CoronavirusDie Krise bereitet Einzelsportlern in Luxemburg existenzielle Sorgen

Coronavirus / Die Krise bereitet Einzelsportlern in Luxemburg existenzielle Sorgen
Mountainbiker Søren Nissen rechnet mit sehr schweren Monaten Foto: Editpress/Jeff Lahr

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Für viele ist Sport die schönste Nebensache der Welt, aber gerade in diesen Zeiten eben auch nur das, eine Nebensache. Was aber, wenn es die Hauptsache ist, also auch der Broterwerb der Profis? Sie unzählige Stunden, Schweiß und Anstrengung auf ihre sportliche Leidenschaft verwendeten, die nun weltweit zum Erliegen gekommen ist?

Niemand weiß, wann und unter welchen Bedingungen sportliche Wettkämpfe wieder anfangen. Diese Sorgen teilen die Berufssportler zwar mit manchen großen Wirtschaftszweigen wie der Gastronomie und dem Tourismus. Doch gerade für Einzelsportler, die sich ohne den Rahmen und die Verträge von Teams und Mannschaften ihren eigenen sportlichen Weg zusammenstricken, ist die Zukunft kaum absehbar. Spätestens nach dem schwarzen Freitag, dem 13., hängen einige Luxemburger gerade in der Luft und stellen sich Fragen über ihren weiteren Lebensweg.

Die Karriere von Lis Fautsch lief seit etlichen Monaten auf ein alles entscheidendes Turnier zu, die Olympia-Ausscheidung der Einzelfechter am 18. April in Madrid, einem Epizentrum der Corona-Krise. Danach wollte sich die Sportsoldatin drei weitere intensive Monate auf die mittlerweile verlegten Olympischen Spiele in Tokio vorbereiten, den erträumten grandiosen Abschluss ihrer Karriere. Oder halt schon in Madrid aufhören. Jetzt „trainiert“ sie nach täglichen Youtube-Videos und Anleitungen ihrer Trainer im Wohnzimmer, stemmt aus Platzgründen die Langhantel auf dem Balkon, geht laufen und wartet vor allem ab.

Sie fasst die Situation und ihre Gefühlslage knapp zusammen: „Ich war noch sportlich voll fokussiert, dachte, diese Ausnahmesituation (mit Turnierabsagen, Reisebeschränkungen) dauert vielleicht drei, vier Wochen. Aber dann wurde innerhalb einer Woche alles gestoppt. Das war schon starker Tobak, ich fiel auch in ein Loch. Ich hatte bereits Pläne für danach, einen neuen Lebensabschnitt ab September. Habe mich auch da drauf gefreut. Ich weiß, dass es für viele Leute heißt: ‘Ass nëmme Sport.‘ Ja, das stimmt, und ich habe Glück. Aber trotzdem habe ich vier Jahre sehr hart dafür gearbeitet und muss das Ganze jetzt mal verdauen.“ Die Spiele sind verlegt, im Prinzip auf nicht später als Sommer 2021, aber nichts Genaues weiß man nicht. Der eine Lebensabschnitt ist nicht abgeschlossen, soll sie jetzt aufgeben, den nächsten vorziehen? Wobei derzeit ja die halbe Wirtschaft stillsteht.

Ich war in idealer Verfassung, hätte es schaffen können. Wie ich meinen Formpeak jetzt um Monate verschieben kann, wie gut ich ohne Wettkampfpraxis antreten werde, wird für mich die größte Herausforderung.

Lis Fautsch, Fechterin

Søren Nissen kennt sich mit Wirtschaft aus. Er ist seine eigene, sportliche Ich-AG. Seit Jahren lebt der Mountainbiker von seinem Sport, kämpft auf dem Rad um Siegprämien, lässt sich seine vielen Siege im Marathonbereich von einigen Sponsoren vergolden. Was glorreicher klingt als es die Verhandlungen, die logistische Planung, die ganze Schreibtischarbeit im anstrengenden Alltag neben der eigentlichen sportlichen Leistung tatsächlich sind. Ein halbes Jahr hatte er sich auf seinen diesjährigen Saisonhöhepunkt vorbereitet, die südafrikanische „Cape Epic“, das bedeutendste MTB-Rennen der Welt. Erst abends am Freitag, dem 13. wurden der sonntägliche Start und das Rennen gecancelt. Nach einigen Umbuchungen hatte es der unumstrittene luxemburgische Meister der letzten Jahre zumindest schnell nach Hause geschafft.
Auch er findet: „Natürlich muss der Kampf gegen das Virus jetzt an erster Stelle stehen. Aber wir müssen uns auch Gedanken um die nahe Zukunft machen. Was geschieht danach? Hiervon werden viele Selbstständige und kleine Betriebe betroffen sein, das wird auch ein Problem für die ganze Gesellschaft.“

Außer in sehr lukrativen Sportarten (für die Besten) wie Fußball, Tennis, Golf, Boxen, einige weitere Teamsportarten oder auch dem Motorsport können sich die meisten Sportler ihre Leidenschaft auch in olympischen (Rand-)Sportarten nur leisten, indem der Staat sie beispielsweise als Sportsoldaten einstellt und/oder sie über Jahre ein Netz von meist langjährigen Sponsoren aufbauen. Derzeit können die Sportler aber nicht „liefern“ und angesichts einer befürchteten massiven wirtschaftlichen Rezession bauen die Unternehmen vor, wurden auch Søren Nissen bereits Budgets gekürzt oder ganz gestrichen.

Angst der Menschen und Sponsoren

In einer Pressemitteilung gibt er sich betont kämpferisch und optimistisch. Man habe mit dem kompletten, aufwändigen Team von 15 Leuten für die beiden Zweierteams noch in Südafrika ausgemacht, „2021 zurückzukommen, um unser Projekt abzuschließen“. Persönlich habe er auch die Entscheidung getroffen, seinen sportlichen Alltag mit Training weiterzuführen. Und motiviert: „Mit der Erfahrung aus vielen Jahren in der Radsportwelt kann ich euch versichern, dass nach harten Zeiten die Sonne wieder scheinen wird. Ich zweifele nicht daran. Du musst stark bleiben, hart arbeiten und die Dinge werden wieder zu deinen Gunsten laufen.“ Im Telefongespräch prognostiziert er jedoch: „Straßenrennfahrer wie Bob Jungels, Alex Kirsch oder Jempy Drucker werden Ende des Sommers wieder fahren. Das lässt sich kontrollieren. Doch meine Events, Marathons auf dem MTB, aber auch im Laufbereich, da kann man damit rechnen, dass dieses Jahr nichts mehr kommt. Die Menschen haben Angst, auch was ich von meinen Sponsoren höre. Wer will denn als Titelsponsor eines Marathons fungieren, der dann vielleicht eine neue Infektionswelle auslöst? Der Sponsor steht ja wie ein kompletter Idiot da, das kann sich derzeit niemand leisten. Es wird sehr, sehr schwierig für mich werden, vor dem Frühjahr 2021 oder vielleicht später rechne ich nicht mit neuen Rennen.“

Fechterin Lis Fautsch wollte das Jahr 2019 eigentlich mit einem Highlight abschließen und sich danach dem Berufsleben widmen
Fechterin Lis Fautsch wollte das Jahr 2019 eigentlich mit einem Highlight abschließen und sich danach dem Berufsleben widmen Foto: Editpress-Archiv

Am Freitag, dem 13. lief Kari Peters zumindest noch ein letztes Rennen in der Türkei (mit einem mäßigen Saisonbestwert von 145,83 FIS-Punkten), da beim damaligen Schneemangel deren Hochplateaus noch Wettkämpfe ermöglichten. Als alle weiteren Wettkämpfe abgesagt wurden, buchte er eher zufällig seinen Flug bereits morgens um sieben Uhr. Fünf Stunden später war die türkische Grenze dicht und alle Flüge abgesagt. Der Langläufer bleibt in seinem langjährigen Trainingsstandort Obersdorf, da er dort auch ohne Schnee besser weitertrainieren kann und er „sicher“ alleine in seiner Wohnung ist. Seine Saison will er mit Wettkampfsimulationen künstlich bis Ostern ziehen, denn weder eine Pause noch Grundlagentraining sind jetzt sinnvoll und er plant bereits für den Winter 2021. Nach einer Verletzung, Schneemangel und einem späten Einstieg war diese Saisonbilanz desaströs: „Nach 13 Monaten Training vier Wettkämpfe, das ist zu wenig.“ Er schaue jetzt von Woche zu Woche, wie es weitergehe, aber eigentlich liege das derzeit nicht in seinen Händen. Die sportliche Zukunft des Sportsoldaten und Olympiateilnehmers von 2014 hängt von den internationalen Entwicklungen und den Entscheidungen des COSL und der Armee ab.

Ruin der Athleten?

Sein Nachfolger bei Olympischen Winterspielen, Matthieu Osch, hatte sein letztes Rennen ebenfalls am 13.3., allerdings im französischen Val Thorens und auf Alpin-Skiern. Er zeigt sich noch heute verwundert: „Es ging alles rasend schnell. Anfang der Woche konnte man sich noch zwischen Rennen in Österreich oder Frankreich entscheiden, nur in Italien war alles annulliert. Österreich sagte mittwochs alles ab, Donnerstagabend sprach Macron im Fernsehen und am Wochenende waren nirgends mehr Rennen, war Trainingsstopp aller Vereine.“ Auch seine Saison sollte noch bis mindestens Ostern laufen, doch zumindest hatte er einen großen Koffer dabei. Statt Rückkehr zum Innsbrucker Trainingsstandort stand in Luxemburg die Musterung als zukünftiger Sportsoldat an. Die aber vertagt wurde. Erst mal hält Matthieu Osch jedoch an seinen Plänen fest und fokussiert sich auf das Sportliche: „Diese Saison habe ich im Rennen nie das umgesetzt, was ich im Training zeigte. Nächste Saison kann es eigentlich nur besser werden und dann fängt ja auch die nächste olympische Qualifikationsphase an.“

Matthieu Osch ist davon überzeugt, dass es in der kommenden Saison besser für ihn laufen wird
Matthieu Osch ist davon überzeugt, dass es in der kommenden Saison besser für ihn laufen wird Foto: AFP/Fabrice Coffrini

Bob Haller verschaffte der abrupte Stopp des gesamten Sports hingegen etwas Luft in seinen Qualifikationsbemühungen. Durch eine Verletzung und den Tod seines Vaters hatte er acht Monate verloren und hetzte auf der Suche nach Punkten für Tokio weltweit von Wettkampf zu Wettkampf. Mit dem US-amerikanischen Einreiseverbot ging es aus Südamerika Anfang März spontan nach Australien, von wo eine Rückreise nach Luxemburg im letzten Moment insgesamt 7.500 Euro alleine an Flugtickets kostete. Seine Mutter und Managerin befürchtet in der aktuellen Situation deshalb auch den finanziellen Ruin vieler Athleten. Mit einem neuen Laufband und einer Rolle fürs Fahrrad kann Bob Haller zwei seiner drei Disziplinen sogar in häuslicher Quarantäne absolvieren, nur das Schwimmen bereitet Sorgen. Und wie alle muss er sich in Geduld üben, abwarten, dass der Höhepunkt der Krise vorbei ist und irgendwann klarer wird, wie es sportlich weitergeht, welche Kriterien dann für den Traum von Tokio gelten.

Mit der Erfahrung aus vielen Jahren in der Radsportwelt kann ich euch versichern, dass nach harten Zeiten die Sonne wieder scheinen wird. Ich zweifele nicht daran. Du musst stark bleiben, hart arbeiten und die Dinge werden wieder zu deinen Gunsten laufen.

Søren Nissen, Mountainbiker

Obwohl ihr sportlicher Weg kurz vor dem Ende steht – diesen September erreicht sie die maximale Förderdauer als Sportsoldatin – kam auch für Lis Fautsch ein Aufgeben angesichts der großen Ungewissheit nicht in Frage: „Man weiß nicht, wie lange es geht, aber ich versuche, in Form zu bleiben, will nicht gleich alles hinschmeißen.“ Das mit der Form meint sie auch wörtlich, sofort besorgte sie sich beim LIHPS einen neuen Ernährungsplan, denn mit reduziertem Training ändert sich auch ihr Verbrauch an Kohlenhydraten dramatisch. Anstelle eines konzentrierten Schlusssprints stehen jetzt einige offene Fragen: „Ehe ich irgendeine Entscheidung treffen kann, muss ich erst mal Antworten abwarten: Ein Signal vom COSL und der Armee, wie es mit der Verschiebung finanziell aussehen kann. Wie wird der internationale Verband vorgehen? Kommt das Qualifikationsturnier im Herbst 2020 oder erst im Frühjahr 2021? Ich war in idealer Verfassung, hätte es schaffen können. Wie ich meinen Formpeak jetzt um Monate verschieben kann, wie gut ich ohne Wettkampfpraxis antreten werde, wird für mich die größte Herausforderung.“

Wer will denn als Titelsponsor eines Marathons fungieren, der dann vielleicht eine neue Infektionswelle auslöst? Der Sponsor steht ja wie ein kompletter Idiot da, das kann sich derzeit niemand leisten.

Søren Nissen, Mountainbiker