„Virtual Rangers“Start-Up will Kindern das Krankenhaus virtuell erträglicher machen

„Virtual Rangers“ / Start-Up will Kindern das Krankenhaus virtuell erträglicher machen
Aktuell sind die „Virtual Rangers“ dabei, viele unterschiedliche Szenarien zu testen und genaustens auf die verschiedenen Behandlungen abzustimmen Fotos: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Das Krankenhaus ist eine Einrichtung, die wohl die wenigsten Menschen gerne besuchen. Vor allem bei Kindern können Spritzen, fremde Menschen in Kitteln und schmerzhafte Prozeduren Angst auslösen – und somit die Behandlung vor Ort erschweren. Das Luxemburger Start-up-Unternehmen „Virtual Rangers“ ist sich dieser Tatsache bewusst – und hat es sich zum Ziel gesetzt, Kindern zu ermöglichen, aus der unangenehmen Realität auszubrechen und für kurze Zeit in eine Welt ohne Krankheit und Schmerz einzutauchen. Seit März 2019 besucht Gründer Matthieu Bracchetti Kinder im „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL), um dort zu testen, wie sich medizinische Behandlungen durch den Einsatz von „Virtual Reality“-Sequenzen erleichtern lassen.

Das achtköpfige „Virtual Rangers“-Team von Matthieu Bracchetti hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Patienten abzulenken. Seit 2017 ist sein Start-up-Unternehmen in den Bereichen Ausbildung, Unterhaltung, Kultur und Konstruktion aktiv und setzt mithilfe von virtueller Realität da an, wo andere Mittel scheitern. Nun will es auch den Alltag von Kindern im Krankenhaus verbessern – und aktiv gegen Schmerzen bei Behandlungen ankämpfen.

Angefangen hat alles mit Personalschulungen, in denen die Idee für eine Anwendung von „Virtual Reality“ (VR) bei Patienten aufgekommen ist. Im CHL simulierten Bracchetti und sein Team Alltagssituationen wie etwa einen Brand, um zu testen, wie Krankenschwestern, Pfleger und Co. darauf reagieren und wie sich ihr Handeln durch VR-Übungen optimieren lässt. Das Training auf Basis von VR-Sequenzen hat sich rasch bewährt, und so stand schnell fest, dass man in Bezug auf andere Teilbereiche expandieren möchte. Zusammen mit der Leitung des CHL wurde ein neues Konzept ausgearbeitet, das die Handhabung im Krankenhausalltag für alle erleichtern soll.

Matthieu Bracchetti leitet seit 2017 das Start-up „Virtual Rangers“. Er will besonders im Gesundheitssektor den Einsatz von VR-Technologien vorantreiben.
Matthieu Bracchetti leitet seit 2017 das Start-up „Virtual Rangers“. Er will besonders im Gesundheitssektor den Einsatz von VR-Technologien vorantreiben.

Besonders in Abteilungen wie der Onkologie sind die Strapazen für Patienten, Familie und Personal oft fast unerträglich. Wo Panik vor der Nadel und ewig andauernde Beruhigungsversuche bislang an der Tagesordnung standen, sollen künftig die VR-Wagen der „Virtual Rangers“ für Abhilfe sorgen. Impfungen, Blutabnahmen, Transfusionen – all dies soll durch spannende Spiele mit dem roten Löwen „Rowdy“ begleitet werden. „Wir kreieren Welten, die die Kinder lieben, und passen die darin enthaltenen Aktionen genaustens an die medizinischen Behandlungen an“, erklärt Bracchetti. Wird die Schulter eines Patienten etwa mit Desinfektionsmittel abgewischt, dann streift der Schwanz einer Meerjungfrau in der virtuellen Welt dessen Haut. Muss der Arm für eine Blutabnahme ausgestreckt werden, dann fordert „Rowdy“ den Patienten dazu auf, heranfliegende Energiedosen aufzufangen.

Start im kommenden Jahr

Ein essenzieller Teil der Arbeit stellt dabei das Zusammenspiel mit dem Krankenhauspersonal und den Testpersonen dar. „Ich bin mit den Ärzten vor Ort, um zu beobachten, wie lange die verschiedenen Versorgungen dauern, wie viel Zeit für welche Handgriffe benötigt wird und wie die Kinder auf die verschiedenen Welten reagieren“, so der Geschäftsführer. Vor allem die Unterstützung von Elsa Do Carmo, der Direktorin des „Centre mère-enfant“ der „Kannerklinik“ des CHL, ist für das Gelingen des Projekts unabdingbar.  „Sie hat uns die Türen zu den verschiedenen Abteilungen geöffnet und ihre Mitarbeiter auf das Projekt vorbereitet. Neben unserer Arbeit können die Ärzte so beispielsweise analysieren, wie genau das Prinzip der Ablenkung funktioniert, da dies aus Forschungssicht enorm wichtig ist“, so Bracchetti.

Für ihn persönlich steht das Wohlergehen der Kinder und ihrer Angehörigen im Vordergrund. „Die Kleinen sollen keine Zuschauer sein, sondern als Akteure aktiv handeln. Bislang wurde VR im Zusammenhang mit Schmerzbehandlungen oft wie eine Art Hypnose eingesetzt, bei der den Teilnehmern beruhigende Waldszenen oder Ähnliches vorgeführt wurden. Nicht jeder ist allerdings für Hypnose empfänglich – Delfine, Explosionen und dergleichen haben hingegen immer eine ablenkende Wirkung.“ Für 15 bis 20 Minuten sollen die Patienten vergessen, dass sie sich gerade in Behandlung befinden, und einfach ein spannendes Spiel genießen. „Wir wollen herausfinden, wie wir die Kleinen am besten ablenken können und inwiefern sich ihr Geist austricksen lässt, damit sie den Schmerz nicht mehr spüren“, erklärt der CEO.

Mithilfe von unterschiedlichen Universen sollen junge Patienten während schmerzhaften Behandlungen abgelenkt werden
Mithilfe von unterschiedlichen Universen sollen junge Patienten während schmerzhaften Behandlungen abgelenkt werden

Während die Kinder also ganz in eine fantastische Welt abtauchen, sehen die Pfleger die Szenen auf einem Bildschirm und wissen so genau, wann sie welche Behandlung durchführen können. Aktuell befindet sich das Projekt noch in der Testphase. Bis Ende des Jahres soll ein Maximum an verschiedenen Universen ausgearbeitet werden, damit Löwe „Rowdy“ seine Schützlinge mit auf viele unterschiedliche Missionen nehmen kann. „Die Idee ist es, anschließend in so vielen Krankenhäusern wie möglich fertige Wagen mit unseren Sets unterzubringen, die dann ganz einfach vor Ort vom Personal bedient werden können“, so Bracchetti. Die Palette an möglichen Universen, aus denen die Patienten künftig wählen können, ist dabei quasi endlos: „Es gibt den Wilden Westen, Reitausflüge mit dem Pferd, Schwimmen mit Delfinen, Minenfahrten, Flüge mit Vögeln, Gangster-und-Polizei-Jagden, Autostunts usw. Wir wollen das Ganze so vielfältig wie möglich gestalten, ohne uns dabei einzuschränken.“

„Rowdy“ als stetiger Begleiter

Für die Kreation eines solchen Universums braucht das Team der „Rangers“ im Durchschnitt zwei bis drei Wochen. Anschließend muss alles genau auf die Gegebenheiten im Krankenhaus abgestimmt und vor Ort getestet werden. Nach jedem Durchlauf befragt Bracchetti die Patienten, was ihnen am Erlebten besonders gefallen hat, und hält ihre Anregungen für künftige Spiele fest. „Die besten Szenaristen sind nun mal die Kinder“, so der 34-Jährige. Die Herausforderung beim Prozess ist es, die Universen mitsamt Spielen so zu gestalten, dass sie auf die unterschiedlichen Abteilungen, Behandlungen und Patiententypologien anpassbar sind. „In der Notaufnahme sind die Kinder äußerst gestresst, hospitalisierte Patienten sind sich ihres Umfeldes hingegen bewusst und brauchen eine andere Art der Ablenkung“, erklärt der „Virtual Rangers“-Gründer.  

Unser Ziel ist es, dass die Kinder die Marke ‚Rowdy‘ irgendwann kennen und sie ihnen hilft, Stress abzubauen

Matthieu Bracchetti, Gründer von Virtual Rangers

Das Endresultat soll demnach individualisierbar und vor allem einfach zu bedienen sein: Computer anschalten, Brille aufsetzen, Universum und Behandlung wählen. Um dies zu gewährleisten, wollen die „Rangers“ künftig ihr Team aufstocken, denn für die perfekte Illusion braucht es nicht nur Informatiker, Programmierer und 3D-Entwickler, sondern auch viele kreative Köpfe. Bislang haben rund zehn Kinder an den Tests teilgenommen und das Konzept für gut befunden. Die Altersspanne derer, die für die Methode infrage kommen, liegt dabei aktuell zwischen vier und 18 Jahren. „Für jüngere Patienten bräuchte man kleinere Helme, da sie ihnen sonst vom Kopf rutschen“, so Bracchetti. Mehr als 20 VR-Brillen inklusive Controller liegen derzeit im Büro der „Virtual Rangers“ bereit. Weitere sollen aber folgen, denn die Produktion soll so berechnet werden, dass ein Großteil der Luxemburger Krankenhäuser davon profitieren kann.

Pünktlich zum offiziellen Launch des Projekts im kommenden Jahr wollen die „Virtual Rangers“ dann auch noch plüschige „Rowdy“-Maskottchen herstellen lassen, die die Kinder als kleine Glücksbringer behalten dürfen. Daneben plant das Team von Bracchetti, in den Krankenhäusern Pfotenabdrücke von Löwen zu platzieren, damit die kleinen Patienten schon beim Betreten des Hospitals beruhigt werden. „Unser Ziel ist es, dass die Kinder die Marke ‚Rowdy‘ irgendwann kennen und sie ihnen hilft, Stress abzubauen“, erklärt Bracchetti. Auch im Ausland und in weiteren Bereichen steht die Anwendung des Prinzips noch auf der To-do-Liste des Start-ups, wie der Gründer verrät: „Für die Zukunft denken wir darüber nach, die Technik auch bei älteren Menschen mit Erkrankungen wie Demenz anzuwenden. Man könnte diese durch Virtual Reality wieder enger mit der Realität verbinden.“

Insgesamt arbeitet ein achtköpfiges Team am Rowdy-Projekt, derzeit befinden sich allerdings einige von ihnen im Home-Office
Insgesamt arbeitet ein achtköpfiges Team am Rowdy-Projekt, derzeit befinden sich allerdings einige von ihnen im Home-Office

Bis es allerdings so weit ist, gilt es erst einmal, das Pilotprojekt zu finalisieren. In drei Jahren hat Bracchetti bereits über 40 VR-Kampagnen gestartet. Die Welt vom Löwen „Rowdy“ ist dabei aber sein persönliches Highlight, wie der 34-Jährige verrät: „Es ist zwar nicht unser einziges Projekt, aber definitiv das, was gerade am wichtigsten geworden ist. Für mich ist es auch das schönste meiner gesamten Karriere.“ Neben dem freudigen Strahlen der Kinder während und nach der Behandlung ist es vor allem die Erleichterung in den Gesichtern der Eltern, die Bracchetti die Wichtigkeit des Projektes bei jedem Besuch im Krankenhaus wieder vor Augen führt: „Sie sind meistens die Ersten, bei denen der Knoten platzt, und diese Momente treiben auch mir schon mal die Tränen in die Augen.“

LINK Mehr zu den Projekten von „Virtual Rangers“ erfahren Sie unter www.virtual-rangers.com.