SpinningWie Pedro Martins vom Fitnesstrainer zum Lieferanten wurde

Spinning / Wie Pedro Martins vom Fitnesstrainer zum Lieferanten wurde
So sieht es aus, wenn Spinning Instructor Pedro Martins seine Anweisungen auf digitale Weise gibt Facebook/Fitness-Lounge Fuussekaul

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Not macht erfinderisch: Spinning Instructor Pedro Martins hat nach Schließung seines Fitnessstudios erst einmal ein paar Stunden gebraucht, um den Schock zu verdauen. Dann stellte er ein Lieferkonzept auf die Beine, das gleich großen Anklang fand. Doch statt Pizza oder Pasta bringt der Unternehmer seinen Kunden Räder – und zwar direkt ins Wohnzimmer.

Vor etwas mehr als zwei Wochen brach in der „Fitness-Lounge Fuussekaul“ bei Heiderscheid eine kleine Welt zusammen: „Ich saß vor dem Fernseher und hörte Premierminister Xavier Bettel bestätigen, dass alle Fitnessstudios bis auf Weiteres geschlossen bleiben müssten. Ich bin erst mal in Tränen ausgebrochen“, berichtet Pedro Martins. Wie bei allen Selbstständigen machte sich gleich Panik breit. 4.000 Euro für die Miete sowie das Geld für laufende Kosten müssen monatlich aufgebracht werden. Über Facebook wendete er sich in seiner Verzweiflung an seine Kunden und spielte sogar mit dem Gedanken, einen Teil seiner 36 Spinning-Räder zum Verkauf anzubieten. „Stattdessen kamen ein paar andere Anfragen. Die Leute wollten wissen, ob es nicht möglich sei, so ein Rad für einen bestimmten Zeitraum auszuleihen …“

Martins war dieser Idee nicht abgeneigt und begann sofort mit den Berechnungen – um herauszufinden, wie dieses Projekt überhaupt finanzierbar wäre. Drei Tage nach der ministeriellen Entscheidung wagte Martins über Facebook einen ersten Versuch. Sieben Euro Gebühr pro Tag – für ein Rad von fast 2.000 Euro: Der Erfolg war riesig. Binnen weniger Stunden waren die ersten 36 Räder reserviert. Ausgeliefert hat sie der Besitzer ganz alleine und quer durch das Großherzogtum – nach Differdingen, Petingen, Junglinster oder Huldingen. „Viele Menschen aus dem Süden haben mich angeschrieben“, berichtet der geprüfte Spinning Instructor. „Die Sicherheitsvorkehrungen wurden bei der Lieferung strikt eingehalten. Einige haben mir aus dem Fenster zugewunken, bei anderen haben wir konsequent auf den nötigen Mindestabstand geachtet.“

Wasser, Handtuch, Pulsuhr

Aufgegangen ist der Plan aufgrund seiner einfachen Umsetzbarkeit. Für das Trainieren im Eigenheim vor dem Bildschirm braucht es nach der Lieferung lediglich „eine Wasserflasche, ein Handtuch und bestenfalls eine Pulsuhr. Diese dient dem Ermitteln der maximalen Herzfrequenz, damit das Training an die persönliche Leistung angepasst werden kann.“ Komplett aufgebaut und in tadellosem Zustand wechselten die Rollen den Besitzer auf Kurzzeit. Angst um das hochwertige Material macht sich Martins keine: „Das sind industrielle Produkte und kein Billigartikel aus dem Internet … So ein Rad wiegt 63 Kilo und ist sehr robust. Es kann eigentlich nichts kaputtgehen, außer es würde jemand den Sattel einschneiden. Aber dann bestelle ich einen neuen und verlange das Geld zurück.“ 

Normalerweise stehen 36 Räder im Fitnessstudio zur Verfügung
Normalerweise stehen 36 Räder im Fitnessstudio zur Verfügung Facebook/Fitness-Lounge Fuussekaul

Die neuen Kunden verwickelten den Fachmann ins Gespräch und auch über Facebook wurde ihm immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Die Leute wollten wissen, ob es keine zusätzlichen Online-Kurse geben könnte.“ Anders als bei der Möglichkeit, das Material auszuliefern, zögerte er hier länger. Großer Fan von Trainingseinheiten mithilfe eines Bildschirms war der ausgebildete Spinning Instructor nämlich nie. „Die Verletzungsgefahr und die Fehlerquote ist hoch, wenn man nicht vor Ort eingreifen kann. Sind die Knie nicht optimal ausgerichtet, kann das zu Schäden führen.“ Gleiches gilt für die Sitzpostion: Eine schiefe Haltung oder eine falsche Position der Fußgelenke können zu falscher Belastung des Beckens führen. „Andererseits befand ich mich ja in einer blöden Situation, da mein Studio geschlossen bleiben muss“, sagt Martins. Anpassungen mussten gemacht werden. „Es geht nicht darum, die Menschen in dieser Lage ‚platt’ zu machen. Wir versuchen, die Knie wenig zu belasten und gleichzeitig etwas für die Gesundheit zu tun. Ich muss während der Trainingseinheiten niemandem beweisen, wie lange ich sprinten kann oder wie rot mein Gesicht werden kann.“

40 neue Räder gekauft

Er ließ sich demnach breitschlagen, glaubte dem „durchwegs positiven Feedback“, auch wenn es zunächst ungewohnt war, sich selbst auf dem Rad zu filmen und die Kurse live bei Facebook anzubieten. Wer nicht bei der morgendlichen Einheit mitfahren kann, findet das Video später auf der internen Plattform der „Fitness-Lounge Fuussekaul“. Abends stoßen meist noch einmal über 30 Sportbegeisterte bei der zweiten Einheit hinzu, sodass Martins täglich über 100 Menschen beim Spinning zusehen können und mitstrampeln. „Es ist einfach toll zu sehen, wenn mir jemand über seine Kamera winkt oder mir einen ‚Daumen hoch’ hinterlässt“, meint der Coach. 

Dieses Geld hatte ich eigentlich zur Seite gelegt, um mir ein eigenes Gebäude für mein Studio zu finanzieren. Aber jetzt ist die Nachfrage da. Wenn ich untergehe, dann wenigstens mit dem Gewissen, alles versucht zu haben.

Pedro Martins

Überwältigt vom großen Interesse setzte sich Martins ein zweites Mal hinter den Rechner. Diesmal war der Invest allerdings deutlich größer als Spritgeld. „Ich habe den Schritt gewagt und 20 neue Räder bestellt.“ Und auch die zweite Ladung ist innerhalb von wenigen Tagen restlos aus seinem Studio verschwunden. Martins schob zwischenzeitlich Schichten von über 15 Stunden, baute die neuen Räder auf und fuhr mit seiner Ladung quer durch Luxemburg. Nach den 37.000 Euro für die erste Lieferung bestellte er aufgrund der anhaltenden Nachfrage ein weiteres Mal 20 Räder für 39.000 Euro. „Dieses Geld hatte ich eigentlich zur Seite gelegt, um mir ein eigenes Gebäude für mein Studio zu finanzieren. Aber jetzt ist die Nachfrage da. Wenn ich untergehe, dann wenigstens mit dem Gewissen, alles versucht zu haben.“ Mittlerweile sind auch diese Räder weg, für eine Mindestdauer von 14 Tagen. Das letzte der 76 Geräte brachte Martins am Freitag zu einem Kunden. „Ich habe noch nie Werbung machen müssen. Doch diesmal habe ich jeweils dreimal zehn Euro auf Facebook investiert, um die Sichtbarkeit zu erweitern – und es hat sich gelohnt.“

Es öffneten sich in der Zwischenzeit sogar neue Türen: Innerhalb der ersten beiden Wochen haben sich bereits spanische Studios gemeldet, welche die Videos für ihre eigene Zwecke kaufen möchten. „Dafür müsste ich die Videos dann auf Portugiesisch drehen.“ Was nach dem Ende des Lockdowns mit den verbleibenden 73 Rollen geschieht, steht noch nicht genau fest. Drei „Mieter“ haben ihm das Rad inzwischen abgekauft. „Ein Freund hat mir bereits seine Lagerhalle angeboten, damit ich die Räder irgendwo unterbringen kann.“ Zudem will er mit einer Reihe an Charity-Events Aufmerksamkeit wecken und möglicherweise einen Teil Material zum Verkauf anbieten. Solange es keine Konkurrenz gibt, bleibt der kreative Kopf positiv: „Eigentlich habe ich Glück. Kein Fitnessstudio würde in Räder von 1.870 Euro investieren und dafür nur 49 Euro pro Woche verlangen“, um hinzuzufügen: „Egal, wie diese Krise ausgeht, ich brauche eigentlich nur vier Quadratmeter und eine Kamera, um für jeden erreichbar zu sein.“

Am 1. April kam die letzte Bestellung bei Pedro Martins an – zwei Tage später wurde das letzte dieser Räder verliehen
Am 1. April kam die letzte Bestellung bei Pedro Martins an – zwei Tage später wurde das letzte dieser Räder verliehen Facebook/Fitness-Lounge Fuussekaul

Die Nachwuchshoffnungen

Vor vier Jahren erschien ein gewissen Loïc Bettendorf, mittlerweile beim Leopard Pro Cycling Team unter Vertrag, zum ersten Mal in der Fitness-Lounge Fuussekaul. „Sein Ziel war es damals, es in eine Profimannschaft zu schaffen.“ Gemeinsam mit Paul Weisgeber wurde seit 2016 die Zielsetzung „Landesmeistertitel“ verfolgt. „Auch das haben wir erledigt“, lacht Pedro Martins, der zudem eine der großen Hoffnungen des Luxemburger Skisports coacht: Die 13-jährige Gwyneth Ten Raa träumt von einer Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2026. 

Spinning vs. Indoor Cycling

Genau wie bei den Fitnesstrainern fehlt auch im Bereich Indoor Cycling eine globale Übersicht. Um sich offiziell den Titel „Spinning Instructor“ zu verdienen, müssen mehrere Module durchlaufen werden. „Viele nennen sich einfach Instruktor und haben nicht einmal eine Ausbildung gemacht.“ Er selbst ist einer von weltweit 120 registrierten Ausgebildeten. „Nach einer Basisformation legt man einen Monat später die ersten Examen ab. Danach hat man zwei Jahre Zeit, um 20 Ausbildungspunkte zu sammeln. Schafft man das nicht, ist man raus.“ Nach dem bestandenen dritten Level darf sich Pedro Martins mittlerweile Master-Instructor nennen und selbst ausbilden. „Nach fünf Tagen am Olympiastützpunkt der Niederlande wurden wir in den Bereichen Ernährung, Trainingstechnik sowie auf mentales und physisches Wissen geprüft.“ Neben seinem Fitnessstudio darf in Luxemburg nur die „Factory 4“ in Gasperich Kurse unter dem Namen „Spinning“ anbieten – alles andere fällt unter den Begriff „Indoor cycling“. Eigentlich waren in Luxemburg sechs Personen an einer Ausbildung interessiert, doch der Auftakt musste Mitte März verschoben werden. 

Molitor Raymond
5. April 2020 - 8.57

Super Idee PEDRO