Alain spannt den Bogen Von Formen und Konfitüre: Das neue Album „Femme“ von Line Adam

Alain spannt den Bogen  / Von Formen und Konfitüre: Das neue Album „Femme“ von Line Adam
Die belgische Komponistin Line Adam

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Wenn man sich das auf CD erhältliche Oeuvre von Line Adam ansieht, so stellt man eine unwahrscheinliche Vielseitigkeit der belgischen Komponistin fest. Sie ist eine Wandlerin zwischen den Genres und vermischt gekonnt klassische Elemente mit Jazz und World.

Mit „Femme“ ist nun nach „Sculptures“ (mit dem Quatuor Thaïs) die zweite CD von Line Adam fürs Streichquartett erschienen. Adam komponiert meistens kleine, abgeschlossene Stücke mit ihrem eigenen Charakter und ihren ganz besonderen Stimmungen. „Femme“ ist abwechselnd aufgeteilt in Clair und Obscur; beide belichten weibliche Charakteristiken und Eigenschaften wie „Courbes de femmes“, „Maternance“, „Confiture de prunes“, „Amazone“, „Ombre de femmes“ oder „Sorcière“.

Line Adams Musiksprache ist eingängig, stimmungsvoll und manchmal sogar richtig schön. Die Komponistin straft all die Lügen, die glauben, zeitgenössische Musik dürfte nur atonal sein. Und ihre Kunst besteht vor allem darin, sofort auf den Punkt zu kommen. Ihre zwölf Stücke dauern zwischen rund vier und acht Minuten, und in dieser Zeit entwickelt die Komponistin ihre Ideen auf sehr verschiedene Weisen und überrascht den Hörer immer wieder durch fantasievolle Einfälle und eine einfach immer ansprechende Musiksprache. Line Adams Werke werden vom Quatuor Aïda adäquat interpretiert, bei zwei Werken kommt noch ein Klavier (Johan Dupont) und bei einem ein Saxofon (der exzellente Rhonny Ventat) hinzu. Das Tageblatt hat sich mit der Komponistin unterhalten.

Tageblatt: Line Adam, Ihr neues Album trägt den Titel „Femme“ – allerdings steht „Femme“ im Singular.

Line Adam: Es geht um die Frau im Allgemeinen. Meine Musik soll aber keine musikalische Reportage über DIE Frau sein, sondern vielmehr ihre unterschiedlichsten Aspekte und Emotion zeigen. Ich bin absolut keine Feministin. Und ich erlaube mir, das Weibliche wie durch einen Spiegel zu betrachten. Ich bin eine Frau, die in ihrer Lebensmitte steht. Und ich hatte das Bedürfnis, eine Bilanz meiner Weiblichkeit zu ziehen. Üblicherweise definiert man sich durch das, was man in seinem Leben getan hat, und übersieht dabei oft all das, was sich tief im Innern abgespielt hat, wie sich die Gefühle verändert haben, was man geworden ist. Und gibt es da Gemeinsamkeiten zwischen den Frauen? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass alle Menschen sich ähneln, aber wir Frauen dürfen etwas erleben, was den Männern verwehrt ist: nämlich die Schwangerschaft und die Geburt. Somit sind wir in Sachen Hormonhaushalt den Männern etwas voraus (lacht).

Für Ihr Projekt haben Sie das Streichquartett gewählt, das in einigen Stücken von Klavier und Saxofon ergänzt wird.

Ich habe eine sehr enge Beziehung zu den Streichinstrumenten. Und ich wollte zuerst nur für ein Streichquartett schreiben, das sich aus vier Frauen zusammensetzt. Dann habe ich mir aber gedacht, dass auch der Mann einen Platz in meiner Komposition haben soll, denn was wären wir Frauen ohne die Männer? So wird der Klavier- und Saxofon-Part jeweils von einem Mann gespielt. Und auch hier habe ich zwei männliche Interpreten ausgewählt, die ich künstlerisch sehr schätze. Eigentlich habe ich zuerst die Menschen, also Interpreten, ausgewählt, und danach die Instrumente.

„Zeitgenössische Musik berührt mich nicht“

Line Adama, Komponistin

Frauen oder die Frau in der Musik: Ein Thema, das Sie grundsätzlich interessiert?

Was die großen Frauenfiguren der Opernliteratur betrifft, Leonore, Dido, Salome, Lulu: Muss man diese Frage nicht den Männern oder den Journalisten stellen? (lacht) Aber es gibt auch Komponistinnen wie Clara Schumann, Louise Farrenc oder Lili Boulanger, die in ihrer Zeit, in der das Komponieren den Männern vorbehalten war, Mut und Persönlichkeitsstärke gezeigt haben und allen Widrigkeiten zum Trotz sehr konsequent ihren eigenen Weg gegangen sind. Sie haben ganz sicher ihren Teil zur Emanzipation beigetragen. In diesem Sinne ist es nur natürlich, dass ich mich für die Arbeit meiner Vorgängerinnen und Kolleginnen interessiere.

Sie sind eine Komponistin, die gerne unterschiedliche Stile und Genres miteinander vermischt, was man dann auch sehr stark an Ihrem neuen Album „Femme“ merkt …

Die ewige Diskussion. Ja, ich liebe viele Genres, aber nicht alles. Es gibt sicherlich etliche Einflüsse aus dem Jazz und der Weltmusik, aber ich selbst fühle mich sehr von klassischen Komponisten wie Ravel, Mahler oder Schostakowitsch beeinflusst. Und warum muss immer über einen Stil diskutiert werden? Ich finde es traurig, dass wir alles in Schubladen stecken müssen. Wozu? Was ist ein Stil? Was ist mein Stil? Eigentlich mache ich mir darüber keine Gedanken. Es ist wie in der Malerei. Eine Orange ist eine Orange, aber jeder Maler malt sie anders. Ich komponiere tonal und sehe mich als eine abstrakte Tonmalerin. Das wäre also die Etikette, die man mir aufkleben müsste.

In „Femme“ ziehen Sie Bilanz als Frau. Wie wäre denn die Bilanz der Komponistin Line Adam?

Ach, es ist so schwer, über sich selbst zu sprechen. Ich habe dafür nicht die nötige Distanz. Aber ich höre stets, dass meine Musik immer mehr einen Wiedererkennungswert bekommen hat. Ist das denn nun ein Stil? Beim Komponieren stelle ich mir diese Fragen nicht, ich lasse los und die Musik fließt aus mir heraus. Ich stelle mir auch nicht die Frage, ob die Stücke zu kurz oder zu lang sind, ob sie gefallen oder nicht. Das ist das Resultat meiner persönlichen Entwicklung: Ich schreibe, was aus mir herauskommt. Momentan arbeite ich an einem Stabat Mater, ausgelöst durch die Covid-19-Krise und die damit zusammenhängende Quarantäne. Ob dieses Werk dann später eventuell gespielt oder aufgenommen wird, ist eigentlich egal. Die Musik muss jetzt heraus.

Line Adam – Courbes de femme from the album FEMME- vidéo

Die Frage nach dem Stil ist zugleich auch eine Frage nach der Definition zeitgenössischer Musik. Wie soll man denn mit diesem Begriff umgehen?

„Zeitgenössische Musik umfasst die verschiedensten Richtungen der Musikentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Einige dieser Entwicklungen haben sich vom tonalen System abgespalten, um neue Wege zu erforschen.“ Das ist in etwa ist die Definition der zeitgenössischen Musik. Bin ich keine zeitgenössische Komponistin, weil ich tonale Musik schreibe? Dann sind die Minimalisten Philip Glass und Arvo Pärt auch keine zeitgenössischen Komponisten. Ich fühle mich denen nämlich näher als all jenen, die atonal komponieren. Ich schreibe eine Musik, die Gefühle ausdrückt und die eigentlich jeder Mensch versteht. Aber ich komponiere keine Ambient-Musik und ich bin auch nicht auf der Suche nach einem neuen Klang. Ich finde alle diese Richtungen ungemein interessant und höre sie auch selbst. Sie sind aber eben nur „interessant“. Zeitgenössische Musik berührt mich nicht. Wenn ich Musik höre, muss ich lachen oder weinen können. Und ebendas will ich mit meiner Musik auch ausdrücken.