NahostNeun Palästinenser bei israelischer Razzia im Westjordanland getötet

Nahost / Neun Palästinenser bei israelischer Razzia im Westjordanland getötet
Ein Trauerzug in Dschenin führt einige der gestern von der israelischen Armee getöteten Palästinenser mit sich Foto: Jaafar Ashtiyeh/AFP

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Bei einer Razzia in einem Flüchtlingslager im Westjordanland haben israelische Soldaten palästinensischen Angaben zufolge neun Menschen getötet und Tränengas in die Kinderabteilung eines Krankenhauses abgefeuert.

Eine so hohe Opferzahl bei einem einzigen israelischen Einsatz im Westjordanland hat die UNO seit Beginn ihrer Zählungen im Jahr 2005 noch nicht festgehalten. Mit den Todesopfern von Donnerstag stieg die Zahl der in diesem Jahr bislang getöteten Palästinenser im Westjordanland auf 29. Die meisten von ihnen wurden bei Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee erschossen. 20 weitere Menschen seien bei dem Vorfall in der Stadt Dschenin verletzt worden, erklärte das palästinensische Gesundheitsministerium am Donnerstag. Unter den Toten ist demnach eine ältere Frau. Die israelische Armee wies die Vorwürfe des vorsätzlichen Tränengaseinsatzes in einem Krankenhaus zurück.

Die Armee widersprach am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP palästinensischen Vorwürfen. „Niemand hat absichtlich Tränengas auf ein Krankenhaus geschossen“, sagte ein Sprecher. „Aber die Operation war nicht weit vom Krankenhaus entfernt und es ist möglich, dass etwas Tränengas durch ein offenes Fenster hineingelangte.“

Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila hatte zuvor in einer getrennten Erklärung mitgeteilt, „Besatzungstruppen“ hätten ein Krankenhaus in Dschenin „gestürmt und absichtlich Tränengas auf die Kinderabteilung des Krankenhauses abgefeuert“. Sie sagte auch, israelische Streitkräfte hätten Rettungswagen daran gehindert, die Verletzten zu erreichen.

Die israelische Armee hingegen gab an, Einsatzkräfte seien während einer „Anti-Terrorismus-Operation zur Festnahme einer Terrorgruppe des Islamischen Dschihads“ unter Beschuss geraten und hätten ihrerseits mehrere Kämpfer erschossen. Israelische Soldaten seien nicht verletzt worden. Regierungschef Benjamin Netanjahu werde später eine Bewertung der Sicherheitslage vornehmen, erklärte dessen Büro.

Ein Fotograf der AFP vor Ort sah junge Palästinenser, die Steine auf israelische Militärfahrzeuge warfen, bevor die Streitkräfte aus Dschenin abzogen. Das Flüchtlingslager aus dem Jahr 1953 ist eine Stadt in der Stadt, in der laut UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) 20.000 Menschen untergebracht sind.

Spirale der Gewalt im Westjordanland

Der Vize-Gouverneur Dschenins, Kamal Abu al-Rub, sagte, dass die Bewohner in einem „echten Kriegszustand“ lebten. „Die israelische Armee zerstört alles und schießt auf alles, was sich bewegt“, sagte er. Die palästinensische Präsidentschaft erklärte, der Einsatz in Dschenin am Donnerstag ereigne sich „unter internationalem Schweigen“. „Das ist es, was die Besatzungsregierung ermutigt, vor den Augen der Welt Massaker gegen unser Volk zu begehen“, erklärte ein Sprecher des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas.

Die Präsidentschaft verkündete eine dreitägige Staatstrauer. Tausende kamen am frühen Nachmittag zu den Beerdigungen der neun Todesopfer in Dschenin, deren Überreste in palästinensischen Flaggen eingehüllt waren.

Die palästinensische Gesundheitsministerin rief zu einem dringenden Treffen zu den Vorfällen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz auf. Die Arabische Liga forderte internationales Handeln und verurteilte das „blutige Massaker“ unter „den direkten Befehlen“ der Regierung Netanjahu.

„Der Widerstand ist überall“ und sei bereit zur nächsten Konfrontation, erklärte ein Sprecher des Islamischen Dschihads. Die den Gazastreifen kontrollierende radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas erklärte, Israel werde „den Preis für das Massaker von Dschenin zahlen“.

Das vergangene Jahr war laut UNO im Westjordanland das Jahr mit den meisten Todesopfern seit dem Ende der Zweiten Intifada, dem Palästinenser-Aufstand von 2000 bis 2005. Der UN-Gesandte für den Nahen Osten, Tor Wennesland, erklärte, er sei „zutiefst beunruhigt und traurig über die kontinuierliche Spirale der Gewalt im besetzten Westjordanland“. (AFP)