Der TGV verliert an Reiz

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Die Passagierzahlen gehen zurück, die Rentabilität sinkt. Der TGV verliert seine Anziehungskraft, schreibt der französische Rechnungshof.

Der Begriff TGV steht in Frankreich für den Fernzug schlechthin. Jeder will den TGV haben. Jeder will die Hochgeschwindigkeit haben. Aber tatsächlich fährt der Zug zu 40 Prozent auf normalen Gleisen. Tatsächlich verfügt Frankreich auch nur über vier Hochgeschwindigkeitsstrecken, auf denen der Zug seine volle Geschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde ausfahren kann. Auf den restlichen Strecken zuckelt der TGV mit Geschwindigkeiten von zwischen 120 km/h und auf ausgebauten Strecken 160km/h durch die Lande. Der TGV ist in vielen Fällen einfach nur der neue Intercity.

Der TGV
Die französischen Hochgeschwindigkeitszüge TGV (Train à Grande Vitesse) sowie deren Geschwisterzüge Thalys und Eurostar verkehren außer in Frankreich auch in Belgien, Deutschland, Großbritannien, in den Niederlanden, Italien, Luxemburg und in der Schweiz.

Der Zug erreichte 1990 bei einer Rekordfahrt eine Spitzengeschwindigkeit von 515,3 Stundenkilometern. Die Höchstgeschwindigkeit im normalen Betrieb beträgt 320 Kilometer in der Stunde. Für den TGV wurden eigene Schnellfahrstrecken gebaut. Die erste wurde 1981 zwischen Paris und Lyon eröffnet.

Der französische Rechnungshof kritisiert in einem Gutachten, dass der TGV sich in den vergangenen 30 Jahren von seiner Ursprungsaufgabe deutlich entfernt hat. Die ursprüngliche Strecke lautete Paris – Lyon und verband zwei Ballungsräume miteinander. Das Ziel damals: Mit Zügen der Hochgeschwindigkeit sollte der Himmel entlastet werden. Der TGV sollte Flüge auf der Kurzstrecke überflüssig machen. Dieses Ziel gilt weiterhin. „Bis zu einer Fahrzeit Hochgeschwindigkeit von drei Stunden (Paris-Lyon, bis nach Marseille vier Stunden) erfüllt der TGV seine Aufgabe“, stellt der Rechnungshof fest.

Auf den bisherigen Strecken, etwa Rennes – Paris, ist der Zug zwei Stunden unterwegs und hat Flugzeug und auch Auto überflüssig gemacht. Der TGV hatte allerdings von Beginn an eine andere Verführungskraft. Der Zug strahlte Modernität aus, hängte vom Ansehen her die alten, überlebten Reisezugwagen ab. Jeder Präsident einer Region, wichtige Bürgermeister, Chefs von Départements, wollten ihn haben. Es wurden Bahnhöfe gebaut, an denen am Tag nicht einmal zehn Reisende in den TGV stiegen. Die Folge: Statt hunderte von Kilometern durchzufahren, wurde der TGV in manchen Regionen aus Prestigegründen zu einem Bummelzug. Der TGV ist von Lokal- und Regionalpolitikern zu einem Argument der Entwicklungspolitik genutzt worden, das aber in der Regel nicht gezogen hat, kritisiert der Rechnungshof.

230 Bahnhöfe

In der Bretagne zum Beispiel hält der Zug auf der Strecke von Rennes nach Quimper oder von Rennes nach Brest mit fünf und sieben Stationen häufiger als die Regionalzüge. Der TGV Est hat von Metz aus eine Abzweigung nach Luxemburg, fährt mit der Geschwindigkeit eines Regionalzuges und hält in Thionville. Der TGV nach Frankfurt hält von Metz aus in Forbach an der französisch-deutschen Grenze und dann gleich dahinter wieder in Saarbrücken, gewöhnt sich danach an die deutsche Geschwindigkeit von um die 200 km/h. In Frankreich, kritisiert der Rechnungshof, hält der TGV mittlerweile an 230 Bahnhöfen. Der deutsche ICE bedient in Deutschland um die 50 Bahnhöfe.

Die Gunst der Passagiere verliert der TGV nach und nach. Im Jahre 2012 waren es 4,9 Millionen Passagiere im TGV, ein bisheriger Rekord. Im vergangenen Jahr aber verlor der TGV 200.000 Passagiere. Der Trend soll in diesem Jahr weitergehen. Bei der Rentabilität hat der Zug ebenfalls den Weg nach unten angetreten. Im Jahre 2009 lag sie noch bei 24 Prozent. Innerhalb von vier Jahren hat sie sich auf 12 Prozent halbiert.

Andere Probleme

Das französische Eisenbahnunternehmen SNCF befindet sich mit dem TGV noch in anderen Schwierigkeiten. Aus der Studie geht hervor, dass die SNCF unter dem Druck der Regierung Züge bestellt hat, „um den nationalen Hersteller“ zu unterstützen. Die SNCF aber hat 40 Milliarden Euro Schulden. Im internationalen Vergleich ist der TGV zwar ein schneller, aber kein bequemer oder komfortabler Zug. In der zweiten Klasse fehlt der Stromanschluss für Laptops, den nur die erste Klasse für jeden Sitz hat. So mancher Sitz in den Zügen ist durchgesessen. Selbst französische Journalisten empfehlen der SNCF, sich bei ihren Zügen eher am deutschen ICE zu orientieren.

Die SNCF aber geht einen anderen Weg. Sie hat den „Low Cost TGV“ erfunden, mit geringerem Sitzabstand, ohne Bordbistro und auch ohne abulante Bedienung im Zug.

Der Rechnungshof empfiehlt der SNCF, den TGV von seinen 230 Haltepunkten wieder auf die ursprüngliche Bestimmung als „Langstrecken-Renner“ zurückzukehren. Die Zahl der Haltepunkte sollte zurückgeführt werden, an denen der TGV stärker mit Regional- und Intercity Zügen verbunden werden sollte. Die SNCF reagierte statt mit strukturellen Verbesserungen, wie empfohlen, mit der Gebührenschraube. Das Platzsystem im TGV ist streng und dem Flugzeug angepasst. Wer seine Platzkarte von einem Zug zum anderen wechseln will, soll dafür zukünftig zahlen. Das dürfte die Sympathie der Nutzer weiter schwinden lassen, denn der TGV gilt jetzt schon in Frankreich als ein teurer Zug.