„Keine allgemeine Legalisierung“

„Keine allgemeine Legalisierung“

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Von Anke Eisfeld

Seit 2017 kann Cannabis in Deutschland auf Kassenrezept legal als Medikament vom Arzt verschrieben werden. Bereits im Oktober 2017 kündigte Premierminister Xavier Bettel die Legalisierung von medizinischem Cannabis auch für Luxemburg an. Im Parlament wird bereits über den Gesetzesvorschlag diskutiert. Zunächst sollen Cannabis-Medikamente von Krankenhaus-Apotheken an Menschen mit chronischen Schmerzen und Multiple-Sklerose-Patienten, die häufig von der Cannabis-Einnahme profitieren, abgegeben werden können. Wir haben uns mit der deutschen Wissenschaftlerin Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, über den medizinischen Cannabis-Gebrauch unterhalten.

Tageblatt: Ganz plakativ gefragt: Was ist der Unterschied zwischen dem selbst gedrehten, illegalen Joint und der medizinischen Anwendung von Cannabis?

Kirsten Müller-Vahl: Ganz wichtig ist zunächst, dass wir diese beiden Themen trennen: Es gibt einmal die medizinische Anwendung von verschreibungsfähigem Cannabis und Cannabis-Medikamenten, und dann gibt es den Freizeitkonsum. Wir reden hier auch nicht über die allgemeine Legalisierung von Cannabis, denn das ist eine andere gesellschaftliche Debatte, zu der jeder eine Meinung haben kann. Jetzt geht es um Cannabis-basierte Medikamente, das können sowohl Cannabisblüten, aber auch Fertigmedikamente auf Basis von Cannabis sein. Ich empfehle keinem Patienten, sich einen Joint zu drehen und Cannabis zu rauchen, denn das Einatmen von verbrannten Pflanzen schädigt immer die Lungen. Die bessere und schonendere Alternative ist die Inhalation der Blüten mithilfe eines Verdampfers, einem sogenannten Vaporizer.

Welche Patienten profitieren von medizinischem Cannabis?

Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl

Diese Frage kann niemand genau beantworten, weil Cannabis in keinem Land für eine spezielle Indikation zugelassen ist. Es gibt aber Zulassungen für einzelne Indikationen für einige der Cannabis-basierten Medikamente. So ist zum Beispiel in Deutschland Nabiximols (Sativex®) für die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen. In Kanada ist dieses Medikament auch für die Behandlung von Nervenschmerzen zugelassen. Für zahlreiche weitere Indikationen gibt es Hinweise auf eine Wirkung von Cannabis und Cannabis-basierten Medikamenten – etwa bei Schlafstörungen, Tourette-Syndrom oder ADHS –, es fehlen bisher aber Studien, die dies eindeutig belegen.

Cannabis ist also kein neues Wundermittel?

Nein, das ist es nicht. In Deutschland entstand 2017 eine Art Euphorie, dass das medizinisch verwendete Cannabis die Rettung für viele Patienten sei, doch ich denke, dass viele Patienten enttäuscht wurden. Cannabis kann nicht alles heilen, aber es ist anzunehmen, dass es ein sehr breites Wirkspektrum hat und möglicherweise bei viel mehr Erkrankungen eingesetzt werden kann als die meisten anderen Medikamente. Dies kann besonders in der Palliativmedizin, beispielsweise bei Krebspatienten, von großem Nutzen sein, da nicht nur Schmerzen gelindert werden können, sondern gleichzeitig der Appetit gesteigert, Ängste gelöst und Schlaf und Stimmung verbessert werden. So können bei manchen Patienten gleich mehrere Symptome mit einem einzelnen Medikament behandelt werden.

Vortrag

„Medizinische Anwendungen von Cannabis“, Vortrag von Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, 31. Mai, 19.30 Uhr, CHL (Anmeldung über www.cannamedica.lu)

Was bedeutet das für Schmerzpatienten? Können Sie bald auf andere Schmerzmedikamente verzichten?

Für die Schmerzbehandlung ist Cannabis gar nicht zugelassen. In anderen Ländern ist aber das Cannabis-basierte Medikament Nabiximols (Sativex®) für die Behandlung chronischer Nervenschmerzen zugelassen. Insgesamt gibt es gute Hinweise darauf, dass Cannabis und Cannabis-basierte Medikamente bei chronischen und Nervenschmerzen – nicht aber in akuten Schmerzsituationen wie Verletzungen – helfen. Allerdings ist die Wirksamkeit nicht so stark wie etwa die der Opiate. Cannabis-basierte Medikamente erweitern also unsere Behandlungsmöglichkeiten, werden die etablierten Schmerzmedikamente aber nicht ersetzen.

Kann denn theoretisch jeder Patient Cannabis als Medikament einnehmen?

Cannabis ist meist gut verträglich, es gibt keinen bekannten Todesfall aufgrund von Cannabis – im Gegensatz zu den Opiaten. Natürlich können Nebenwirkungen eintreten wie Schwindel und Müdigkeit, Stimmungsschwankungen und Mundtrockenheit, sehr selten auch Ängste oder Halluzinationen, wie man es auch aus dem Freizeitgebrauch kennt. Dies kann aber meist vermieden werden, indem anfänglich sehr niedrig dosiert und die Dosis dann nur langsam gesteigert wird. Doch Cannabis ist nicht für jeden Patienten geeignet und nicht jeder verträgt es. Bei schwangeren und stillenden Frauen sollte ebenso wie bei Patienten mit einer Psychose oder schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen von einer Behandlung Abstand genommen werden. Auch bei Kindern sollte eine Behandlungsindikation sehr zurückhaltend gestellt werden, da möglich schädliche Folgen nicht absehbar sind.

Wie sieht es mit der Sicherheit der Präparate bei der Dosierung und Einnahme aus?

Bei den Fertigarzneimitteln in Tropfenform, Kapseln oder Sprays verhält es sich wie bei jedem anderen Medikament aus der Apotheke: Der Patient erhält vom Arzt ein Rezept, auf dem genau steht, welche Menge wie oft eingenommen werden soll. Bei der Abgabe von Cannabisblüten ist es schon ein bisschen schwieriger. Idealerweise werden diese in einem Vaporizer verdampft, aber man kann natürlich daraus auch Kekse backen, Tee oder Butter herstellen. Für diese Arten der Einnahme gibt es sogenannte Rezepturvorschriften, so dass der Arzt oder Apotheker dem Patienten genau erklären kann, wie die Einnahme zu erfolgen hat. Insgesamt gelten Cannabis-basierte Medikamente als sehr sicher und das Abhängigkeitsrisiko ist bei einer ärztlich überwachten Therapie sehr gering.

Sie forschen über den Einfluss Cannabis-basierter Medikamente auf das Tourette-Syndrom. Inwiefern profitieren die Erkrankten?

Auch das wissen wir noch nicht genau. Aus kleineren Studien gibt es jedoch Hinweise darauf, dass sich die für die Erkrankung typischen Bewegungen und Lautäußerungen – sogenannte Tics – durch die Einnahme verbessern.

Wie bewerten Sie das in Deutschland im März 2017 in Kraft getretene Gesetz, das es jetzt ermöglicht, dass schwer kranken Patienten Cannabis legal verordnet werden kann?

Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Das Cannabis-Gesetz hat für viele Patienten in Deutschland die Situation deutlich verbessert. Die Behandlung mit Cannabis erfolgt jetzt unter der Aufsicht und Anleitung eines Arztes, der die Therapie überwachen kann. Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist allerdings nicht selbstverständlich. Die Beantragung bedeuten für den Patienten und seinen behandelnden Arzt einen großen bürokratischen Aufwand. Da die Kosten für Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke zurzeit in Deutschland mit ca. 200 Euro für fünf Gramm sehr hoch sind, stellt die Verschreibung mittels eines Privatrezeptes auf eigene Kosten für kaum einen Patienten eine sinnvolle Alternative dar. Ein weiteres Problem ist aktuell, dass viele Ärzte dem Thema noch sehr zurückhaltend gegenüberstehen oder eine Verordnung von Cannabis-basierten Medikamenten grundsätzlich ablehnen, so dass viele Patienten keinen Arzt finden, der die Behandlung durchführt. Für die Zukunft sind unbedingt weitere große, kontrollierte Studien notwendig, um mehr Wissen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit der einzelnen Substanzen zu erhalten.

Das muss man über Cannabis in Luxemburg wissen

Nur für Erwachsene

Aufgrund der ungenügenden Studienlage ist die Cannabis-Therapie vorrangig für Erwachsene gedacht.

Sucht und Abhängigkeit

Das Suchtpotenzial für Cannabis ist sehr gering, geringer als alkohol- oder nikotinsüchtig zu werden. Theoretisch besteht jedoch die Möglichkeit, süchtig zu werden, deshalb bedarf es einer regelmäßigen ärztlichen Überwachung und Aufklärung.

Cannabis und Autofahren

Wer kifft, soll nicht Auto fahren. Wer Cannabis-Medikamente nimmt, kann sich aber hinters Steuer setzen … Schwieriges Thema. Für Patienten, die Medikamente mit Cannabis nehmen, könnte das Gleiche gelten wie für Menschen, die andere Medikamente nehmen.
Wer fahren will, darf also fahren. Außerdem könnten Ärzte oder Apotheker die Patienten beraten, da medizinisches Fachpersonal die Therapie überwacht. Viele der Cannabis-konsumierenden Patienten sind ohnehin schwerstkrank, es bleibt also fraglich, ob und wie viel von ihnen tatsächlich am Straßenverkehr teilnehmen.

Vor Ende der Legislaturperiode

Noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode will die Gesundheitsministerin den Text über die Legalisierung des medizinischen Cannabis in die Abgeordnetenkammer bringen. Auf diese Entscheidung wurde vor allem vonseiten der Patientenvertretung gewartet. Im Januar 2017 hat sich die Vereinigung Cannamedica gegründet, um sich für die Legalisierung des medizinischen Cannabis einzusetzen. Für medizinische Zwecke könnte Cannabis in Form von Tropfen, Sprays oder sogar in Keksen verarbeitet werden.