) ging die australische „Schwimmkönigin“ Dawn Fraser mit Kolleginnen feiern, durchschwamm danach einen Kanal, der zum Kaiserpalast führt, und stahl dort als Souvenir eine olympische Flagge. Fraser wurde verhaftet und für eine Nacht in japanisches Gewahrsam genommen, dann aber wieder freigelassen.

Fünf Monate später wurde sie vom australischen Verband wegen „Disziplinlosigkeit“ für zehn Jahre gesperrt, eine Strafe, die nach langem Prozessieren erst 1970 aufgehoben wurde, als man Fraser „zu alt“ für den Wettkampfsport wähnte. Nach ihrer „Rehabilitierung“ durfte sie im Jahr 2000 bei der Eröffnung der Spiele von Sydney die olympische Fackel ins Stadion tragen.

Dawn Fraser wird am 4. September 84 Jahre alt. Von sich sagte sie: „Ich war keine heilige Johanna im Schwimmerdress, aber um das höchste Niveau zu erreichen, musst du ehrgeizig sein. Und ich war sehr, sehr ehrgeizig …“