Der Tausendsassa: Roger Quaino, der „König der Balancierkünstler“, ist mit 91 Jahren gestorben

Der Tausendsassa: Roger Quaino, der „König der Balancierkünstler“, ist mit 91 Jahren gestorben

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Auf dem „Bëschkierfecht“ von Niederkorn wurde gestern die Asche von Roger Quaino verstreut. Der „Roi des équilibristes“, wie man ihn in den 1950er und 1960er Jahren nannte, starb am 14. Oktober 2018 im Alter von 91 Jahren.

Von Petz Lahure

Einen Monat nach seiner Frau und früheren Assistentin Giselle (94) hat jetzt auch Roger Quaino, einer der größten Luxemburger Varietékünstler aller Zeiten, uns verlassen. Vielen Lesern mag der Name Quaino nicht geläufig sein, die älteren Semester aber dürften ihn vom „Ensemble der Nationallotterie“ her kennen, das vor 50 Jahren gelegentlich der monatlichen Ziehungen mit den Glücksrädern durch das Großherzogtum tourte.

Damals war die Ermittlung des Gewinners des sogenannten „großen Loses“ noch ein Event und mit einer Show verbunden, in der Luxemburger Sänger und Künstler auftraten. Roger Quaino gehörte diesem Ensemble nebenberuflich noch bis 1978 an, nachdem er das Kostüm des hauptberuflichen Künstlers nach 15-jähriger Tätigkeit (1952-1967) an den Nagel gehängt und eine Stelle als Bademeister in der Oberkorner „Schwämm“ angetreten hatte. Mit 40 Jahren musste Quaino sich nämlich eingestehen, dass der Körper nicht mehr fit genug war, um tagtäglich zu akrobatischen Höchstleistungen aufzulaufen.

Selfmademan

Quainos Welt war die des Balancierkünstlers. Er turnte auf selbst zusammengebastelten Geräten und drückte den einarmigen Hochstand auf einer Krücke, die er in luftiger Höhe auf einen Fußball positionierte, der auf einer Glaskugel ruhte. Ein andermal ließ er sich dank einer hydraulischen Erfindung fünf Meter nach oben hieven, hielt drei eiserne Ringe in der einen Hand und wuchtete seinen Körper auf der anderen Handfläche in die Waage. In diese Position schaffte er es auch, indem er sich mit dem Zeigefinger auf einem hochkant gestellten Würfel, der auf einem Ring stand, abdrückte.

Quaino, der Tüftler, erfand immer wieder neue Geräte und überraschte damit die Direktoren der Varietéhäuser. Insbesondere Kugeln und Ringe hatten es ihm angetan. Dass er in seine Apparate manchmal auch „Trick 17“ einbaute, verschwieg er dem Artikelschreiber, den er schon als kleinen Jungen zu verblüffen wusste, keineswegs. „Meine Maschinen machten die Show. Den Hochstand auf einem Gehstock drücken, der auf einem Ball steht, das ist schier unmöglich. Da musst du dir schon was einfallen lassen.“ Des Rätsels Lösung aber gab der Mann, der sich im Laufe der Jahre vom durchschnittlichen Athleten zum balancierenden Magier entwickelte, jedoch nie preis.

Wie damals die meisten Jugendlichen aus der Gemeinde Differdingen begann Roger Quaino (geboren am 18.3.1927) seine berufliche Laufbahn auf der Hadir („Hauts-fourneaux et aciéries de Differdange, St-Ingbert, Rumelange“), die 1967 von der Arbed („Aciéries réunies de Burbach, Eich, Dudelange“) übernommen wurde.

Nach einigen Jahren „Schmelz“ aber hatte der mittlerweile 25-Jährige das Leben in den Schlosserateliers zum Halse heraushängen („ich wollte nicht eingesperrt sein“) und beschloss, auf andere Art und Weise durchs Leben zu kommen.

Als Radrennfahrer waren seine Leistungen zu mittelmäßig, um eine Profikarriere wie beispielsweise Lull Gillen, Bim Diederich oder Marcel Ernzer einzuschlagen, doch als guter Turner der „La Liberté Niederkorn“ müsste es, so meinte der angehende Artist, doch möglich sein, ehrliches Geld in der großen, weiten Welt zu verdienen.

Mit seinen selbst entworfenen und gebauten Utensilien versuchte Quaino sich anfangs in einem Zirkus in der Schweiz, ehe er seinen ersten Auslandsvertrag in Brüssel erhielt. Der Direktor des Konzerthauses „Ancienne Belgique“, Haus 110 am Boulevard Anspach im historischen Herzen der Stadt, aber schickte ihn nach der ersten Darbietung sogleich wieder nach Hause mit der Aufforderung, die Qualität der Show zu verbessern und doch bitte mit einer Assistentin zurückzukehren. Und so kam Giselle Vanetti, Quainos Ehefrau, mit ins Geschäft. Sie begleitete ihn fortan und war, weil beide mit Vorliebe in einem Wohnmobil reisten, auch für die gute Küche verantwortlich. Wohl der Hauptgrund dafür, warum der mittelgroße Balancierkünstler, der mal im dunkelblauen, mal im weißen Anzug, mit weißem Hemd und Fliege auftrat, nie unter 80 kg wog, was für einen Akrobaten „außerhalb der Norm“ ist.

Das „No“ der USA

Quaino, der Bastler und Erfinder mit dem lockeren Mundwerk, war immer wieder bestrebt, seine Nummern zu verfeinern. Die dabei benutzten technischen Hilfsmittel, wie beispielsweise die Hydraulikkolben, die sein Gerüst in die Höhe drückten, sollen, davon war Quaino felsenfest überzeugt, zwei NASA-Ingenieuren, die ihn einst im englischen Bristol bei einer Probe beobachteten, einen Wink beim Bau des am 21. Juli 1969 eingesetzten ersten Mondlandefahrzeugs (LEM) gegeben haben. Bewiesen ist das allerdings nicht.

Ganze 15 Jahre reisten Roger und Giselle Quaino mit ihrer Show durch die Welt. Sie traten in den renommiertesten Häusern auf wie beispielsweise dem Palladium in London, dem Moulin Rouge und Olympia in Paris oder dem Friedrichstadt-Palast in Berlin und hatten so berühmte Persönlichkeiten wie die englische Königin Elisabeth II., den amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson, den französischen Präsidenten Charles De Gaulle oder Papst Pius XII. unter den Zuschauern. Der Niederkorner gab Autogramme am laufenden Band. Selbst Filmstars und Sänger wie Bourvil, der ihn in seiner Loge aufsuchte, baten um eine Unterschrift.

In den Vereinigten Staaten aber durfte Quaino nicht auf die Bühne. Der „Roi des équilibristes“, wie verschiedene Magazine ihn nannten, erhielt dort keine Arbeitsbewilligung, weil, so erzählte er jedem, der es wissen wollte, eines seiner Familienmitglieder, der Differdinger Politiker und Abgeordnete Demy Meis (gestorben 1996), Mitglied der Kommunistischen Partei war. Joseph McCarthy lässt grüßen …