Clowns des Widerstandes

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LUXEMBURG - Die Zuschauer sitzen bereits in Zweierreihen an den vier Rändern einer rechteckigen Bühne, als auch die Schauspieler allmählich eintreffen.

Vier Männer und eine Frau, sie setzen sich in die letzte freie Reihe, der eine packt Fastfood aus, verteilt Burger und Cola, Ketchup spritzt, es wird herumgemault, über den Käse, über Hustenanfälle und über Sex. Der Aufstand beginnt. Zwar kein politischer, dafür aber einer der individuellen Gefühle und der Sprache.

Aufstand
Albert Ostermaier

• Inszenierung:
Frank Hoffmann
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• Weitere Aufführungen:
17., 18., 19., 13., 24. und 25. Oktober um 20 Uhr
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• im TNL
194, route de Longwy
L-1940 Luxemburg
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• Info und Tickets:
www.tnl.lu
www.luxembourgticket.lu

„Aufstand“ von Albert Ostermaier ist ein Text, den Frank Hoffmann für die diesjährigen Recklinghausener Ruhrfestspiele und das TNL in Auftrag gegeben hatte und der von den ersten Zeilen an durch seine Dichte an Anspielungen und Referenzen, durch seine Mischung aus Intellektualität und Albernheit und durch viel Pathos und noch mehr Vulgarität fesselt.

Er sollte, passend zum diesjährigen Recklinghausener Motto „in die Zeit gefallen: Schiller“, Schiller revitalisieren – den jungen, den politischen Schiller, der für Freiheit und gegen Fremdbestimmung schreibt.

Worte sind seine Waffen

Für seine Figuren hat sich Ostermaier nun auch unübersehbar bei den „Räubern“ bedient. Charles, der Protagonist seines Stückes, erinnert unweigerlich an den rebellischen, idealistischen Karl Moor. Auch für ihn sind Worte Waffen, er ist der Kopf der Rebellen und Verfasser ihrer Kampfschrift „Der kommende Aufstand“, eines Pamphlets, das im Jahr 2007 von dem sogenannten „Unsichtbaren Komitee“ ins Netz gestellt wurde und Ostermaier – neben Schiller – als zweite wichtige Referenz dient und das Stück in die Gegenwart transportiert.

Im Gegensatz zu Schillers „Räubern“ folgt „Aufstand“ keiner kontinuierlichen Erzählung, vielmehr springt Ostermaier zwischen verschiedenen Zeitebenen und zwischen Realität und Fantasie hin und her.

An die Stelle einer sich entwickelnden Handlung treten Dialogfetzen, Blöcke von Monologen und Gruppenauseinandersetzungen, die zwar vor allem durch die Konstellationen der Figuren zueinander zusammengehalten werden, gleichzeitig der Inszenierung aber auch wertvolle Brüche ermöglichen.

Monologe sind Kern des Stückes

Diese Brüche sind es, durch die Hoffmann seine Inszenierung gliedert und ordnet. Während die Gruppe, selbst überrascht von ihrem Erfolg, immer wieder gemeinsam auftritt, sich über alternative Gesellschaftsstrukturen berät und vor allem streitet, bilden die Monologe der einzelnen Figuren den eigentlichen Kern des Stückes.

Denn sie sind es, die deutlich machen, dass sich der Mensch heute – zumindest in unseren westlichen Demokratien – nicht mehr einem Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz stellen muss, sondern dass die Freiheit des Einzelnen vielmehr durch individuelle Konflikte eingeschränkt wird. Der Mensch heute ist weniger durch Machtverhältnisse gefangen als vielmehr durch sich selbst. Eifersucht gegenüber dem Bruder, enttäuschte Liebe, Vernachlässigung durch die Eltern, das sind die Motive, die die Figuren antreiben und gleichzeitig gefangen nehmen. Der politische Mantel, das Rebellieren und das Sich-Auflehnen dienen der Verkleidung individueller Ängste und Sehnsüchte.

Und deshalb ist „Aufstand“ nur ein vermeintlich politisches Stück, vielmehr hat Ostermaier die Tiefen der menschlichen Existenz ergründet und eine Satire auf die heutige Gesellschaft geschrieben, in der politische Energie meist nur als Ventil für individuelle Persönlichkeitsstörungen benutzt wird. „Die wollen die Welt retten, aber wollen sie auch mich retten?“, fragt die zwischen den beiden Brüdern Charles und Carlos stehende April.

Gruppenidentität

Die Inszenierung Hoffmanns ist ziemlich unaufgeregt. Kleine, feine Regieeinfälle, wie das sekundenkurze Heben der geballten Fäuste, Spiele mit Taschenlampen oder die Strumpfmasken (Kostüme: Katharina Polheim), aber auch die Entscheidung, die Treppen hinter der Bühne bespielen zu lassen, reichen aus, um den komplexen Text zu bebildern. Zumal sich Frank Hoffmann auf wunderbare Schauspieler verlassen kann. Die Professionalität und das präzise Spiel aller sieben Schauspieler machten den Abend zu einem wahren Hörgenuss.

Dadurch, dass in dem Stück die Gruppenidentität der Rebellen hinter den einzelnen Geschichten der Individuen zurücksteht, konnte Hoffmann jede einzelne Figur nuanciert und eigenwillig anlegen. So ist Wolfram Koch als Charles nicht nur der idealistische Kopf der Truppe (wie Karl Moor), sondern gleichzeitig auch der fiebrige, an Husten- und Schwächeanfällen leidende Künstler (wie Schiller selbst). Luc Feit als sein kleiner Bruder Carlos erinnert an Franz Moor und buhlt um die Aufmerksamkeit Aprils (Jacqueline Macaulay), die zwischen den beiden Brüdern steht und besonders in sexuell aufgeladenen Szenen fasziniert.

Der Aufstand der Sprache

Steve Karier verkörpert den Schlägertypen Mirror und wirkt herzergreifend komisch, wenn er sich über seine „Schlägerfresse“ mokiert. Und Udo Wachtveitl als Trotzki, der vielen sicherlich als „Tatort“-Kommissar aus München bekannt sein dürfte, bringt durch sein eher ruhiges Spiel eine Ausgeglichenheit auf die Bühne, die der gesamten Inszenierung guttut. Dass sich seine Wirkung als Ruhepol mit seiner Rolle als Verräter schneidet, ist dabei noch ein weiteres Augenzwinkern auf die Konstellation zwischen Schein und Sein.

Besonders überzeugend sind auch die „Gegner“, die Politikerin Gudrun (Anne Moll) und der Ermittler Eduard (Ulrich Kuhlmann), der – ebenso wie Charles – sich die Welt durch die Literatur erschließen möchte: Er schreibt das Drehbuch des Aufstandes, denn wenn er über die Rebellen schreibe, dann schreibe er sich in ihre Köpfe und könne verstehen, wie sie handeln. Menschen gehören ganz ihrer Sprache, das ist wohl die Botschaft des Stückes, die am meisten an Aufstand erinnert. Der Aufstand der Sprache!