Ben Gastauer und Ag2r fahren in Richtung Podium

Ben Gastauer und Ag2r fahren in Richtung Podium
(Julien Garoy)

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RADSPORT - Frank Schleck und Ben Gastauer arbeiteten sich am Wochenende im Gesamtklassement der Tour de France nach vorn. Gastauers Team Ag2r hat nun den Mannschaftssieg voll im Visier.

Denjenigen, die ihn bis her nicht kannten, wird sein Name spätestens seit Samstag ein Begriff sein. Ben Gastauer, Luxemburger Radprofi in Diensten des französischen Rennstalls Ag2r, zog auf der zweiten Alpenetappe Grenoble-Risoul am Col d’Izoard und später auch auf den ersten acht km des Schlussanstiegs nach Risoul eine Show an der Spitze des Pelotons ab, die man so von ihm nicht gewohnt war.

Gastauer strahlte bei seinem Kraftakt ein derartiges Selbstbewusstsein aus, dass Fachleute sich fragen, ob er im Laufe seiner weiteren Karriere wirklich dazu verdammt bleibt, den Helfer zu spielen, oder ob irgendein Sportdirektor aus ihm einen Leader machen kann. Gastauer ist mit 26 Jahren noch relativ jung (Ben wurde am 14. November 1987 in Düdelingen geboren), er ist großgewachsen (1,90) und bringt 72 kg auf die Waage. Vielleicht noch paar Pfund zu viel, um den Papiergewichten in den steilsten Bergen bis zum Scheitel Paroli zu bieten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden!

Das unrasierte Gesicht mit den aufeinandergepressten Zähnen, der aufrechte Oberkörper, der die ganze Kraft auf die Beine und von dort auf die Pedale wuchtete, bleiben auf jeden Fall all denjenigen in Erinnerung, die sich auf dem Weg nach Risoul nicht nur für die Schönheiten der Natur oder die Solofahrt des Polen Rafal Majka interessierten.

Gastauer erinnerte, nicht so vom Stil, aber von der Manier her, an Lucien Didier, der Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre resolut an die Spitze des Feldes fuhr, wenn es galt, seinen Leader Bernard Hinault heil und in bester Position nach oben zu lotsen. Didier, der Vater von Laurent, war ein exemplarischer Helfer, er opferte sich für seine Chefs (Hinault, später Fignon) und ihm wurde als „Retourkutsche“ dafür zu zwei Erfolgen in der Tour de Luxembourg verholfen (1979, 1983).

So weit sind wir beim Ag2r-Fahrer noch nicht. „Gastauer, c’était un cador chez les jeunes“, „Gastauer, das war ein Meister (ein Ass) bei den Jungen“, urteilte sein Mannschaftskollege Romain Bardet gestern über ihn in L’Equipe.

Danach aber sei er ein wenig auf seinen Lorbeeren eingenickt („après il s’était un peu endormi sur ses lauriers“). Das mag vielleicht etwas krass formuliert sein, doch wenn man die Laufbahn des Schifflingers etwas näher unter die Lupe nimmt, steckt doch ein bisschen Wahrheit in diesem Satz.

Ben konnte resultatsmäßig nämlich nicht das halten, was er als Junior versprach. Im Jahr 2005, das ist immerhin schon neun Jahre her, klassierte sich Gastauer hinter dem Russen Alexandr Pliuschin auf dem zweiten Platz der „Classique des Alpes“, einem Rennen, bei dem übrigens ein gewisser Andy Schleck 3. im Jahr 2003 hinter dem Franzosen Julien Loubet und dem Etappensieger von Arenberg, Lars Boom, geworden war.

Im Laufe seiner Karriere gewann Gastauer verschiedene Meistertitel bei den U23, die „Ruota d’Oro“ (U23 – 2008), eine Etappe und die Gesamtwertung der „Tour des Pays de Savoie“ für U23, danach aber sprang nur noch ein Titel im Zeitfahren bei den Profis heraus (2012). Gastauers Rolle im Team von Ag2r, dem er seit 2009 als Stagiaire angehört, war und ist bis jetzt die eines Helfers. Der Luxemburger bestreitet zurzeit seine sechste große Tour (bisher 3 x Giro, 2 x Vuelta), das beste Resultat erzielte er vor zwei Monaten mit einem 51. Gesamtrang im Giro.

„Le troisième homme“

In der Tour de France ist der Knoten nun richtig geplatzt, denn Ben Gastauer (momentan Platz 25 im Gesamtklassement) steht eine Woche vor seinem bisher größten Erfolg, einer regelrechten Sensation, wenn sie denn eintreten sollte.

Das Team Ag2r führt nämlich die Mannschaftswertung der Tour de France an. Sechsmal schon gewannen die Franzosen das Tagesklassement, so auch am Samstag, als Gastauer nach seiner Herkulesarbeit noch die Kraft aufbrachte, nicht mit fliegenden Fahnen wie etwa Richie Porte (27. auf 5’16“) oder Joaquim Rodriguez (31. auf 6’52“) unterzugehen, sondern als „dritter Mann“ den Mannschaftssieg von Ag2r durch einen 17. Rang (2’44“ Rückstand) zu sichern.

Zur selben Zeit feierte Frank Schleck eine Art „Wiederauferstehung“, als er den Besten lange zu folgen vermochte und sich als 7. der Etappe klassierte. Schleck arbeitete sich auf den 14. Rang der Gesamtwertung nach vorn (14’37“ Rückstand), ein Platz unter den zehn Ersten wäre perfekt, hätte es nicht die Pavé-Etappe gegeben.

Nach Etappensiegen des Polen Rafal Majka (Samstag) und des Norwegers Alexander Kristoff (Sonntag) änderte sich die Rangfolge der „Top 5“ zwar nicht, sehr wohl aber der Zeitunterschied. So baute „Maillot jaune“ Vincenzo Nibali seinen Vorsprung gegenüber dem Zweiten, Alejandro Valverde, auf 4’37“ aus. Der Spanier, der eher ein Klassiker-Spezialist ist und nicht das Zeug für einen Toursieger hat, zählt nur noch 13 Sekunden Vorsprung auf den jungen Franzosen Romain Bardet und 29″ auf dessen Landsmann Thibaut Pinot.

Valverde bliebt auch in Reichweite des Amerikaners Tejay Van Garderen (1’12“ hinter dem Spanier) und des zweiten Franzosen von Ag2r, Jean-Christophe Péraud (1’31“ hinter Valverde). Noch schlechter als dem Spanier erging es dem Belgier Jürgen Van den Broeck, der im Anstieg von Risoul 5’59“ einbüßte und vom 8. auf den 11. Platz im Generalklassement zurückfiel.