Debatte im ParlamentDer Wohlstand der Luxemburger muss anders gemessen werden

Debatte im Parlament / Der Wohlstand der Luxemburger muss anders gemessen werden
Bereits 2009 hatte die damalige Regierung das Erstellen eines neuen Indikators zur Messung der gesellschaftlichen Entwicklung beschlossen Symbolfoto: dpa/Sven Hoppe

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Luxemburg rühmt sich seiner hohen Wirtschaftskraft, die anhand des Bruttoinlandprodukts (BIP) gemessen wird. Doch die wertmäßige Erfassung aller im Land erzeugten Waren und Dienstleistungen sagt wenig über das Wohlbefinden der Gesellschaft aus. Dem soll ein Wohlstands-BIP entgegenwirken.

Zwei Tage nach der Debatte über Armutsrisiko hat sich das Parlament erneut mit dem Zustand der Gesellschaft in Luxemburg beschäftigt. Die Diskussion zum Wohlstandsindikator („indicateur du bien-être“), kurz Wohlstands-BIP genannt, war am 21. Januar nach Bekanntwerden des Ablebens von Eugène Berger unterbrochen worden. Am 21. Januar saß noch Etienne Schneider als Ansprechpartner der Abgeordneten auf der Regierungsbank, gestern war es Franz Fayot.

Das Thema wird nicht zum ersten Mal politisch diskutiert. Bereits 2009 hatte die damalige CSV-LSAP-Regierung das Erstellen eines anderen Indikators zur Messung der gesellschaftlichen Entwicklung beschlossen. Das Ergebnis ist ein rund 63 Werte zählender „Luxembourg Index of Well-Being“. Berücksichtigt werden darin Indikatoren unter anderem aus den Bereichen Beschäftigung, Wohnung, Umwelt, Sicherheit und Bildung. Die erste Ausgabe wurde 2017 veröffentlicht.

Kein Neuland für Luxemburg 

Neuland betrat Luxemburg damit nicht. Bereits 2011 hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren „Wohlstands-BIP“ vorgestellt. Dieser „Better Life Index“ berechnet anhand von Indikatoren zu Wohnen, Lebensqualität, Arbeit, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Lebenszufriedenheit, Umwelt und Work-Life-Balance den Zustand des Wohlbefindens in den Ländern. Der seit 1990 von den Vereinten Nationen erstellte „Human Development Index“ (HDI) wertet den Entwicklungsgrad der Gesellschaft in den UN-Mitgliedsländern anhand des Pro-Kopf-Einkommens, der Lebenserwartung, des Bildungsgrads, der Ernährungslage und der Gesundheitsvorsorge.

Angesichts dieser Vorarbeiten fanden sich am Donnerstag im Parlament kaum Gegner eines Wohlstands-Indexes für Luxemburg. Vielmehr sprach man sich parteiübergreifend für dessen Aufwertung, Ergänzung und Aktualisierung aus.

Der Mensch ist nicht nur ein Produktionsfaktor

Der CSV und der ADR diente die Debatte, sich erneut ihrer während der letzten Wahlkampagne immer wieder aufgeworfenen Frage nach qualitativem Wachstum zu widmen. Jährlich werde wirtschaftlicher Mehrwert geschaffen, aber gehe es den Menschen dadurch besser? Das fragte Serge Wilmes, Initiator der Debatte. Tatsächlich würden immer mehr Menschen das Wirtschaftsmodell infrage stellen angesichts der negativen Folgen wie Verkehrstaus, fehlender erschwinglicher Wohnraum, Stress auf der Arbeit, zu Hause und auf dem Arbeitsweg.

Neben dem klassischen BIP werde ein anderer Pulsmesser für unsere Gesellschaft benötigt. Es ergebe wenig Sinn, BIP-Fetischismus zu betreiben, da dabei der Mensch allein als Produktionsfaktor bewertet werde. Aussagen, die David Wagner („déi Lénk“) erstaunten, da sie vom Sprecher einer Partei stammten, die stets für strammes Wirtschaftswachstum stand.

Viele Bereiche nicht mit einbezogen

Der Feststellung von Wilmes, dass das BIP nur begrenzte Aussagekraft habe, schlossen sich sämtliche Redner an, zumal Wilmes den Erfinder des BIP, den US-Ökonomen Simon Kuznets, zitierte. Der spätere Nobelpreisträger hatte selbst eingesehen, dass das BIP nicht als Messinstrument des Wohlstands genutzt werden könne, schließe es doch etliche Tätigkeiten wie Haushaltsarbeiten, die Erziehung der Kinder zu Hause oder ehrenamtliche Tätigkeit aus. Tatsächlich enthält das Bruttoinlandsprodukt nur Leistungen, die auf dem Markt bewertet werden.

Wilmes zufolge sollte sich die Politik stärker am Wohlstands-BIP orientieren. Es sollte einen größeren Stellenwert im politischen Handeln bekommen. Allein darüber reden sollte man nicht. Eine Anregung, die DP-Sprecher André Bauler gleich aufgriff. Ein Wohlstands-BIP sei ein interessanter Indikator, doch was zähle, sei das, was nach dieser theoretischen Übung rauskomme. Dem besseren Wohlbefinden dienten die rezenten politischen Beschlüsse wie die Reform des Elternurlaubs, die Förderung der Telearbeit, die Digitalisierung der Verwaltungen und die administrative Dezentralisierung.

Was mit dem Wohlstands-BIPs schlussendlich bewirkt werden soll, wurde trotz stundenlanger Debatte gestern nicht ganz ersichtlich. Zwar wurde mehrmals auf das Beispiel Neuseeland hingewiesen, das LSAP-Sprecher Yves Cruchten als interessant bezeichnete. Die neuseeländische Regierung legte sechs politische Prioritäten wie etwa die Bekämpfung der Kinderarmut fest und verteilte die Haushaltsmittel entsprechend. Diese würden demnach nicht nach Ministerien aufgeteilt, sondern nach politischen Zielen. Ein ausländisches Modell könne man jedoch nicht ohne Weiteres übernehmen, so Cruchten einschränkend. Was man in Luxemburg unter Wohlbefinden verstehe, könne anhand einer breiten öffentlichen Debatte ermittelt werden. Auf dieser Grundlage könnten Indikatoren zur Berechnung des Wohlbefindens erstellt werden, regte er an.

Mehr Wohlbefinden durch bessere Ernährung?

Als ein Element, das Wohlbefinden fördern könnte, nannte Josée Lorsché („déi gréng) eine bessere Ernährung durch mehr Biolandwirtschaft. Der aktuelle Wohlstandsindex müsste unter anderem durch Klimaschutz-Indikatoren ergänzt werden.

Misstöne in der doch allgemein auf Konsens ausgerichteten Debatte kamen von David Wagner. Luxemburgs Statistikbehörde Statec befasse sich seit längerem mit dem Wohlfahrtsindikator, nur habe dieser bisher wenig Beachtung gefunden, sagte der „déi Lénk“-Politiker. Die Diskussion sei eine Folge ähnlicher Debatten im Ausland gewesen, eine Art Gadget. Dann sei das Thema jedoch in der Versenkung verschwunden. Man müsse jedoch entscheiden, was mit den Daten des Wohlstands-BIP geschehen müsse. Jeder neuen Publikation müsse eine Debatte im Parlament folgen. Haben die Ergebnisse des Indikators keine politischen Folgen, sei er nutzlos.

Ein Werkzeugkasten der Politik

Den Eindruck mangelnder Beachtung des bisherigen Wohlstands-BIP schien auch Sven Clement von der Piratenpartei zu teilen. Die letzte Aktualisierung stamme von 2017 und sei grafisch schlecht aufbereitet. In Zukunft sollte der Schwerpunkt auf die Vergleichbarkeit der Daten gelegt werden und sie sollten dem Publikum leichter zugänglich gemacht werden.

Ein Vorschlag, dem sich Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) anschloss. Das Wohlstands-BIP bezeichnete er als Werkzeugkasten der Politik. Er sollte der Regierung eine bessere Politik ermöglichen. Der Wirtschafts- und Sozialrat soll den Wohlstandsindikator überarbeiten. Er solle in Zukunft im Staatsbudget integriert werden, wünscht sich Fayot.

J.Scholer
7. Februar 2020 - 13.34

Wenn der Reichtum an der individualistischen , konsumfreundlichen Einstellung zu bemessen wäre, wären wir reich.Schaut man hinter die verstaubten Fassaden, hebt die Vorhänge sind wir arm , denn längst haben wir den Boden unter den Füßen verloren und unsere Zukunftsvisionen basieren auf Wirtschaftswachstum und positiven Bilanzen.