Öffnungszeiten: Wir shoppen, also sind wir

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Sollen die Öffnungszeiten im Handel gelockert werden? Das Thema ist nach einem rezenten Urteil des Verwaltungsgerichts wieder aktuell. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) verschließt sich keiner Reform der Öffnungszeiten unter gewissen Bedingungen. Die Handelskonföderation fordert maximale Liberalisierung.

Weil die nahe Tankstelle Backwaren schon vor sechs Uhr morgens verkaufen darf, ihre Bäckerei jedoch nicht, reichte die lokale Backstube 2015 einen Antrag auf eine Ausnahmeregelung bezüglich der Öffnungszeiten ein. Das Wirtschaftsministerium lehnte das Ansinnen ab, was die Bäckerei nicht zufriedenstellte. Es folgte ein Antrag beim Verwaltungsgericht, die Entscheidung des Ministers für nichtig zu erklären.

Zurück auf Los

Ihr Urteil fällten Richter am 18. Oktober 2017: Die Entscheidung des Ministers sei rückgängig zu machen.

Das wiederum passt Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) nicht. Man werde Berufung einlegen, meinte er am Dienstag dem Tageblatt gegenüber. Gleichzeitig verschließt er sich einer Reform der Öffnungszeiten nicht bei entsprechenden Gegenleistungen für die Beschäftigten. Das könnte mehr Lohn oder aber zusätzliche freie Tage sein. Fragen, die gemeinsam mit den Sozialpartnern beantwortet werden müssten.

Eine Reform der Öffnungszeiten im Handel war bereits im Koalitionsabkommen vorgesehen. Diesbezügliche Gespräche hatte es bereits mit den Gewerkschaften gegeben. Sie wurden aber nicht weitergeführt.

Christophe Rewenig vom OGBL relativiert. Es habe sich um rein informelle Gespräche gehandelt, sagte er uns. Auch seine Gewerkschaft will sich Diskussionen nicht verschließen. Es gehe um die Schaffung eines allgemein verbindlichen Rahmens für den ganzen Handelsbereich.

„Große Nachfrage beim Handel“

Der Direktor der Handelskonföderation, Nicolas Henckes, hatte am Dienstagmorgen u.a. bei RTL Radio für eine vollständige Liberalisierung des Handelssektors plädiert. Jeder Ladenbesitzer solle selbst entscheiden können, wann er öffnen und schließen wolle. „Attraktive Öffnungszeiten“ könnten den Handel beleben, sagte er. Henckes hatte von einer großen Nachfrage der Geschäftswelt nach einer Lockerung der Öffnungszeiten gesprochen.

Wirtschaftsminister Etienne Schneider zweifelt an der Bereitschaft vieler Geschäftsleute, die Öffnungszeiten insbesondere am Morgen auszudehnen. Die Frage sei, ob der zusätzliche Umsatz die Mehrkosten rechtfertigen könne. Auch den Gewerkschafter Christophe Rewenig kann Henckes nicht überzeugen. In Luxemburg-Stadt sei es den Geschäftsleuten überlassen, sonntags zu öffnen. Großen Erfolg habe man damit nicht. Henckes habe sichtlich Schwierigkeit, die eigenen Leute zu überzeugen.

Welche Kompensationen seine Organisation als Gegenleistung für verlängerte Öffnungszeiten fordere, wollte Rewenig nicht sagen. „Für uns ist es wichtig, dass der Mensch im Mittelpunkt steht.“ Wenn man von längeren Öffnungszeiten rede, müsse man auch über Fragen wie die Verfügbarkeit öffentlicher Nahverkehrsmittel, Öffnungszeiten von Kinderkrippen und -gärten sprechen, so der Gewerkschafter.

Verfassungswidriges Gesetz

Die aktuellen Öffnungszeiten im Handel werden durch das abgeänderte Gesetz vom 19. Juli 1995 geregelt. Dass diese Öffnungszeiten angepasst werden müssten, hatte Wirtschaftsminister Etienne Schneider bereits in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Léon Gloden (CSV) im vergangenen Jahr angedeutet.

In seiner Frage hatte Gloden eine Reaktion Schneiders auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts gefordert. Die Verfassungsrichter waren im Oktober 2016 vom Verwaltungsgericht um einen Vorabentscheid gebeten worden. Es wollte wissen, ob das Gesetz über Öffnungszeiten in seiner vorliegenden Form verfassungskonform sei. Bis zu seiner Abänderung im Jahr 2012 erlaubte das Gesetz von 1995 kleinen Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben, auch außerhalb der festgeschriebenen Öffnungszeiten ihre Kunden zu bedienen.

Das Urteil der Verfassungsrichter kam im März dieses Jahres: Die Artikel des Gesetzes über die Schließzeiten seien nicht verfassungskonform. Die Richter bezogen sich ausschließlich auf den spezifischen Fall des Verkaufs von Backwaren durch die klagende Bäckerei und die Tankstellen. Eben dieses Verdikt diente den Verwaltungsrichtern als Grundlage für ihre Entscheidung gegen den Wirtschaftsminister.

Die Diskussion um die Schließzeiten im Handel hat längst schon das Parlament erreicht. Nach seiner ersten Anfrage 2016 schoss der Grevenmacher „député-maire“ Léon Gloden (CSV) am 17. November 2017 eine zweite nach. Darin will er unter anderem wissen, welche gesetzlichen Abänderungen der Minister vorsieht.

Gloden zufolge müssten die Öffnungszeiten an die veränderten Konsumgewohnheiten angepasst werden, so der Fragesteller dem Tageblatt gegenüber.

 


Schneiders rote Linie

Ihm bleiben nach der Richterentscheidung nur zwei Alternativen: entweder die Schließzeiten ändern oder alles beim Alten belassen und den Tankstellen untersagen, ab 20 bzw. vor 6 Uhr andere Waren als Benzin und Diesel zu verkaufen, meint Wirtschaftsminister Etienne Schneider dem Tageblatt gegenüber. „Würde man den Tankstellen lediglich verbieten, Brötchen zu verkaufen, käme wohl morgen die nächste Klage von beispielsweise einem Metzger, da Tankstellen auch Würstchen verkaufen.“ Bei aller Gesprächsbereitschaft über flexiblere Öffnungszeiten auch Etienne Schneider hat seine rote Linie: „Mat mir wäert et keng komplett Liberaliséierung vun den Ëffnungszäite ginn“, twitterte er am Dienstagnachmittag.


Grenzen ziehen

Christophe Rewenig vom OGBL zufolge muss eine allgemeine Liberalisierung verhindert werden, mit der Großkaufhäuser abends bis 22 Uhr und später oder sogar nachts über öffnen könnten. Für das Anliegen kleiner Geschäftsleute wie etwa des klagenden Bäckers habe man durchaus Verständnis, sagt er. Wenn der „kleine“ Bäcker morgens um 5 Uhr öffnen wolle, warum nicht?

Im Mittelpunkt aller Überlegungen müssten die Beschäftigten stehen.


Keine festen Regeln

Nicolas Henckes, Direktor der Handelskonföderation CLC, plädiert für eine völlige Liberalisierung der Öffnungszeiten. Am bestehenden Arbeitsrecht wolle man jedoch nicht rütteln. Überstunden und Zuschläge für außerhalb der normalen Arbeitszeit geleistete Arbeit sollten auch weiterhin gezahlt werden.

Derzeit kann der Wirtschaftsminister Ausnahmen genehmigen, etwa für den Handel in Grenzortschaften und für Tankstellen. Mit dem nun gesprochenen Urteil werde er in Zukunft wohl jeden Prozess vor dem Verwaltungsgericht verlieren.

Niemand soll gezwungen werden, sein Geschäft früher zu öffnen bzw. später zu schließen. Jeder solle selbst entscheiden dürfen, so Henckes. Grenzgänger würden wohl morgens ein Croissant des Bäckers dem von der Tankstelle vorziehen. Sollte der Bedarf an zusätzlichen Dienstleistungen entstehen, wie zum Beispiel Kinderbetreuung an Sonntagen, würden schnell entsprechende Angebote entstehen.


Verändertes Verhalten

Es gehe dabei nicht darum, mehr zu arbeiten, sondern anders, betont der CSV-Abgeordnete und Bürgermeister von Grevenmacher, Léon Gloden. Auch er stellt die aktuellen allgemeinen Öffnungszeiten infrage. Warum nicht nach Bereichen regeln? So könnten etwa für Lebensmittelgeschäfte andere Schließzeiten gelten als für Bekleidungsläden, sagt er. Gloden betont die Notwendigkeit einer Einigung mit den Gewerkschaften. Auch in seiner Gemeinde befasse sich der Handel mit diesen Fragen. Zu neuen Öffnungszeiten dürfe man niemanden zwingen. Nur wäre es wünschenswert, wenn alle mitmachen würden.


Von 6 Uhr bis …

Das Gesetz vom 19. Juni 1995 sieht folgende reguläre Öffnungszeiten vor:
Sonntags und an Feiertagen: 6 bis 13 Uhr.
Samstags und am Vorabend offizieller Feiertage: 6 bis 19 Uhr.
Am Vorabend des Nationalfeiertags, Weihnachten und Neujahr schließen die Läden bereits um 18 Uhr.
Montag bis Freitag: 6 bis 20 Uhr, einmal die Woche bis 21 Uhr.
Ausnahmeregelungen gelten für verkaufsoffene Sonntage vor den Jahresendfeiern, an denen die Geschäfte den ganzen Tag über öffnen können.
Ausgenommen von diesen Begrenzungen sind Tankstellen. Die Verkaufsfläche für Lebensmittel darf 20 Quadratmeter jedoch nicht übersteigen.


Gegen Artikel 10bis

Dem Verfassungsgericht zufolge sind einige Elemente des abgeänderten Gesetzes vom 19. Juni 1995 über die Öffnungszeiten im Handel verfassungswidrig. Weshalb das Verwaltungsgericht die Entscheidung des Wirtschaftsministers, dem Bäckereibetrieb andere als im Gesetz vorgesehene Öffnungszeiten zu genehmigen, annullierte. Das Verwaltungsgericht hatte das Verfassungsgericht um eine Vorabentscheidung gebeten.

Konkret geht es um Artikel 10bis Paragraf 1 über die Gleichheit der Luxemburger vor dem Gesetz:

„Art. 10bis.

(1) Les Luxembourgeois sont égaux devant la loi.“