Trümmerfeld Ehe-Aus: Langfristige Folgen im jungen Erwachsenenalter

Trümmerfeld Ehe-Aus: Langfristige Folgen im jungen Erwachsenenalter

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Eine Scheidung belastet Kinder wie Eltern. Forscher des Fachbereichs Psychologie der Universität Luxemburg haben sich des Themas angenommen. Das Fazit: Auch junge Erwachsene aus Scheidungsfamilien leiden später noch unter den Folgen und Hilfsangebote werden noch immer viel zu wenig genutzt. Ein Gespräch mit der Doktorandin Violetta Schaan an der Uni.lu, die an einer Doktorarbeit zum Thema „Langzeitkonsequenzen frühkindlichen Stresses“ schreibt.

Tageblatt: In Luxemburg rangiert die Zahl der Scheidungen laut Statec jährlich seit 2010 bei um die 1.000. Dem stehen knapp 2.000 Hochzeiten pro Jahr gegenüber. Gehört Scheidung heute fast schon zur „Tagesordnung“?

Violetta Schaan: Scheidung kommt – wie die Zahlen zeigen – häufig vor. Das führt dazu, dass viele denken, das sei „normal“ und eine „normal“ gewordene Hürde der Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Studien zeigen genau das Gegenteil. Kinder betrifft das sehr stark und bei jungen Erwachsenen führt das unter Umständen sogar zu gesundheitlichen Belastungen.

Die da wären?

Scheidungskinder haben als junge Erwachsene ein erhöhtes Risiko gegenüber Nicht-Scheidungskindern, unter einer psychischen Störung zu leiden. Und sie sind gesundheitlich anfälliger, werden leichter krank.

Woher kommt das?

Erwachsene Scheidungskinder berichten von mehr chronischem Stress im Allgemeinen, mehr Besorgnis, mehr sozialen Spannungen, mehr Überforderung auf der Arbeit. Ein überdurchschnittlicher Hang zu Depressionen und das Gefühl von seelischer Einsamkeit und Unsicherheiten im Umgang mit anderen kommen hinzu. In partnerschaftlichen Beziehungen haben sie mehr Angst, sich zu öffnen, aus Sorge davor, zurückgewiesen zu werden. Sie fühlen sich häufiger weniger geliebt und weniger zugehörig, was sich später auf den Freundeskreis und die intimen Beziehungen auswirkt. Starker Stress macht verwundbar.

Studie

Die Folgen für Kinder in Scheidungsfamilien sind gut erforscht. Die Universität Luxemburg hat deshalb junge Erwachsene zum Gegenstand der Studie gemacht. Die ersten Tests und Interviews haben 2016 begonnen. Dafür haben die beteiligten Forscher der Rechercheeinheit „Integrative Research Unit on Social and Individual Development“ seit 2016 rund 400 Personen in Studien befragt und in Labors getestet. Das Durchschnittsalter betrug 23 Jahre. Kooperationspartner der Studie waren die Universität Trier und der Commonwealth-Campus der Pennsylvania State University.

Dabei handelt es sich um subjektiv empfundenen Stress?

Genau. Sie scheinen sich schneller gestresst zu fühlen als andere. Extremer und traumatischer Stress, den sie bei der Trennung der Eltern empfunden haben, kann später dauerhafte Auswirkungen auf das eigene Stresssystem haben und psychische wie körperliche Krankheiten hervorrufen. Junge Erwachsene aus Scheidungsfamilien berichten auch häufiger von empfundenem emotionalem Missbrauch und Vernachlässigung während der Kindheit.

Emotionaler Missbrauch und Vernachlässigung?

Wenn Eltern geschieden werden, hören wir sehr oft, dass ein Elternteil nicht will, dass über den anderen gesprochen wird. Oder die Mutter beispielsweise sagt, „es verletzt mich, wenn du die neue Freundin vom Papa gut findest oder sie magst“. Kinder geraten unter emotionalen Druck, wenn sie gesagt bekommen, wen sie mögen und nicht mögen dürfen.

Vernachlässigung?

Das ist immer dann der Fall, wenn Kinder das Gefühl haben, dass die Eltern nicht da sind, wenn sie sie brauchen. Und wenn die Eltern dem Kind nicht sagen, dass sie es lieb haben. Kinder gehen oftmals in dem emotionalen Chaos der Eltern unter, weil die Erwachsenen zu sehr mit sich selbst beschäftigt und von der Situation überfordert sind.

Jeder kennt doch aber Scheidungskinder, bei denen das nicht so ist …

Klar gibt es auch Eltern, die eine Trennung erfolgreich unter Einbezug der Kinder meistern können, ohne dass das Kind anfälliger für Krankheiten wird oder sogar gestärkt aus der erfolgreichen Bewältigung hervorgeht und lernt: Schwierige Situationen kann ich/können wir meistern. Das ist aber leider nicht immer der Fall. Eine elterliche Scheidung ist zunächst immer Stress. Wenn Kinder nicht verstehen, warum die Eltern sich scheiden lassen und nicht verstehen, dass das unabhängig davon ist, wie sehr sie von ihren Eltern geliebt werden, dann können sie mit Beziehungsängsten reagieren und sich sogar dafür verantwortlich fühlen.

Wie geht denn eine „gute“ Scheidung. Ohne Langzeitfolgen?

In vielen Fällen ist es sicher besser, wenn die Kinder aus der häuslichen „Kriegszone“ herauskommen durch eine Scheidung. Aber es ist ganz entscheidend, wie eine Trennung der Eltern gestaltet wird. Das beginnt bei der Kommunikation. Viele Eltern haben in einer Trennung kaum Ressourcen, diese Tatsache ihren Kindern adäquat zu erklären. Sie sind oft überfordert. Da braucht es mehr Angebote von Institutionen und Organisationen, Eltern und Kinder aufzufangen – vor allem Angebote mit dem Fokus auf Scheidung. Das betrifft auch die Schulen.

Warum?

Kinder, die zu Hause ein Trümmerfeld erleben, können nicht die gleiche Leistung erbringen wie Kinder, bei denen es stabil zugeht.

Was soll mit den Anlaufstellen erreicht werden?

Dass man Hilfe bei der Antwort auf die Frage bekommt, wie können wir als Paar uns trennen und dabei Eltern bleiben. Die Elternebene muss gemanagt werden, obwohl die Paarebene zerfällt. Außerdem ist Stabilität im Alltag für die Kinder wichtig mit klaren Ansagen und Ritualen. Und sie müssen sagen können, „ich vermisse die Mama oder den Papa“. Auf der anderen Seite müssen wir es schaffen, dass Eltern diese Angebote auch annehmen, sich helfen lassen und sich nicht als „Versager“ fühlen. Die hohe Anzahl der Scheidungskinder, die sich bei uns für die Studie gemeldet hat, zeigt das Bedürfnis danach, dass Scheidungen anders laufen sollen. Scheidungen bleiben eine Belastung.

Lebenskrisen meistern – Wenn Eltern sich scheiden lassen

Hilfe gibt es hier:

AFP – Solidarité-Famille: www.afp-solidarite-famille.lu
Consultation et préparation familiale: www.familljen-center.lu
Erwuessebildung: www.erwuessebildung.lu
Fondation Kannerschlass: www.kannerschlass.lu
Fondation Pro Familia: www.profamilia.lu
Initiativ Liewensufank: www.liewensufank.lu
Liewens-, Partner-, Famillje-Berodung: www.haus89.lu
Rosa Lëtzebuerg: www.cigale.lu
SOS Détresse Hëllef iwwer Telefon: www.454545.lu
Mäi Wëllen, mäi Wee: www.mwmw.lu