Gefährliche Stützen – Wenn der Mensch zum Versuchstier wird

Gefährliche Stützen – Wenn der Mensch zum Versuchstier wird

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„Wenn Ford feststellt, dass die an einem bestimmten Tag hergestellten Airbags nicht konform sind, ruft der Konzern alle damit ausgerüsteten Wagen zurück. Warum geschah dies nicht in diesem Fall?“, fragt Mario (Deckname) im belgischen Le Soir. Der heute 52-jährige Übersetzer ist einer jener Patienten, denen vor einigen Jahren eine Plastik-Bandscheibe eingesetzt worden war, laut seinem operierenden Chirurgen damals ein „vielversprechendes“ Erzeugnis. Pech für Mario: Die künstliche Scheibe zerlegte sich wenige Jahre später in etliche Kleinteile. Sie mussten durch einen aufwändigen und gefährlichen Eingriff entfernt werden. Le Soir gehört dem internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) an, die nach monatelangen Recherchen die dunklen Seiten der medizinischen Prothesenindustrie beleuchten. Die Enthüllungen sind haarsträubend. Marios Bandscheiben-Modell wurde verkauft und eingesetzt, obwohl Tierversuche seine Untauglichkeit bewiesen hatten. Aber davon wussten weder Ärzte noch Behörden. Er und seine Leidensgenossen hatten als menschliche „Versuchstiere“ gedient.

Medizinische Implantate und Hilfsmittel wie Insulinpumpen, künstliche Hüft- und Kniegelenke haben unzähligen Menschen das Leben gerettet, sie von höllischen Schmerzen befreit, das Leben wieder lebenswert gemacht. Gleichzeitig forderten bauähnliche Prothesen eine bisher nur geschätzte Zahl an Menschenleben und bereiteten noch viel mehr Patienten unnötige Schmerzen. Allein in den USA, wo derlei Vorfälle seit Jahren systematisch erfasst werden, wurden in zehn Jahren 82.000 Tote und 1,7 Millionen Verletzte erfasst. In den europäischen Ländern ist kaum nachvollziehbar, welchen Schaden defekte oder unzureichend auf ihre Unbedenklichkeit getestete Ersatzstücke verursacht haben. In Belgien etwa wurden seit 2013 insgesamt 4.000 Zwischenfälle festgestellt. Die Dunkelziffer ist hoch. Die derzeit gemeldeten Fälle würden knapp zehn bis zwanzig Prozent ausmachen. In Deutschland wird die Zahl der jährlichen „Verdachtsfälle von Gesundheitsschäden durch Medizinprodukte“ auf 14.000 (Spiegel) geschätzt.

Luxemburgs Gesundheitskasse etwa weiß nicht, welche Implantate die Krankenhäuser kaufen, welchen Patienten welche eingesetzt wurden. Dabei zahlt sie den chirurgischen Eingriff und die Prothese. Und wenn das künstliche Teil erneut entfernt und durch ein anderes ersetzt werden muss, zahlt sie wiederum. Ahnungslos ist auch das Gesundheitsministerium.

Die Enthüllungen des ICIJ stellen keineswegs die Arbeit engagierter Forscher, Ingenieure und anderer Techniker infrage, die an der Entwicklung von derlei Produkten teilnehmen. Sie decken jedoch ein weitgehend intransparentes System der Produktzulassung und -vermarktung auf, ein System, bei dem die Produzenten sich quasi selbst kontrollieren, indem sie die privaten Prüfstellen auswählen und bezahlen, um die Zulassung für den europäischen Markt zu erlangen. Unter diesen Umständen muss die Objektivität der Zertifizierungsorgane doch schon angezweifelt werden. Wenig Vertrauen einflößen werden auch die gängigen Vermarktungsstrategien, um mit allen Mitteln Ärzte und Krankenhäuser von der Güte der eigenen Produktion zu überzeugen. Korrupte Ärzte in Italien, die eigenen Aussagen zufolge bewusst „Scheißprothesen“ einsetzten (Le Monde), sind wohl ein Extrembeispiel dafür, wie einzelne Hersteller mit einer gehörigen Portion krimineller Energie ihre Ware in den Markt drücken.

Die Affäre um fehlerhafte Implantate zeigt erneut die Grenzen der sogenannten freien Marktwirtschaft auf. Das Argument, der Markt würde Innovation beschleunigen und preiswerter herstellen, natürlich nur zum Wohl aller, ist ein Trugschluss. Letzten Endes zahlt die Öffentlichkeit für die Fehlleistungen des Marktes, wenn Implantate wieder herausoperiert und neue eingesetzt werden müssen. Der Profit hingegen bleibt privat. Aber Ähnliches haben wir ja in der Vergangenheit schon in anderen Bereichen erlebt.

Jacques Zeyen
3. Dezember 2018 - 9.38

Ohne allzu investigativ zu sein nehmen wir doch mal einfach an es geht wiederum um sehr viel Geld. Eine "Scheißprothese" wird immer billiger sein als hochwertiges Material. Gesundheit ist ein Milliardengeschäft,das wissen auch die Ärzte und Krankenhäuser. Unnötige Diagnostikverfahren kosten die Kassen Milliarden und das gleiche gilt für Medikamentverschreibungen. " Wat brauchste soss nach??" Im Gegenzug ist die Pharmaindustrie nicht daran interessiert Mittel gegen seltene Krankheiten zu entwickeln weil der Markt dabei keinen Gewinn abwirft. Also bleibt die These bestehen:" Glücklich ist wer keinen Arzt,keinen Rechtsanwalt und keinen Priester braucht." Ebenso der Satz des Herrn Würth:" Wirtschaft hat mit Moral nichts zu tun." Na dann: "Gesundheit!"

L.Marx
1. Dezember 2018 - 15.32

Zitat: "Und wenn das künstliche Teil erneut entfernt und durch ein anderes ersetzt werden muss, zahlt sie (die Gesundheitskasse) wiederum." In Deutschland deckte das gleiche Konsortium investigativer Journalisten zudem auf, dass viele Krankenhäuser mit den schadhaften Prothesen sogar noch Geld machen. Diese werden den Kassen beim Austausch erneut in Rechnung gestellt obwohl der Hersteller sie dem Krankenhaus kostenlos ersetzt. (ARD, Panorama Do, 13.12.)