Im Kopf eines Rebellen

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„Boom for real“ erlaubt realistische Sicht auf Basquiat.

Noch bis zum 27. Mai präsentiert die Schirn-Kunsthalle Frankfurt im Rahmen einer umfangreichen Ausstellung spannende Teilaspekte des Lebens sowie des Schaffens des US-amerikanischen Künstlers Jean-Michel Basquiat. Das Tageblatt war am Eröffnungstag vor Ort.

„I’m not a real person. I’m a legend.“ Eben diese Sätze soll Jean-Michel Basquiat kurz vor seinem frühen Tod im Jahr 1988 zu einem Freund gesagt haben. Wenig später trat der bekannte Künstler unverhofft in den sogenannten „27 Club“ ein, als er mit noch nicht einmal 30 Jahren an einer Überdosis Heroin starb.

Der Sohn einer puerto-ricanischen Mutter und eines haitianischen Vaters hatte sich bis dahin nicht nur als kreativer Überlebenskünstler ausgezeichnet, sondern auch eine sehr steile Karriere hingelegt. Seine Produktionswut faszinierte zahlreiche Menschen und sein Durchbruch in jungen Jahren war derart kometenhaft gewesen, dass sein plötzlicher Tod viele fassungslos zurückließ. Seine Aussage sollte sich durch diesen Nährboden auf eine traurige Art und Weise bewahrheiten. Denn Mystifizierung und Verklärungen nahmen ihren Lauf. Um den „Jimi Hendrix der Kunst“, wie viele ihn unpassenderweise nennen, entstand ein Storytelling, das sich sowohl in Hypes als auch in Bagatellisierungen verlieren konnte.

Die mehr als 100 Werke umfassende Ausstellung „Boom for real“ in Frankfurt, die von Dieter Buchhart und Eleanor Nairne kuratiert wurde, geht gegen eben diese Legendenbildung vor und eröffnet vielfältige Perspektiven auf den Künstler sowie den Menschen Basquiat. Anhand von elf Teilaspekten, die detailreich beleuchtet werden, können sehr unterschiedliche Wechselwirkungen zwischen dem jungen Querkopf und der Informationsflut, der dieser in einer Zeit voller historischer Umbrüche zwischen 1960 und 1988 allem voran in New York ausgesetzt war, abgelesen werden.

Einerseits wird ein intimes Porträt gezeichnet, da man beispielsweise Einblicke in Basquiats persönliche Materialsammlung erhält. Das Publikum kann sich ebenso mit für ihn prägenden kunsthistorischen und musikgeschichtlichen Werken beschäftigen oder (wenn auch nur mit den Augen) in seinen Notizbüchern stöbern. Überdies erfährt der Besucher, welche Filme und vor allem welche Musik den jungen Basquiat nachhaltig beeinflusst haben.

Darüber hinaus wird ersichtlich, aus welchen westlichen, aber auch afrikanischen Codes der Künstler sein eigenes System entstehen ließ. Ebenso wird dieser sehr persönliche, private Raum aber auch verlassen und sein Agieren in sozialen Gefügen analysiert. Seiner Umtriebigkeit innerhalb der New Yorker Underground-Szene und seinem Verhältnis zu Künstlern wie Andy Warhol, Keith Haring oder auch Rammellzee (mit dem er gemeinsam 1983 die Single „Beat Bop“ herausbrachte, die vor Ort auch durch die Vitrine betrachtet werden kann) kommt Aufmerksamkeit zu.

Schein und Sein

Zwischen alledem findet sich denn auch ein Bereich mit Selbstporträts Basquiats. Dieser beschäftigte sich schon früh mit Themen wie Identität sowie der Rezeption ebendieser. Er hinterfragte die ihn umgebende Szene nicht ohne die nötige Portion düsteren Humor. Basquiat thematisierte bestimmte Stereotypisierungen (nicht zuletzt auch jene dunkelhäutiger Künstler) und spielte auf seine eigene raffinierte Art mit ihnen.

Es hätte sich eventuell angeboten, diese statt ungefähr in der Mitte des Verlaufs eher am Ende der Ausstellung zu positionieren. Denn so wäre es nach all den aufgezeigten äußeren Einflüssen möglich geworden, zu eruieren, wie er diese interpretierte, übernahm oder vielleicht auch wieder abstieß.

Durch die von den Kuratoren gewählte Aufteilung und die Auswahl der Werke wird dem Publikum ermöglicht, den Entwicklungsprozess des gebildeten Autodidakten besser nachzuvollziehen. Wirken die zu Beginn gezeigten Werke aus der für Basquiat bedeutsamen Ausstellung mit dem Titel „New York/New Wave“, bei der er unter anderem neben Warhol, David Byrne und William Burroughs einen prominenten Platz im P.S.1 in Long Island City erhielt, noch recht minimalistisch, so lässt sich anhand weiterer Werke eine Verfeinerung der Techniken und ein Hinzukommen von Materialien ablesen. Außerdem wird sich hier keineswegs auf Leinwände beschränkt, sondern sehr unterschiedliche Objekten zieren den Weg durch die Schirnhalle.

Unkreatives Chaos

Diesen im positiven Sinne „wirren“ Charakter etwas greifbarer zu machen, gelingt in mancher Hinsicht durch einige logistische Fehlentscheidungen, die man von einer derartigen Institution eigentlich nicht erwarten würde, nicht vollends. Die – ohnehin in einer nicht gerade leicht lesbaren Schriftgröße gehaltenen – Wandtexte, die in das nächste Kapitel einführen sollen, sind in fast allen Räumen so angebracht, dass der Zugang zum Raum, wenn mehr als drei Personen gleichzeitig vor ihnen stehen, blockiert ist. Nun war der Ansturm am vergangenen Freitag aufgrund der Eröffnung natürlich verhältnismäßig groß, aber auch bei einer niedrigen Besucherzahl kann dies besonders bei einigen der kleineren Räume als unnötig störend empfunden werden.

Davon ganz abgesehen, dass die Texte in keinster Weise einem barrierefreien Schema folgen, da man sie auch ohne Sehschwäche nicht gut entziffern kann, wenn man nicht nah dran steht. Hier hätte ein (zusätzlicher) Audioguide eventuell Abhilfe schaffen und die Staugefahr eindämmen können.

Des Weiteren werden auf insgesamt drei Bildschirmen im Laufe der Ausstellung Interviews gezeigt, darunter eins mit Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol zusammen, oder auch Auszüge aus Glenn O’Briens legendärem Format „TV Party“. Die wichtigen Zeitdokumente sind jedoch kaum hörbar, sobald sich ein paar Personen im Raum normal miteinander unterhalten. Diese in einem gesonderten Raum zu zeigen oder wenigstens Kopfhörer anzubringen, hätte der Sache dienlich sein können.

Hindernisparcours

Der Film „Downtown 81“ aus der Feder O’Briens, in dem Basquiat als Hauptdarsteller fungiert, bildet den Schluss der Ausstellung. Und zwar in einem kleinen Raum, in dem sich genau eine Bank befindet. Man kann sich wahlweise auf den Boden setzen oder anderen durch Betrachten aus dem Stand die Sicht auf die Projektion versperren. Eingeschränktes Sehvergnügen und Gedränge sind also vorprogrammiert.

Jener (nicht allzu breite) Gang, in dem man sich in Basquiats Notebooks einlesen kann, wird im Gegensatz zu allen anderen Räumen kräftig beschallt. Eine Audioaufnahme, in welcher der Künstler aus dem Buch Genesis liest, läuft ohne Unterlass. Dieses „Ausstellungsstück“ an sich ist durchaus spannend, es jedoch gerade an dieser Stelle anzubringen, verfehlt seinen Sinn, da Basquiats Stimme beim Lesen in den Notizbüchern stört und ablenkt.

Allgemein folgt die Raumaufteilung einer nicht unbedingt nachvollziehbaren Logik. Während man im Teilbereich „Enzyklopädie“, der unter anderem der Bibliothek des Künstlers gewidmet ist, fast noch eine kleine Schlittschuhbahn installieren könnte und man auch in jenem, der den Fokus auf die Zusammenarbeit mit Warhol legt, reichlich Platz hat, wirken andere Passagen überladen und einengend.

Nichtsdestotrotz hält „Boom for real“ eine Großzahl an interessanten Details bereit und beeindruckt neben den Werken aus Privatsammlungen und Leihgaben mit Quellenmaterial, das ein weitreichenderes Verständnis des ohnehin facettenreichen Künstlers erlaubt. Zudem wird durch das sogenannte „Vermittlungsprogramm“ eine wichtige Begleitung geboten, durch die unter anderem Kinder spielerisch an sein künstlerisches Schaffen herangeführt werden. Erwachsene können von zahlreichen Veranstaltungen profitieren, darunter auch der „Crown Club“, der an den Mudd Club erinnern soll. Hier finden donnerstags Talks, Partys, Filmvorführungen und Lesungen statt. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass sich diese Retrospektive für Basquiat-Kenner und Neueinsteiger eignet. Eine Fahrt nach Frankfurt lohnt sich allemal.