Sportlicher Ausflug eines Premierministers

Sportlicher Ausflug eines Premierministers
(AFP/Charly Triballeau)

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Frankreichs Premierminister war am Mont St. Michel um über Tourismus zu reden und der Normandie die Verantwortung über ihre Züge zu geben. Irgendwie eine Flucht aus Paris.

Der Protokollechef steht vor einem riesigen Gebäude aus Holz und richtet sich an die herumstehenden Männer und Frauen: „meine Damen und Herren, bitte stellen sie sich zur republikanischen Begrüßung des Premierministers auf. Brav stellen sie sich in dreier Reihe auf: Der Präsident der Region Lothringen, der Präsident und Senator des Départements Manche, Abgeordnete, Senatoren und Bürgermeister. Vorneweg der Bürgermeister des kleinen Städtchens Beauvoir, auf dessen Grund und Boden die Informationshalle über den Mont St. Michel steht, zu dem aber auch die vielen leeren Parkplätze, die seit den Attentaten und der Verhängung des Ausnahmezustandes in Frankreich auf die Autos der Touristen warten.

Manuel Valls schwebt ein, Premierminister Frankreichs, um ganz hoch oben, in der Abtei, einen Vertrag mit der Region Normandie zu unterschreiben. Mittags in Paris mit Mitarbeitern in Paris abgeflogen, ist er in der Küstenstadt Dinard in der Bretagne gelandet, weil es in der Nähe von Frankreichs zweitwichtigstem Denkmal keinen Flughafen gibt. Von dort ging es mit Hubschrauber weiter, die einschweben, als sich die lokalen und regionalen Honoratioren zur „republikanischen Begrüßung“ aufstellen. Valls legt auch die letzten mehrere hundert Meter nicht zu Fuß zurück, wie dies normalerweise Touristen tun müssen. Sieben Autos lang ist die Schlange, die vor dem Gebäude hält, vor dem der Bürgermeister dann endlich den Premierminister begrüßen darf. Die C02 Bilanz dieser Reise ist eine Katastrophe.

185 Millionen Euro

Manuel Valls, eher klein und drahtig, mit stets wachsamem, häufig stechenden Blick seine Umgebung beobachtend, ist geübt darin, solche Zeremonien über sich ergehen zu lassen. Auch die ausführlichen Erläuterungen an zwei großen Modellen über die Arbeiten an der Klosterburg lässt er mit geübtem Kopfnicken über sich ergehen, dabei ist das alles so langweilig dass der Präsident der Region, Hervé Morin, eher genervt in der Halle spazieren geht. Zehn Jahre lang ist an dem Denkmal herumgearbeitet worden. 185 Millionen Euro haben die Arbeiten verschlungen. Dafür wird der Abteiberg mit seinen 29 Bewohnern dann 18 Mal im Jahr bei hohen Fluten zu einer Insel. Vergessen wurde bei der Sache allerdings, dass eine Talsperre, die sich zweimal täglich öffnet und schließt, und auch eine Stelzenbrücke irgendwie gewartet werden müssen. Das kostet vier Millionen jährlich. Dafür fehlt die Finanzierung. Darüber will Valls reden.

Valls wird später, auf seinem Weg über die Brücke, noch einmal begrüßt. Der Bürgermeister der Denkmalsstadt – ein Mann, der bereits von seinem Gesichtsausdruck her zeigt, dass er selten gute Laune hat – empfängt ihn und begleitet ihn in die Burg hinein. Und er muss natürlich zum kulinarischen Aushängeschild, dem Restaurant der „Mère Poulard“. Hier gibt es verschiedene Menüs, die im Kern alle aus einem Omelett bestehen, dessen Eier werbewirksam im Eingang geschlagen und dann in großen Kupferpfannen in einem offenen Kamin gebraten werden. Die Öffentlichkeitswirksamkeit dieses Eierschlagens in Gegenwart des Premierministers ist Valls nicht gut genug. Er verlangt nach BFMTV. Brav öffnet sich die Gasse der Journalisten und Kameraman und Reporterin des Nachrichtensenders drängen sich hindurch, um zu filmen.

Intercity Züge

Man muss eine sportliche Kondition haben, um in den Rittersaal der Klosterburg zu gelangen. Es geht steil nach oben, durch enge Gassen, über gefährliche Stufen. Das spürt man in den Muskeln und Ungeübte fangen sich hier einen leichten Muskelkater ein. Valls bewältigt das, um im Rittersaal dann zu verkünden, dass Frankreichs Regierung nun der Region Normandie die Hoheit über die Eisenbahn gibt. Fünf Linien mit Intercity Zügen aus der Normandie nach Paris sollen zukünftig von der Region finanziert und von der SNCF betrieben werden. Dafür verspricht er eine Anfangsfinanzierung von einigen hundert Millionen Euro. Denn: Das heißt, dass die Normandie nun die Züge kauft. Die Region verfügt bisher über Züge, für deren Benutzung die SNCF eigentlich die Passagiere bezahlen müsste. Und was Valls mit seiner fürstlichen Beförderung auch nicht erfährt, ist, dass die Region um den Mont St. Michel in ihrer Infrastruktur sowohl auf der bretonischen als auf der normannischen Seite dramatisch vernachlässigt wird. Ohne Auto kommt man mehr als schlecht zum Mont St. Michel und ist in der Gegend über Stunden mangels ausreichender Bus- und Bahnverbindungen gefangen. Verkehrstechnisch gesehen ist die Gegend um den Mont St. Michel eine Wüste. Der Eisenbahnplan, für den Valls in das Niemansland zwischen Normandie und Bretagne gereist ist, wird daran nichts ändern.

Valls ist nicht zum Mont St. Michel gekommen, um sich „republikanisch“ begrüßen zu lassen und um Subventionen für Züge zu verkünden. Sein Besuch in der Normandie ist unübersehbar Vorwand, um nicht an einer Wahlveranstaltung in Paris teilzunehmen. Landwirtschaftsminister Stéphane le Foll ist der treueste Anhänger von Staatspräsident François Hollande. Er hat am selben Abend im großen Hörsaal einer medizinischen Fakultät in Paris zu einer Solidaritätsveranstaltung mit dem Staatspräsidenten geladen. Nur jeder siebte Franzose ist noch mit der Amtsführung des Staatspräsidenten einverstanden. Gewichtige Stimmen raten François Hollande zwischenzeitlich, sich nicht für eine zweite Amtszeit zur Wahl zu stellen.

„Hé oh La Gauche“

Umfragen zeigen, dass er – egal gegen wen – den ersten Wahlgang im Frühjahr 2017 nicht überstehen würde. Gegen Wind und Wetter hat Le Foll 21 der 37 Minister und Staatssekretäre unter dem Motto „Hé oh La Gauche“ zusammengetrommelt. Für den Slogan wird er in der Nationalversammlung mit Spott überschüttet. Die Fraktion der Republikaner schmettert ihn als Karnevalslied, als Le Foll dort das Wort ergreift.

Unter den Abwesenden befinden sich zwei Schwergewichte der Regierung: Der unkontrollierbare Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der ein Unternehmen besucht. Und eben der Premierminister, der eine „wichtige“ Dienstreise zum Mont St. Michel absolviert. Macron wird mit Protesten demonstrierender Gewerkschafter empfangen und diskutiert mit ihnen. Als eine junge Frau Valls anschreit „Solidarität mit Flüchtlingen“, wird sie sofort von vier schwarz gekleideten Männern weggetragen. Eine Kompanie Bereitschaftspolizei (CRS) und Gendarmen schützen ihn bei seiner körperlichen Ertüchtigung. Der Weg in den Rittersaal der Abtei ganz oben ist steil, führt über viele gefährliche Stufen in Serpentinen den Berg hinauf.

Am späten Abend kehrt der Premierminister nach Paris zurück, spät genug, um an der Wahlveranstaltung der Regierung nicht mehr teilnehmen zu können. Auf seiner „wichtigen“ Dienstreise in den untersten Zipfel der Normandie hat er den Klosterberg erklommen, ein Restaurant besichtigt, einen Vertrag unterzeichnet, Reden gehalten und sich mehrfach begrüßen und verabschieden lassen. Im Gepäck hat er allerdings auch nach Autofahrten, Hubschrauber- und Flugzeug Flügen eine katastrophale C02 Bilanz.