In der Liebe durchgefallen

In der Liebe durchgefallen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Wolf H. Wagner

Die junge Generation Italiens durchstöbert Sex-Seiten im Internet und hat in immer jüngerem Alter sexuelle Beziehungen. Doch von Verhütung und Gefahren ungeschützten Verkehrs hat sie keine Ahnung.

Im Zeitalter von Smartphones, Tablets und Rechnern wird die Welt transparenter und vielschichtiger. Vor allem auch jungen Menschen wird Zugang zu Informationen verschafft, die Ältere erst im Laufe ihrer Entwicklung erhalten haben. Dies gilt insbesondere für die Sexualität. Italiens Minderjährige informieren sich per Wort, Bild und Ton über sexuelle Praktiken, surfen auf Pornoseiten oder solchen, die billigen Sextourismus anbieten.

Aufklärung über gesundheitliche Fragen – wie Infektionsgefahr mit AIDS durch ungeschützten Geschlechtsverkehr – ist ebenso reduziert wie jene über Verhütungsmöglichkeiten. Die Nachfrage nach der Pille danach ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Pädagogen und Psychologen sind erschrocken über die Unkenntnis der Jugendlichen und fordern die Gesellschaft auf, auf die neue Entwicklung zu reagieren.

Sexfilme nachspielen

Italien steht damit nicht allein. In den USA haben Studien ergeben, dass 13- bis 14-Jährige ständig auf Pornoseiten surfen. Eine Forschung der University of Indiana belegte, dass 93 Prozent der männlichen und 62 Prozent der weiblichen Jugendlichen hier unterwegs sind. Für Italien, so die ehemalige Präsidentin der Europäischen Föderation für Sexologie, Chiara Simonelli, gelten ähnliche Zahlen. „Den Jugendlichen fehlen jegliche Basiskenntnisse zu ihrem Körper und zur Sexualität“, so die Psychologieprofessorin der Universität Sapienza in Rom. „Doch ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen sie bereits im Alter von zwölf Jahren, sie ’spielen‘ nach, was sie in den Filmen gesehen haben.“

Pille danach legt massiv zu

Dabei ist der Informationsmangel erschreckend hoch. In einer vom Pharmakonzern Bayer in Auftrag gegebenen Studie erklärten 51 Prozent der Jugendlichen, nichts über geschützten Sex zu wissen, jeder Vierte hielt eine Schwangerschaft für unwahrscheinlich. Und weitere 40 Prozent hatten im darauf ankommenden Moment kein Verhütungsmittel dabei. Deutlich ist dabei der Anstieg des Konsums der Pille danach.

Waren es 2012 noch 7.796 Verschreibungen, so waren 2014 schon 16.797. Nachdem 2015 die Altersgrenze von 18 Jahren für eine Verschreibung aufgehoben wurde, stieg die Zahl der verordneten Medikamente auf 145.101, 2016 nochmals auf 189.589. Erschreckend ist dabei auch die Unkenntnis über die Wirkungsweise der Mittel. „Die dümmste Frage, die mir je gestellt wurde, war: Schützt die Pille danach auch vor AIDS?“, empört sich die Psychologin Paolo Marmocchi aus Bologna.

Alkohol enthemmt

In vielen Fällen spielt auch der Konsum von Alkohol und Drogen eine entscheidende Rolle für ungehemmten Sex. Besonders gefährdet ist die Generation der 12- bis 14-Jährigen. Einer italienischen Studie zufolge hatten 38,3 Prozent der 15-Jährigen, 17,7 Prozent der 13-Jährigen und immerhin 7,6 Prozent der Elfjährigen Erfahrungen mit Alkohol. Sie erklärten, mindestens einmal mehr als fünf alkoholische Getränke an einem Abend zu sich genommen zu haben.

Sogenanntes Binge-Drinking, auch Komasaufen mit anschließendem Sex, ist selbst schon bei den Jüngsten in Mode. Psychologen sehen die Gefahr, dass zwischen beidem Abhängigkeiten entwickelt werden, sodass die jungen Menschen nicht mehr fähig sind, echte Bindungen einzugehen. Mit Liebe, so konstatieren die Mediziner, hat all dies nichts mehr zu tun.