Als Minette durch die Luft kam – Die Geschichte des „Plateau du funiculaire“

Als Minette durch die Luft kam – Die Geschichte des „Plateau du funiculaire“

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Das „Plateau du funiculaire“ in Differdingen ist heute als dicht bebautes Wohnviertel bekannt. Vorher war es eine ausgedehnte Industriebrache. Warum „funiculaire“? Hier endete die Seilbahn, die der Differdinger Schmelz „Minett“ aus Öttingen brachte. Koks und Erz wurden hier gelagert.

Von Roby Fleischhauer

Die Bezeichnung „funiculaire“ ist allerdings nicht ganz korrekt. Eine auf Abhängen funktionierende Seilzugbahn, bei der zumeist eine Kabine beim Herunterfahren durch ihr Gewicht eine zweite Kabine hochzieht, nennt man eigentlich „funiculaire“. Im Pfaffenthal z.B. funktioniert eine richtige „funiculaire“ der CFL hoch zum Kirchberg. So etwas gab es in Differdingen nicht. Differdingen war Endstation einer Seilbahn, die von der Grube im französischen Öttingen durch die Luft Minette herbeischaffte. Auf dem „Plateau du funiculaire“ befand sich damals die Entladestation dieser langen Seilbahn. Das französische Wort „téléphérique“ wäre also eher angebracht gewesen.

Ältere Einwohner vom „Fousbann“ erinnern sich noch gut an das monotone Klabbern und Klicken der Loren, wenn diese über ihr Wohnviertel hinweg schwebten. Die längste Erzseilbahn des Landes kam folgendermaßen zustande: In der Sitzung vom 12. März 1896 hatte der Verwaltungsrat des neuen Hüttenwerks in Differdingen beschlossen, gemeinsam mit der Gesellschaft Cockerill die dem Grafen von Hunolstein gehörende 253 ha große Konzession Öttingen samt den bereits bestehenden Schachtanlagen zu erwerben. Eine Drahtseilbahn sollte das in Öttingen gewonnene Eisenerz nach Differdingen bringen, wo es verhüttet werden sollte. Drahtseilbahnen waren damals das billigste Transportmittel. Und so wurde eine solche im Jahre 1906 in Betrieb genommen. Mit genau 12.780 Metern blieb sie längste Seilbahn des Landes. Die „Buggien“ fuhren also (hin und zurück) über eine Strecke von genau 25.560 Metern. Es sollten an die 50.000 Tonnen jährlich damit transportiert werden. Die Firma Pohlig aus Köln wurde im Jahr 1905 mit dem Bau beauftragt.

Die Seilbahn führte von Differdingen aus über den Fousbann, die Beleser Straße, Beles, am Belval vorbei zum „Kazebierg“, dann geradeaus Richtung Rümelingen und über die Grenze nach Öttingen. Dreimal überquerte sie dabei die Grenze: In der Nähe von Esch nach Frankreich, zurück nach Luxemburg und dann bei Rümelingen definitiv nach Öttingen zu unserem französischen Nachbarn. Die Schneise der Seilbahn ist auch heute noch auf Fousbann (rue d’Oberkorn und rue Dicks-Lentz) zwischen den Häusern und auch von der Beleser Straße aus auf den Galgenberg zu gut sichtbar. Die Seilbahn überquerte vier Eisenbahnlinien und sechs Straßen. Hier baute man Schutzbrücken, welche die Straßenbenutzer und Züge vor herabfallendem Gestein schützen sollten. Heute folgt auf Fousbann der neue Fahrradweg der Trasse der früheren Seilbahn.

1,2 Tonnen Last pro Lore

Die Loren rollten mit ihren vier Rädchen auf einem Tragseil. Von unten wurden sie mit einem zweiten Seil angetrieben, das sich vorwärts bewegte und an das sie sich festklammerten. Die Klammer (ähnlich wie eine Wäscheklammer) konnte gelöst werden. Somit war die Lore ausgekuppelt und bewegte sich nicht mehr. Durch eine spezielle Vorrichtung geschah das automatisch an den Lade- und Abladestationen. Hier wurden die Loren auf eine Art Abstellgleis geschoben, wo sie geladen bzw. entladen wurden. Zum Entladen kippte die Lore ihre Last von immerhin 1,2 Tonnen in die Füllstation in Differdingen.

Eigentlich bestand die ganze Bahn aus zwei Teilstücken, die sich auf dem „Kazebierg“ bei Esch berührten. Hier befanden sich auch die Antriebsstationen der Zugseile für die Strecke „Kazebierg“-Differdingen und für die Strecke „Kazebierg“-Öttingen. Die Rollseile, auf denen die „Buggien“ liefen, wurden mit schweren Gewichten an den Seilspannstationen in Spannung gehalten. Erwähnenswert ist außerdem, dass auf der gesamten Strecke insgesamt 144 mit Rollen versehene Maste die Seile trugen. Sie waren etwa 80 bis 90 Meter voneinander entfernt. Die Loren bewegten sich mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h.

Die ersten Loren fuhren im Jahr 1906. Inzwischen war die Differdinger Schmelz in deutsche Hände übergegangen und hieß „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-AG“. Die erste Lore, die aus Differdingen in Oettingen ankam, trug ein Schild mit folgenden Worten: Gruß aus Luxemburg. Die erste Lore aus Oettingen hingegen hatte eine etwas andere Aufschrift: Gruß aus Lothringen. Lothringen gehörte damals noch teilweise zu Deutschland. Die Loren waren mit einer Luxemburger bzw. diejenige aus Öttingen mit einer deutschen Fahne, Blumen und Girlanden geschmückt.

Selbstverständlich war es streng verboten, die Seilbahnwagen als Fortbewegungsmittel zu benutzen. Ab und zu gab es auch Unfälle bei Reparaturarbeiten. Im Jahr 1912 fiel ein Seilbahninspektor in Oberkorn aus einem „Buggi“ und war sofort tot. Im Jahre 1923 setzte in Öttingen ein Maschinist die Bahn in Betrieb, während noch zwei Arbeiter mit Reparaturen beschäftigt waren. Sie kamen beide um und der Maschinist wurde nach Metz ins Gefängnis gebracht. Es gab etliche Kabelrisse, was jedes Mal zu kostspieligen Reparaturen führte, wie im Jahre 1933 wegen der exzessiven Kälte.

Stilllegung im Jahr 1980

Die gesamte Strecke war bis zum 1. Februar 1972 in Betrieb, als die Grube Öttingen stillgelegt wurde. Ab 1972 funktionierte die Seilbahn noch zwischen dem Erzsilo „Heintzenberg“ in Esch und Differdingen. 1980 wurde die Seilbahn definitiv außer Betrieb genommen.

Heute ragen in der Nähe von Beles noch als letzte Überbleibsel ein paar rostige Masten in den Himmel. Im Jahre 1979 konstruierte die Arbed längs der Trasse der Seilbahn eine enorme Gasleitung, die das überschüssige Hochofengas vom neuen Hochofen C auf Belval zum Werk in Differdingen pumpte. Vor Jahren verschwand auch diese Leitung. Luxemburgs längste „Seelebunn“ mit ihren „Buggien“ war Geschichte.