Kirche und Staat: Chronik einer Scheidung

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Die Regierung war mit dem Versprechen angetreten, Kirche und Staat zu trennen. Mit der Abschaffung der Kirchenfabriken ist das Projekt vollbracht. Lesen Sie hier noch einmal im Rückblick, wie es zu der Umsetzung der Trennung kam. 

Oktober 2012. Francis Messner, Forschungsleiter des CNRS, Jean-François Husson, Generalsekretär des belgischen „Centre de recherche en action publique, intégration et gouvernance“ und Caroline Sägesser von der Freien Universität Brüssel treten vor die Presse. Sie legen einen Bericht über die Beziehungen zwischen Staat und Religion vor, der vom damaligen Kultusminister François Biltgen (CSV) in Auftrag gegeben wurde. Ihr Fazit: Die Glaubensgemeinschaften werden in Luxemburg ungleich behandelt. Die katholische Kirche sackte mit 33 Millionen Euro an jährlichen Zuschüssen 95 Prozent der Gelder ein.

Am 3. Oktober 2015 stellen die Experten der Presse ihren Bericht vor. Ihr Fazit: Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche muss reformiert werden.

Weit abgeschlagen hinter der katholischen Kirche folgte die protestantische mit 686.832 Euro und damit zwei Prozent der Zuschüsse. Die muslimische Glaubensgemeinschaft erhielt damals – sie war noch nicht als offizielle Religion anerkannt – gerade einmal 2.480 Euro. Für die Expertengruppe ist klar: Es muss sich etwas ändern. Auch Minister Biltgen sieht das ein, obwohl seine Partei dem Christentum nahesteht. Er will die Beziehungen zwischen Staat und Glaubensgemeinschaft reformieren.

Doch es soll nicht dazu kommen. Ein Skandal sucht Luxemburg heim. Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV), der 2012 schon seit 17 Jahren die Geschicke des Landes leitet, ist unter Beschuss. Ihm wird vorgeworfen, seinen Geheimdienst nicht im Griff zu haben. Im Oktober 2013 finden Neuwahlen statt. Die CSV wird zwar stärkste Partei, muss aber einer Dreierkoalition bestehend aus der LSAP, der DP und den Grünen weichen. Der Bericht von Biltgen landet aber keineswegs in der Schublade. Die neue Koalition hat sich nämlich nicht nur vorgenommen, die Beziehungen zu den Glaubensgemeinschaften neu zu verhandeln, sondern will eine Art Trennung von Kirche und Staat.

Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Anfang 2014 muss sie sich noch einrichten und auf ihre Legislaturperiode vorbereiten. Die Dreierkoalition ist eine in Luxemburg nie dagewesene Situation und sie muss sich erst einleben. Doch schon im Juni desselben Jahres zeigt die Regierung am Nationalfeiertag, dass sie Nägel mit Köpfen machen will. Die Feierlichkeiten werden von der Kathedrale in die Philharmonie verlegt. Die Zeremonie soll weltlich und nicht christlich sein. Das Te Deum findet zwar wie gehabt statt, ist aber nicht mehr das Kernstück des Tages.

Folgt die Zeit der Verhandlung. Ab dem Sommer 2015 verzieht sich die Regierung mit den Vertretern der Glaubensgemeinschaften hinter verschlossene Türen. Die beiden Vertreter der Katholiken, Erzbischof Jean-Claude Hollerich und Generalvikar Erny Gillen, spielen eine äußerst wichtige Rolle: Während die anderen Glaubensrichtungen nur gewinnen können, ist der katholischen Kirche bewusst, dass sie verlieren wird. Das ist unausweichlich. Während der Verhandlungen sind die Blicke vor allem auf sie gerichtet.

Die Regierung sitzt am 19. Januar 2015 an einem Tisch mit den Vertretern der Glaubensgemeinschaften

Sechs Monate lang wird geschachert, bis die Regierung und die Glaubensgemeinschaften im Januar 2015 vor die Presse treten. Sie haben sich geeinigt. Mit den jeweiligen Vertretern jeder Glaubensgemeinschaft wird eine Konvention unterschrieben. Mit der katholischen wird eine weitere bezüglich der Kirchenfabriken unterzeichnet. Der Plan der Regierung nimmt langsam Form an. Die Trennung stützt sich auf drei Pfeiler. Der wichtigste: Die Regierung will weniger Geld für die Religionen ausgeben. Der zweite: Der Religionsunterricht soll aus der Schule verschwinden. Der letzte: Die Kirchenfabriken sollen abgeschafft werden.

Ein Kinderspiel für Bettel 

Gleich nach den Verhandlungen tritt Generalvikar Erny Gillen zurück. Leo Wagener, ein sehr ruhiger Pfarrer von Steinsel-Walferdingen, übernimmt seinen Posten. Gillen hat die Trennung ausgehandelt. Wagener soll sie für die katholische Kirche begleiten. Im Referendum, das im Juni 2015 stattfindet, wird die Frage nach der staatlichen Finanzierung der Gehälter von Klerikern gestrichen. Sie diente der Regierung als Druckmittel, falls die Kirche nicht klein beigeben sollte.

Xavier Bettel kümmerte sich um den ersten Pfeiler. Er hatte eigentlich nicht mehr viel zu tun, nachdem die Konventionen mit den Glaubensrichtungen unterzeichnet worden waren. Von den drei Pfeilern sollte er bei weitem am wenigsten Gegenwind bekommen. Die Glaubensgemeinschaften hatten unterschrieben, und sogar der katholischen Kirche war klar, dass sie ihren finanziellen Sonderstatus im 21. Jahrhundert nicht mehr würde halten können. Im September 2015 reicht Bettel die Gesetzentwürfe zur Finanzierung der Glaubensgemeinschaften ein. Er wird ohne viel Gegenwind im Sommer 2016 gestimmt. Bettels Arbeit ist damit getan.

Das Scheidungsteam der Regierung: Premier Xavier Bettel kümmert sich um die Finanzierung, Bildungsminister Claude Meisch um die Abschaffung des Religionsunterrichts und Innenminister Dan Kersch um die Abschaffung der Kirchenfabriken

Für die beiden anderen betroffenen Minister, Dan Kersch (LSAP) und Claude Meisch (DP), sollte der Weg viel steiniger werden. Die Kirchenfabriken müssen weg, weil sie Teil des Konstruktes der Verflechtung zwischen Kirche und Staat waren. Sie verwalten die Besitztümer der Kirche, weil diese keine juristische Person ist und demnach nicht kaufen und verkaufen kann. Nur ist nach 200 Jahren vollkommen unklar, welche Gebäude eigentlich den Gemeinden und welche den Fabriken gehören. Kersch macht von Anfang an keinen Hehl daraus, dass die Abschaffung der Kirchenfabriken auch zu einer Klärung der Besitzverhältnisse führen soll.

Syfel für Kersch, „Fir de Choix“ für Meisch

Kersch hatte schon im Mai 2015 einen Gesetzesentwurf eingereicht, der ein Dekret von 1809 abändern soll. In Zukunft sollen die Gemeinden nicht mehr gezwungen sein, die Defizite der Kirchenfabriken auszugleichen. Schon der Plan der Abänderung des Dekretes ruft den Verein auf den Plan, der zu Kerschs größtem Gegner werden sollte: Der Dachverband der Kirchenfabriken Syfel kündigt an, dass er der Abschaffung der Kirchenfabriken nicht tatenlos zusehen wird. Ende Februar 2016 wird die Änderung des Dekretes im Parlament gestimmt.

Währenddessen macht sich auch Bildungsminister Meisch an die Arbeit. Er ist zuständig für die Abschaffung des Religionsunterrichts in den Schulen. Seine Idee: Ein Werte-Unterricht. Sein schlimmster Albtraum: Die Plattform „Fir de choix“, die für den Erhalt des Religionsunterrichtes in den Schulen kämpft. Sie ist seit der Bekanntgabe der Regierungspläne aktiv und sammelt fleißig Unterschriften für Petitionen, holt sich Expertisen und organisiert öffentliche Aktionen.

Anhänger der Plattform „Fir de choix“, die sich gegen eine Abschaffung des Religionsunterrichtes einsetzen, lassen in Luxemburg-Stadt bei einer Aktion Ballons in den Himmel steigen

Schon im November 2014, noch bevor die Konventionen mit den Glaubensgemeinschaften unterschrieben war, hat „Fir de choix“ 25.600 Unterschriften für den Erhalt des Religionsunterrichtes gesammelt. Bisher hat keine Petition mehr geschafft. Nur sind die Unterschriften alle auf Papier und nicht in digitaler Form. Deswegen gibt es keine öffentliche Anhörung vor dem Parlament. Auch das neue Fach entzweit die Meinungen. Die Regierung hat Jürgen Oelkers von der Universität Zürich damit beauftragt, den Lehrplan zu erstellen. Die Morallehrer finden, dass die Religionslehrer zu subjektiv sein könnten. Das Bistum entgegnet, dass die Religion nicht genug im neuen Fach vorkommt.

Kurz vor der Ziellinie

Trotz der Streitereien reicht Meisch am 15. März 2016 seinen ersten Gesetzentwurf ein. Er wird den Religionsunterricht in den Sekundarschulen abschaffen und das Fach „Vie et société“ einführen. Die Gesetzesvorlage für die Grundschulen folgt Anfang Juli. Meischs großes Glück: „Fir de Choix“ lässt sich ablenken. Die Plattform tritt in einen Gerichtsprozess gegen AHA, eine luxemburgische Allianz von Atheisten, Humanisten und Agnostikern, die sich für die Abschaffung des Religionsunterrichtes einsetzt. Ihr Vorsitzender Laurent Schley hatte die Vertreter von „Fir de Choix“ in einem Facebook-Beitrag „religiöse Fanatiker“ genannt. Schley und die AHA wurden Mitte Juni freigesprochen.

Die Alerf, der Verband der Religions- und Morallehrer, wird währenddessen unruhig. Sie fürchten um ihre berufliche Zukunft. Die Regierung hat zwar in der Konvention mit der Kirche vorgesehen, dass alle Lehrkräfte übernommen werden, doch die Alerf weiß nicht so richtig, was aus ihnen werden soll. In zahlreichen Treffen zwischen dem Ministerium, der Alerf und der Beamtengewerkschaft CGFP werden die Details der Übernahme ausgehandelt.

Bei einer Pressekonferenz am 26. Mai 2016 beklagen sich Alerf und CFGP: Sie wollen Klarheit über die Zukunft der Religions- und Morallehrer

Schon im Juli 2016 wird der erste Gesetzesentwurf gestimmt. Meisch gibt bekannt, dass der Religionsunterricht bei Schulanfang im September in den Sekundarschulen abgeschafft ist. In den Grundschulen wird es ein Jahr länger dauern. Der Bildungsminister muss noch Personalfragen klären, bevor es losgehen kann. Die Kritik wird nach der Einführung des Faches langsam abebben. Mittlerweile wird fast gar nicht mehr über „Vie et société“ gesprochen.

Kurz vor der Ziellinie

Im gleichen Sommer hinterlegt Innenminister Dan Kersch sein Gesetzesprojekt zur Abschaffung der Kirchenfabriken. Er hat den schwersten Teil seines Leidensweg noch vor sich. Der Dachverband der Kirchenfabriken schaltet in den nächsten Gang und zieht alle Register: Der Syfel droht mit einer Klage gegen die Regierung und das Bistum. Auch einige Gemeinden steigen auf die Barrikaden, weil mit dem neuen Gesetz aus der Finanzierungspflicht ein Finanzierungsverbot wird. Sie sehen die Gemeinde-Autonomie in Gefahr und wollen auch in Zukunft noch ihre Kirchen unterstützen können.

Im Januar 2017 hat eine Petition des Syfel gegen die Abschaffung der Kirchenfabriken mehr als 10.000 Unterschriften gesammelt. Sie dürfen vor das Parlament treten. Doch Kersch lässt sich nicht beeindrucken und argumentiert gegen den Verband. Die Fronten sind mittlerweile sehr verhärtet. Keiner rückt von seinen Positionen ab.

Clash zwischen Innenminister Dan Kersch und dem Syfel: Beide Parteien sitzen nach dem Erfolg einer Petition gegen die Abschaffung der Kirchenfabriken im Parlament

Im Sommer 2017 kann Kersch sich erst einmal zurücklehnen: Das erste Gutachten des Staatsrates liegt vor. Obwohl seine Gegner sein Projekt als verfassungswidrig und rechtlich fragwürdig bezeichneten, gab der Rat dem Innenminister grundsätzlich Recht: Die Regierung kann durch eine Konvention mit dem Bistum die Abschaffung der Kirchenfabriken beschließen. Das Finanzierungsverbot muss aber raus aus dem Text. Währenddessen hat Meisch seinen Pfeiler abgeschlossen: Bei Schulanfang im September 2017 ist der Religionsunterricht auch in den Grundschulen abgeschafft.

Kersch hat es auch fast geschafft. Er lässt das Gesetz abändern. Das Finanzierungsverbot fliegt raus, die Besitzverhältnisse der Kirchen sind geklärt. Nach den Gemeindewahlen im Oktober hat zwar noch die eine oder andere Gemeinde Protest eingelegt, doch im Dezember gibt der Staatsrat grünes Licht. Am Mittwoch wurde der Entwurf im Parlament gestimmt und damit ist auch die Abschaffung der Kirchenfabriken beschlossene Sache. Die Trennung von Kirche und Staat ist durch.

Jak
19. Januar 2018 - 9.33

Do huet nees een eppes net verstaan. En nationalen Sportszenter,e Park oder en Theater sin fir d'ALLGEMENGHEET do. Eng Kierch oder déi déck Pay vun engem Erzbëschof sin eben nemmen fir deen Deel vun der Bevölkerung deen un e Gespenst gleewt. E klengen Ënnerscheed also.

Serenissima en Escher Jong
19. Januar 2018 - 8.36

Marius-100 % d'Accord mat ärer Aschätzung vun der Situatioun..den eeschte Schrëtt an déi richteg Richtung ass gemaacht ginn vun Gambia..

rfrank
19. Januar 2018 - 0.31

wann daat alles ass waat iech steiert, dann kennt dir berouhegt schlofen, d´klacken waerten nach lauden wann dir schons zu stebs sidd, ech sin als schueler net geneidegt gin , an ech sin deck zefridden mat mengem liewen, ech sin och keen kirchengaenger an die nachfolgekosten dei dir mengt, dei gief ech och gaer vum nationalen sportszenter an vun esou villes wessen, daat gin mir och net gewuer.

Farsi
18. Januar 2018 - 22.43

Bravo. Ganz meng Meenung.

Marius
18. Januar 2018 - 18.23

Gambia wird in die Luxemburger Geschichte eingehen als die Regierung, welche die Trennung von Kirche und Staat vollzogen hat. Das ist kein kleiner Verdienst, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Privilegierung der Religion war schon längst überfällig aber das politische Organ des Klerus wusste dies meisterhaft zu verdrängen. Gemeint ist natürlich die CSV. In einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft ist kein Platz mehr für religiöse Utopien. Aber es bleibt in diesem Zusammenhang noch eine Menge Arbeit zu leisten, denn immer noch schlägt die Turmuhr und Glocken und die Kirchglocken unterbrechen schon um 6 Uhr meinen Schlaf, usw. Finanzierung mit Steuergeldern und die Zuerkennung von Sonderrechten gehört definitiv der Vergangenheit an. Zu bedauern ist allerdings die Tatsache, dass der Staat nun die Gehälter der Katechismuslehrer übernimmt, um die Schüler mit dem neu eingeführten Kursus "Société et vie" zu beglücken. Auch hierzu gab es manch andere Alternative, doch das Ding ist sicherlich noch ausbaufähig. Immerhin kann man mit Genugtuung feststellen, dass kein Schüler mehr genötigt sein wird durch religiöse Unterweisung. Wer aber nun glaubt wir würden jetzt in Luxemburg in einem komplett säkularen Staat leben, der irrt. Es wäre für die Leser des TB interessant zu wissen, für welche Kosten (Nachfolgekosten usw.) Staat und Gemeinden weiterhin aufkommen müssen. Wäre sehr aufschlussreich.