Kommission der letzten Chance

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Nach diversen Ränkespielen, politischen Deals und dankder nötigen Überzeugungskraft war es am Mittwoch so weit: Die neue Juncker-Kommission wurde im Europaparlament (EP) bestätigt.

Sie steht einerseits für eine Stärkung des EP, andererseits könnte sie die Rückkehr eines politischen EU-Kommissionspräsidenten bedeuten.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Während Jean-Claude Junckers Vorgänger José Manuel Barroso als unpolitische Spitze und „Merkels Mann“ wahrgenommen wurde, wünschen sich nicht wenige einen politischen Präsidenten. Dies nicht ohne Grund: Angesichts der grassierenden Arbeitslosigkeit in Europa, der zunehmend euroskeptischen Stimmung und eines wachsenden Rechtspopulismus kann die einzige Antwort auf diese bedenklichen Entwicklungen nur eine Kommission mit konkreten politischen Visionen sein. Dass Juncker von einer Kommission der „letzten Chance“ spricht, ist demnach in der Sache richtig. Doch wie viel Substanz steckt wirklich hinter dieser rhetorisch geschickten Darstellung seines neuen Kommissionsteams?

Der Unmut über das an sich einmalige Friedensprojekt Europa ist nicht mit reaktivem Krisenmanagement und daran gekoppelten Kurskorrekturen überwindbar. Es bedarf vielmehr konkreter Vorschläge, wie man beispielsweise das Wirtschaftswachstum in der Union wieder anzukurbeln gedenkt. Junckers Vorschlag, ein 300-Milliarden-Euro-Projekt zu genau diesem Zweck in die Wege zu leiten, ist ein begrüßenswerter Start. Allerdings beginnen hier bereits die Probleme: Für einige geht dieser Vorschlag nicht weit genug, andere halten ihn für Größenwahn. Heftige Debatten im Rat, der Kommission und im Parlament sind vorprogrammiert – aber nötig. Eine ähnliche heikle Baustelle ist die Überwindung der deutsch-französischen Machtspiele, deren duale Logik sich zunehmend in einer realitätsfremden Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Europas äußert: Entweder Austerität oder Investieren, lautet das Kredo.

Diese seit Jahren anhaltende, ermüdende und sinnlose Diskussion hat weder zu sinkenden Arbeitslosenzahlen geführt noch zu einem anhaltenden sowie substanziellen Wirtschaftswachstum. Im Gegenteil. Dieser wirtschaftliche Glaubenskrieg ist vielmehr Ausdruck eines unterschiedlichen Verständnisses der Europäischen Union in Berlin und Paris.

Und genau hier sollte Juncker mit einer Vertiefung der europäischen Integration eigene Akzente setzen. Dies, damit die Kommission eben nicht, wie es der Liberale Guy Verhofstadt gestern auf den Punkt brachte, zum „Sekretariat des Rates“ verkommt. Verhofstadts Verweis auf die visionäre Kraft des ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors sprach in diesem Zusammenhang Bände: Die pointierte Bemerkung, dass der europäische Binnenmarkt auf die Initiative Delors’ zurückgeht, verdeutlicht, wie weit sich die scheidende Barroso-Kommission von dieser Art von Projekten entfernt hatte.