Wer wird Esch 2022 leiten?

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Es hätte alles so schön werden können. Nun mischen sich Lokal- und Kulturpolitiker ein … und das Chaos hat begonnen.

Es hätte alles so schön werden können. Nachdem vor knapp einem Monat das „Ja-Wort“ der internationalen Jury gefallen war, stand dem Projekt Esch 2022 eigentlich nichts mehr im Wege. Und wer sich das von Janina Strötgen und Andreas Wagner aufgestellte „Bidbook“ näher angelesen hatte, konnte sich darauf freuen, wie in den kommenden Jahren der Süden unseres Landes kulturell ordentlich aufgewertet werden sollte. Nun mischen sich Lokal- und Kulturpolitiker ein … und das Chaos hat begonnen. Eine Chronik.

Es scheint, als sei man in der luxemburgischen politischen Landschaft mit dem (verdienten) Resultat der von Janina Strötgen und Andreas Wagner geleisteten Arbeit auf einmal nicht mehr so ganz zufrieden – weswegen man das Projekt jetzt erst mal, zumindest in seiner momentanen Ausrichtung, auf Eis gelegt hat.

Kommt es zu Neuausschreibungen?

So sind die Verträge von Janina Strötgen und Andreas Wagner, die am 31. Dezember auslaufen, noch nicht erneuert worden – bis zum gestrigen Nachmittag wurde gemunkelt, es solle zu einer Neuausschreibung der Posten kommen.

Für Kulturschöffe Pim Knaff, mit dem wir uns am Dienstag-Vormittag unterhielten, entspricht diese Neuausschreibung dem normalen Lauf der Dinge, steht doch im Bidbook (auf der Seite 94), dass man die Kandidatur für die Posten des künstlerischen Leiters und des Generalkoordinators neu ausschreiben soll, sobald Esch den ECoC-Titel bekommen hat.

Dies kann man zwar in der Tat im Bidbook nachlesen – die Kandidatur für Esch 2022 wurde allerdings von Janina Strötgen und Andreas Wagner, und nicht von Xavier Bettel, Guy Arendt oder Pim Knaff, geschrieben.

Klausel nicht notwendig

Die Jury habe, so Michel Clees, der als „Trésorier“ bei der Vorstellung des Projekts vor der Jury anwesend war, Janina Strötgen und Andreas Wagner darauf aufmerksam gemacht, dass diese Klausel absolut nicht notwendig wäre.

Die Mitglieder der Jury begrüßen im Gegenteil, dass man auf unpolitische, unabhängige Leiter zurückgreifen wolle: Eine Unklarheit bezüglich dieser Unabhängigkeit war einer der Gründe, wieso das Projekt bei der „Pre-Selection“ am 14. Juni 2016 durchgefallen war.

Aber drehen wir das Rad der Zeit kurz zurück: Am letzten Donnerstag hatte das Kulturministerium eine Versammlung über die Zukunft des Esch-2022-Projektes einberufen.

Staatssekretär Guy Arendt hatte Pim Knaff und die Bürgermeister Georges Mischo, Roberto Traversini und Dan Biancalana eingeladen. Janina Strötgen und Andreas Wagner befanden sich nicht auf der Gästeliste. Staatssekretär Guy Arendt bestätigte uns, dass man für dieses Treffen keineswegs gezwungen gewesen sei, die künstlerischen Leiter mit dabei zu haben.

Politisch, nicht künstlerisch

Pim Knaff warf ein, man habe diese Versammlung einberufen, um den politischen, nicht den künstlerischen Aspekt des Projekts zu bestimmen – als wären in solchen Bereichen das Kulturelle und das Politische nicht sowieso eng verzahnt, als wäre der Begriff Kulturpolitik ein reines Oxymoron.

Außerdem meinte er, es sei halt normal, dass Janina Strötgen und Andreas Wagner nicht eingeladen waren, man habe schließlich Details über die neue Zusammensetzung der Asbl gesprochen – man wolle zum Beispiel Pro-Sud eine größere Rolle zukommen lassen, bisher sei Dan Biancalana als Einziger Mitglied der Esch 2022 Asbl, das solle sich nun ändern. „Es ist ja wohl nicht die Rolle von Janina Strötgen und Andreas Wagner, über die Zusammensetzung ihrer zukünftigen Auftraggeber mitzubestimmen.“

Am Dienstag-Nachmittag gab es dann erneut eine Kehrtwendung in diesem Politdrama, das immer mehr einem billigen TV-Thriller ähnelt: unterhaltsam, spannend, aber letztlich doch ärgerlich und schlecht gespielt.

In einer Versammlung mit den Bürgermeistern des Südens, so Georges Mischo, sei nun entschieden worden, dass man gedenke, den Vertrag der beiden Hauptleiter des Projekts zu verlängern – aber bloß für sechs Monate, weil man erst einmal mehr über das Konzept wissen wolle.

Wobei man den Politikern eigentlich gerne sagen würde, sie sollen sich doch bitte das Bidbook anlesen: Da steht nämlich so ziemlich alles drin, was man über das Projekt wissen sollte. Es sei nun aber am Verwaltungsrat, der voraussichtlich am 12. Dezember zusammenkommen soll, diese Vertragsverlängerung via Wahl zu bestätigen, erläuterte Guy Arendt.

Mischo behauptete des Weiteren, eine gewisse Skepsis sei aufgekommen, da es doch in dem Bericht der Jury 21 Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge gebe – bei Kaunas seien es bloß sieben gewesen. Für das Budget von 2018 seien sechs Millionen Euro gesichert – eine Million Euro liefere die Stadt Esch, fünf würden vom Ministerium gestellt. Einige Gemeinden haben mittlerweile den Kostenpunkt Esch 2022 ins Budget gesetzt, andere noch nicht.

Unabhängigkeit und Kontrolle

Als wir Pim Knaff nach dieser Wendung erneut kontaktierten, zeigte sich dieser sehr erfreut über die getroffene Entscheidung – er gebe aber zu bedenken, dass die Vertragsverlängerung eine Reihe von Bedingungen mit sich bringe und wiederholte, man wolle von nun an verstärkt in das Projekt eingebunden werden.

Ob dies allerdings mit der von dem Bidbook geforderten Unabhängigkeit vereinbar sein kann, erscheint uns dann doch etwas fragwürdig. Laut Knaff sei man bisher außen vorgelassen worden beim Projekt, seine Vorgänger hätten politisch eine gewisse „Laissez-faire-Attitüde“ an den Tag gelegt, die eigentlich besorgniserregend sei, es sei an der Zeit, sich wieder konkreter mit einzubinden.

Wer zwischen den Zeilen liest, stellt fest: Die künstlerischen Leiter konnten die Schweißarbeit erledigen, jetzt, da der Titel vergeben wurde, melden sich die Machthaber zurück und verlangen das, um was es leider in der Politik meistens geht – Kontrolle und Macht.

Man erinnere sich an den „Point Presse“ am 10. November: Premier- und Kulturminister Bettel ließ es sich nicht nehmen, darauf zu pochen, welch tollen Eindruck er bei der Jury doch gemacht habe. Bettel soll behauptet haben, er habe durch sein Eingreifen bei der Jury das Projekt Esch 2022 gerettet, ein Jury-Mitglied bestätigte aber, dass dies, bei allem nötigen Respekt, „völliger Blödsinn“ sei und Bettels Auftritt unterhaltsam, aber „unbedeutend“ gewesen sein soll.

Laut Pim Knaff habe man außerdem einige Bedenken, was die Existenz von zwei Leitern anbelangt. Dies habe die Jury auch in ihrem Bericht niedergeschrieben. Liest man sich eben diesen Bericht durch – ja, wir waren so verwegen und haben die Sache überprüft –, steht da folgendes: „The dual leadership is an extremely challenging approach – especially in the operational setting of an ECoC, where fast and clear decision-making and authority are required.“

Warten auf den Verwaltungsrat

Der Lösungsvorschlag der Jury lautet folgendermaßen: Der Hauptkoordinator und der künstlerische Leiter sollten eine „responsibility assignment matrix“ unterzeichnen. Bei dieser handelt es sich um Technik, die es einem erlaubt, Verantwortlichkeiten zu analysieren und darzustellen. Wie man von dem Unterzeichnen dieser sogenannten RACI auf eine Skepsis seitens der Jury schlussfolgern kann, erscheint sowohl absurd als auch bedenklich. In den Zeiten von Trump müssen die Politiker nicht mal mehr ihr interessiertes Fehlinterpretieren von Fakten unter den sprichwörtlichen Teppich kehren, nein, man scheint sich mit einem gewissen Zynismus zu sagen, dass Fact-Checking sowieso kaum mehr auf der Tagesordnung steht.

Guy Arendt bestätigte uns am Dienstag-Nachmittag, man würde dem Verwaltungsrat einen einzigen Hauptkoordinator vorschlagen.

Damit das Projekt gelingt, muss eigentlich bloß eingehalten werden, was im „Bidbook“ steht. Und dies kann eigentlich niemand außer Janina Strötgen und Andreas Wagner tun – es ist ihre Vision, und niemand außer den beiden hat das nötige Portfolio, die notwendigen Kontakte, um Esch 2022 planmäßig durchzuziehen. Dies bedeutet auch, dass die beiden Leiter unabhängig jeglicher politischer Wandlungen und Metamorphosen arbeiten müssen. Damals ist das Projekt gescheitert, weil die erste Kandidatur nicht ausreichend strukturelle Vorschläge machte, wie man die Implikation anderer Gemeinden des Südens zu steuern gedenke. Man darf gespannt sein, was am 12. Dezember im Laufe des Verwaltungsratstreffens passieren wird.