Xi ohne Grenzen

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China erlebt einen historischen Wandel. Auf die Reform und Öffnung unter Deng Xiaoping folgt jetzt die „neue Ära“ von Xi Jinping: Eine Alleinherrschaft mit Personenkult, starker Kontrolle und Repression durch die Partei, wie Kritiker warnen. Droht eine „neue Eiszeit“?

Trotz der Bedenken im Volk über eine allzu große Machtfülle in seinen Händen baut Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Herrschaftsgewalt noch weiter aus. Mit Einstimmigkeit ließ sich „Chinas starker Mann“ in Peking am Samstag vom Volkskongress für eine zweite fünfjährige Amtszeit bestätigen. Auch erhob das nicht frei gewählte Parlament seinen einflussreichen Verbündeten Wang Qishan zum neuen Vizepräsidenten. Trotz dessen Pensionsalters von 69 Jahren soll ihm der erfahrene Krisenmanager innenpolitisch die Gegner vom Hals halten und sich außenpolitisch um das schwierige Verhältnis zu den USA unter dem unberechenbaren US-Präsidenten Donald Trump kümmern.

Als Staats-, Partei- und Militärchef Chinas stützt Xi seine Macht vor allem auf die neue Super-Überwachungsbehörde, die für treue Gefolgschaft im Staatsapparat sorgen soll. Die knapp 3000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes beförderten am Sonntag seinen 64-jährigen Vertrauten Yang Xiaodu zum Chef der neu geschaffenen „Nationalen Aufsichtskommission“. Das Machtorgan soll mit weitreichenden Vollmachten gegen Korruption, Dienstvergehen oder auch eine allzu lockere Umsetzung politischer Ziele vorgehen.

Die Disziplinarbehörde kann Verfahren einleiten, Verdächtige festnehmen und bis zu sechs Monate ohne Gerichtsbeschluss in Gewahrsam halten, ermitteln und bestrafen. Kritiker sehen ein Werkzeug der Repression, um Kontrolle zu sichern, politische Feinde zu verfolgen und potenzielle Gegner einzuschüchtern. Auch wird beklagt, dass das Überwachungsorgan mit lokalen Unterkommissionen unabhängig von Gerichten und Staatsanwaltschaften operieren kann.

Umbau der Regierung

Der politisch geschwächte Ministerpräsident Li Keqiang, der im Schatten des übermächtigen Staats- und Parteichefs steht, wurde am Sonntag für eine zweite Amtszeit bestätigt. Der 62-Jährige dürfte noch weitere Zuständigkeiten verlieren, wenn am Montag Xi Jinpings einflussreicher Wirtschaftsberater Liu He zum neuen Vizepremier und möglicherweise auch zum Zentralbankchef gemacht wird. Li Keqiang gehört nicht zum Lager des Staats- und Parteichefs und hatte schon vorher Kompetenzen abgeben müssen, als Xi wichtige Regierungsfunktionen in Arbeitsgruppen der Partei verlegt hatte.

Der Volkskongress billigte auch den umfassendsten Umbau der Regierung seit langem. Der Staatschef will damit verkrustete Machtverhältnisse aufbrechen und „Interessengruppen aufrütteln“, wie seine Berater sagten. Die Zahl der Ministerien und Aufsichtsbehörden im Rang eines Ministeriums wird von 34 auf 26 zusammengestrichen. Auch wird die Finanz- und Bankenaufsicht zusammengelegt. Die neue Superbehörde soll die weit verzweigte Finanzbranche ohne Gezanke um Zuständigkeiten besser kontrollieren, um riskante Kreditvergaben und die dramatisch hohe Verschuldung der Unternehmen einzudämmen.

Fünf Jahre nach seiner Amtsübernahme ist Xi Jinping heute so mächtig wie kein anderer Führer seit Mao Tsetung. Die Erinnerung an die Allmacht des Staatsgründers löst unter Chinesen aber Unbehagen aus, weil er das Land ins Chaos gestürzt hatte. Um die Wiederkehr eines solchen Diktators zu verhindern, hatten seine Erben die Macht verteilt, Partei und Regierung getrennt und eine Nachfolgeregelung eingeführt, die alle zehn Jahre einen Generationswechsel vorsah.

Ende des „kollektiven Führungsmodell“

Doch Xi hat das „kollektive Führungsmodell“ beendet. Auch verschmelzt er Staat und Partei. Die Partei bekommt wieder die absolute Führungsrolle. Sein „Gedankengut für eine neue Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“ wurde als Leitidee in der Staatsverfassung verankert. Auch ließ sich der Präsident vom Volkskongress per Verfassungsänderung den Weg frei machen, unbegrenzt viele Amtszeiten herrschen zu können. Das geht vielen Chinesen zu weit, da sie einen „neuen Kaiser“ fürchten.

Die Zensur geht im Internet massiv gegen kritische Stimmen vor und blockt Begriffe wie „Ich stimme nicht zu“, „Der Traum des Kaisers“ oder „Personenkult“. Einige Chinesen sahen in dem ungewöhnlichen Wintereinbruch mit Schneefall in Peking am Tag der Wiederwahl von Xi Jinping ein ominöses Zeichen für den Beginn einer „neuen Eiszeit“. „Der Wille einer Person steht über der Partei und über dem ganzen Volk“, beklagte Deng Yuwen, der in Ungnade gefallene frühere Vizechefredakteur eines Magazins der Parteihochschule. „Niemand wird diesen großen Führer noch in seine Grenzen weisen können.“

China erlebt damit einen tiefgreifenden, historischen Wandel von der Ära Deng Xiaopings, der in den 80er Jahren die Reform und Öffnung und den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes eingeleitet hatte. Der renommierte China-Experte und amerikanische Jurist Jerome Cohen charakterisierte die „neue Ära“ Xi Jinpings so: „Eine personalisierte Ein-Mann-Herrschaft verstärkt durch wirksame Parteikontrollen in allen Bereichen des Lebens, wachsende Intoleranz bei abweichenden Meinungen, stärkere direkte Kontrollen der Wirtschaft und noch größere Repression durch die Überwachungskommission.“