Klangwelten: Von creepy bis apokalyptisch

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Von „Creep“ zu creepy

THOM YORKE Suspiria (OST)

Thom Yorke schreibt einen Soundtrack zu Luca Guadagninos Horrorfilm „Suspiria“ und lotet auf diesem sehr abwechslungsreichen Doppelalbum von der typischen Radiohead-Ballade über elektronische Songs bis hin zu schauderhaften Klangexperimenten eine sehr vielfaltige stilistische Palette aus.

„Call Me By Your Name“ von Luca Guadagnino galt (zu Recht) als einer der bewegendsten Liebesfilme dieser Dekade. Nach einem von der italienischen Sonne und Sufjan Stevens’ wunderbar melancholischen Gitarren durchtränkten Streifen wollte der Regisseur sich sichtlich etwas Dunklerem annehmen – wie gruselig das Remake des Dario-Argento-Streifens wirklich ist, seht ihr hier in Luxemburg ab dem kommenden Mittwoch. Den Soundtrack dazu kann man sich vorab schon anhören – und da Guadagnino für diesen niemand anderen als den Frontmann von Radiohead rekrutieren konnte, lohnt sich dies auf jeden Fall.

Die 25 Tracks (und 80 Minuten) dieses Solowerks liefern die stilistisch abwechslungsreichste Arbeit von Yorke überhaupt: Von Klangfetzen, die hauptsächlich in Begleitung der Filmbilder Sinn machen werden (Opener „A Storm That Took Everything“) über vollwertige Songs bis hin zu instrumentalen Parts, die sich eiskalter Pianoklänge („The Hooks“), Chören („Sabbath Incantation“) oder Elektronik und Orgeln („Olga’s Destruction (Volk Tape)“) bedienen, findet sich hier ein wildes Sammelsurium an Ideen, die mehr oder weniger ausgearbeitet, mehr oder weniger unabhängig vom Film funktionieren. Die klaren Highlights sind hier die ausgefeilten Tracks wie z.B. die Balladen „Suspiria“ (gleich in zwei Versionen vorhanden) und „Unmade“, das basslastige, leicht psychedelische „Has Ended“ oder die schönen Gitarren-Arpeggi von „Open Again“ – das hier angepeilte Songformat erinnert durchaus an den Radiohead-Katalog. Nichtsdestotrotz sprühen auch so einige der instrumentalen Titel vor Ideen und führen den melancholischen, unheimlichen Vibe der hier erwähnten Songs fort.

Yorke arbeitet zurzeit bereits an seinem nächsten Solo-Album. Bis dieses erscheint, kann man sich an den Höhepunkten dieser bunt zusammengewürfelten Sammlung lange satthören – inmitten von Klangstücken, die wohl am besten mit filmischer Begleitung funktionieren werden, finden sich hier einige der besten Yorke-Solo-Tracks überhaupt.

Jeff Schinker

Reif für die Apokalypse

KRIEGSMASCHINE Apocalypticists

Vor wenigen Wochen erschien, selbst für Fans etwas überraschend, das neue Album der polnischen Black-Metaller Kriegsmaschine … Haaaalt, hiergeblieben! Es gibt keinen Grund, Ihr Abo zu kündigen oder gar die Antifa anzurufen, selbst wenn man als Nichteingeweihter beim Lesen des Namens erst einmal so guckt wie Kollege Jeff Schinker aus der Kulturredaktion, als ich ihm vor einigen Tagen dieses Review vorschlug …

Trotz des, nun ja, martialischen Namens ist diese 2002 in Krakau gegründete Truppe (hüstel) politisch unbedenklich, ja ihre Texte drehen sich noch nicht einmal um Krieg, sondern eher um satanische, philosophische Themen … und zwar ohne den üblichen „Heil Satan“- oder „Ich wandere gerne durch den Schnee und hasse Menschen“-Klischees zu folgen!

Musikalisch sind die Herren Mikolaj Zentara (alias M.; Gesang, Gitarren) und Maciej Kowalski (alias Darkside; Drums) sowieso über jeden Zweifel erhaben, insbesondere Letzterer veredelt ohne Ausnahme jeden Song mit einem abwechslungsreichen Spiel, das in der Szene seinesgleichen sucht! Vielleicht würde er sich ansonsten etwas unterfordert fühlen, denn im Gegensatz zur Hauptband der beiden, den mittlerweile (innerhalb der Genregrenzen, versteht sich) recht populären Mgla, darf er hier nicht aufs Gaspedal drücken – alle Songs bewegen sich, wie bereits auf dem exzellenten Vorgängerwerk „Enemy Of Man“, im Midtempo-Bereich. Dass das großartig funktioniert und sogar einen notorischen Geschwindigkeits-Fetischisten wie mich überzeugt, dafür sorgen die ausgeklügelten, pechschwarzen und vor allem abwechslungsreichen Riffs, viele versteckte Feinheiten, die sich erst nach und nach erschließen, das unglaubliche Schlagzeugspiel, das mit ähnlich hoch veranlagten Kollegen wie Hellhammer (u.a. Mayhem) oder Jörg Heemann (u.a. Secrets Of The Moon) locker mithalten kann, und die alles durchdringende Schwärze und Schwere der Songs, die sich mit jedem Durchlauf mehr und mehr im Unterbewusstsein festsetzen … und nicht mehr loslassen.

Steve Rommes

Geordnetes Chaos

GILAD HEKSELMAN Ask For Chaos

Wir leben in turbulenten Zeiten, und ein jeder stellt sich zahllose Fragen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als Musiker hat man das Glück, diese kopfzerbrechenden Gedanken in seiner Kunst verarbeiten zu können.

Der neueste Opus „Ask For Chaos“ aus der Feder des aufstrebenden Gitarristen Gilad Hekselman drückt eigenen Angaben zufolge das momentane Chaos in der politischen Landschaft sowie die noch frische Herausforderung des Vaterseins aus. Dabei liefert er ein äußerst farbiges Album, dessen Rückgrat einerseits sein erfrischendes Gitarrenspiel darstellt, andererseits seine sehr transparente Art des Komponierens. Mit von der Partie sind hier gleich zwei seiner regulären Besetzungen, die sehr interessant kontrastieren: auf der einen Seite das „gHex Trio“, eine bodenständige Form des Gitarrentrios mit Rick Rosato am Kontrabass und Jonathan Pinson am Schlagzeug, und auf der anderen Seite „Zuperoctave“, ein weiteres Dreiergespann ohne Bass, mit Aaron Parks an den Tasten und Kush Abadey an den Drums.

Während also Ersteres mit sehr organischen und melodischen Kompositionen punktet, wie einer Hommage an Milton Nascimento oder einer wunderbaren Liebeserklärung an die Musik, so leuchtet „Zuperoctave“ modernere Klänge aus.

Die Bassrolle teilen sich hier Hekselman, indem er einen Octaver benutzt, sowie Parks am Synthesizer. Überhaupt findet man sehr geschmackvoll eingesetzte Effekte bei allen drei Musikern. Von Verzerrern über Modulatoren bis hin zu Drum-Pads und elektronischen Klängen erweitern diese punktuell eingesetzten Hilfsmittel das Klangspektrum auf eine angenehme Art.

Hekselman, 2017 vom Down Beat-Magazin zum „Rising Star“ erkoren, hat sich, seitdem er 2004 von Israel nach New York gezogen ist, zu einem festen Bestandteil der Szene gemausert, dies dank Sound und Vokabular mit starkem Wiedererkennungswert und einer großartigen Balance zwischen Virtuosität und Gefühl. Ist es also richtig zu behaupten, er könne, wenn er weiter beständig kreativ arbeitet, ein zweiter Kurt Rosenwinkel werden? Nein. Vielmehr ist er jetzt schon ein erster Gilad Hekselman.

Pol Belardi