Der ignorierte Eklat – Warum die Luxemburger Regierung vor dem Dieselskandal die Augen verschließt

Der ignorierte Eklat – Warum die Luxemburger Regierung vor dem Dieselskandal die Augen verschließt

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Vor drei Jahren flog mit dem VW-Dieselskandal einer der spektakulärsten Wirtschaftsbetrugsfälle der Nachkriegszeit auf. Die Luxemburger Regierung hat bis jetzt wenig dagegen unternommen – und das soll auch so bleiben.

Am Anfang war Bewunderung. Bewunderung für deutsche Technik. Der US-Amerikaner John German war begeistert von den sauberen VW-Dieselmotoren, die millionenfach in den Vereinigten Staaten verkauft wurden. Vor allem die angegebenen NOx-Werte beeindruckten den Experten des Internationalen Rats für ein sauberes Verkehrswesen (ICCT). Die Modelle in den USA pusteten sogar noch weniger Stickoxid in die Luft als die Autos, die der Konzern in Europa verkaufte.

Doch wenn Volkswagen in den USA so gute Autos anbieten kann, fragte German sich, warum dann nicht auch in Europa? Warum sollten die europäischen Modelle schlechter sein? Nur um ganz sicherzugehen, wollte er sich die VW-Angaben von unabhängigen Testern bestätigen lassen. „Ich hatte anfangs keine Zweifel, keinen Verdacht“, so German in einem Interview mit Bloomberg.

Grenzwerte um das 35-Fache überschritten

Als er jedoch das Testresultat erhielt, fiel er aus allen Wolken: Der VW Passat hatte auf der 2.000 Kilometer langen Fahrt von San Diego nach Seattle bis zu 20 Mal so viel Stickoxide in die Luft geblasen als in den USA erlaubt. Der Jetta überschritt die Grenzwerte gar um das 35-Fache. Da er die Messungen für fehlerhaft hielt, ließ er sie wiederholen. Und wiederholen. Und wiederholen. Aber immer mit dem gleichen Ergebnis: Die VW-Diesel hatten die Abgaswerte von großen Lastwagen. „Ich wollte es nicht glauben, es war schockierend“, so der gelernte Physiker.

Am 18. September 2015 musste Volkswagen zugeben, bei Abgaswerten von Dieselautos gelogen und betrogen zu haben. Die Ingenieure hatten die Motoren mit einer elektronischen Software ausgestattet, die gezielt bei Kontrollen die Werte verfälscht. Nach und nach kam heraus, dass weltweit elf Millionen manipulierte Autos des Konzerns unterwegs waren; VW, Seat, Audi, Porsche. Auch in Luxemburg waren 46.000 Autos vom VW-Konzern betroffen. Und der Skandal weitete sich auf nahezu die gesamte Automobilbranche aus: Auch gegen Daimler, Fiat Chrysler, Peugeot Citroën und Renault wird wegen Verdachts auf Abgasmanipulation ermittelt.

Internationale Konsequenzen

In den USA sind seither schwierige Prozesse gegen die Konzerne eingeleitet worden. Mittlerweile musste Volkswagen 15 Milliarden Dollar an die Kunden für Rückkaufaktionen und 4,3 Milliarden Dollar Strafe an den US-Staat zahlen. Das ist mehr als die Staatsausgaben Luxemburgs im Jahr 2018.

Die Europäische Union hingegen tut sich bis heute schwer, eine Antwort auf den gezielten Massenbetrug zu finden. Manche sagen, das liege an der Trägheit der europäischen Institutionen – für andere liegt es schlichtweg daran, dass die jeweiligen Staaten ihre großen nationalen Autokonzerne schützen wollen. In Deutschland etwa musste Volkswagen bis jetzt zwar eine Milliarde Euro Strafe bezahlen. Von den deutlich kostspieligeren Rückkaufaktionen wurde jedoch bis jetzt abgesehen.

Für die Dieselmodelle in Europa gab es lediglich Software-Updates. Laut Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel sowie ZDFzoom handelt es sich jedoch erneut um eine Mogelpackung: Die Software-Aktualisierung, wie sie auch an Luxemburger Modellen durchgeführt wurde, soll nichts weiteres sein als eine neue, verbesserte Abschalteinrichtung, um die Werte zu verfälschen. Am giftigen Stickoxidausstoß ändere es rein gar nichts.

Autoland Luxemburg

Luxemburg ist auf den ersten Blick kein Land mit einer bedeutenden Automobilbranche. Hier laufen keine Autos vom Fließband und es gibt auch keine Luxemburger Automarke. Doch der Blick trügt. Denn auch Luxemburgs Wirtschaft ist eng mit der Automobilbranche verflochten. Der Reifenhersteller Goodyear Dunlop beschäftigt rund 3.500 Arbeitnehmer und gehört damit zu den größten Arbeitgebern des Landes. Auch weitere Automobilzulieferer wie Accumalux, Delphi oder Guardian Automotive produzieren in Luxemburg. Die Zulieferindustrie beschäftigt etwa 9.000 Arbeitnehmer in etwa 30 Unternehmen.

Zudem lagert am Luxemburger Finanzplatz Kapital in Milliardenhöhe von Unternehmen wie Fiat Chrysler oder Volkswagen. Und nicht zuletzt ist das Geschäft mit dem Autohandel ein äußerst lukratives. Jährlich werden rund 50.000 Neuwagen in Luxemburg verkauft und ebenso viele Gebrauchtwagen. Der Luxemburger Kunde kauft oft und teuer, das geht aus dem europäischen Vergleich hervor.

Anzeige gegen unbekannt

Deshalb ist es auch nicht völlig überraschend, dass die Politik die Automobilbranche bis jetzt mit Samthandschuhen angefasst hat. Während es in anderen Staaten große Klagen gibt, hat Luxemburg lediglich Anzeige gegen unbekannt erstattet. „Da wir bis jetzt noch keine Beweise haben, wer hinter dem Betrug steckt, schien uns das die geeignetste Lösung“, so die Erklärung aus dem Nachhaltigkeitsministerium von François Bausch („déi gréng“).

Auch von verpflichtenden Rückkaufaktionen oder kostspieligen Hardware-Nachrüstungen für alte Dieselautos jenseits der Euro-6-Norm sieht die Regierung ab. „Wir setzen darauf, dass sich die Automobilflotte auf anderem Wege erneuert.“ Will heißen: Man rechnet damit, dass die kauflustigen Luxemburger ihre alten Diesel sowieso bald durch neue Modelle ersetzen werden. Dass die schmutzigen Modelle im Verkehr sind, nehme man „in Kauf“. Und die Statistik gibt der Abwartestrategie der Regierung sogar recht: Der Fuhrpark in Luxemburg erneuert sich alle 6,8 Jahre, der EU-Durchschnitt liegt bei zwölf Jahren.

Autobesitzer müssen in Luxemburg keine Steuern nachzahlen 

Doch nicht nur die Automobilbranche wird geschont, auch die Konsumenten. Steuerliche Nachzahlungen für die erhöhten Stickoxidwerte soll es nicht geben. „Wir werden die Konsumenten nicht rückwirkend bestrafen“, so die Auffassung von François Bausch. Eine Erhöhung der Autosteuer ist erst für den 1. Januar 2020 geplant, gemeinsam mit der Einführung des neuen realitätsgetreuen Messverfahrens WLTP. Allerdings bezieht sich die Steuererhöhung nur auf die Modelle, die ab dann registriert werden. Wer einen alten Diesel besitzt oder jetzt beim bevorstehenden Autofestival einen neuen bestellt, muss sich keine Sorgen machen.

Und letztlich soll es auch keine Dieselverbote in Luxemburg geben. Das hat Minister Bausch am Mittwoch noch einmal im Parlament unterstrichen. Denn ein Dieselverbot sei nur möglich, wenn die EU-Normwerte überschritten werden, was in Luxemburg nicht der Fall sei. Ein generelles Dieselfahrverbot kann nur auf EU-Ebene beschlossen werden, so die Erklärung aus dem Nachhaltigkeitsministerium. Das stimmt allerdings nicht wirklich: Stockholm, Oslo, Kopenhagen, Barcelona, Madrid, Rom, Athen, Paris – alles Städte, die bereits ein Dieselverbot verabschiedet haben oder in naher Zukunft planen. Auch in manchen deutschen Städten gibt es Dieselfahrverbote. Und am Donnerstag hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Möglichkeit für Dieselverbote weiter ausgedehnt.

Auch in der Frage des Tanktourismus sieht die Regierung kein schnelles Handeln vor. „Ein Ausstieg scheint keine Priorität zu sein“, sagt etwa Camille Muller, Mobilitätsexperte vom „Oekozenter“. „Auch mit einer minimalen Erhöhung des Preises von drei Cent pro Liter lohnt sich selbst noch ein Umweg von 100 Kilometern, um in Luxemburg zu tanken“, so Muller.

Diesel als Zukunftstechnologie

Dass die Regierung in der Dieselproblematik der Automobilbranche zumindest entgegenkommt, bestätigt auch ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Lobbyverbands House of Automobile. Ernest Pirsch zeigt sich zufrieden mit der Regierungspolitik. „François Bausch ist ein äußerst vernünftiger Minister, mit dem wir stets gute Gespräche führen.“

Pirsch gesteht ein, dass die Automobilbranche sich hat einiges zuschulden kommen lassen. Sie habe manipuliert, das gelte es zu verurteilen, aber einen Generalverdacht lehne er ab. Und er hält es mit der Auffassung der Regierung, dass lediglich eine EU-Lösung sinnvoll sei. Im gleichen Atemzug betont er jedoch auch, dass die EU niemals ein generelles Dieselverbot aussprechen werde. Denn der Diesel sei eine „Technologie mit Zukunft“. Die neuen Diesel seien sauber, mit geringem Verbrauch und niedrigerem Ausstoß an klimaschädlichem CO2 als Benziner.

Weniger CO2 als Benziner, das war lange Zeit das Argument der europäischen Politik und Autoindustrie für die Förderung der Dieseltechnologie. „Der Diesel rettet das Klima, war stets die Botschaft“, sagt Mobilitätsexperte Muller. Auch viele Autokäufer haben das geglaubt. Der Dieselfahrer fühlte sich moralisch im Recht.

Diesel und Benziner produzieren gleich viel Kohlendioxid

Doch eine neue Studie widerlegt diese Auffassung: Diesel und Benziner produzieren pro Kilometer gleich viel klimaschädliches Kohlendioxid. Forscher um Tim Butler vom Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies haben dafür die Realverbrauchswerte zwischen 1995 und 2015 verglichen. Das Ergebnis: „Der europäische Dieselboom scheint nicht effizient gewesen zu sein bei der Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen.“ Zu den Gründen zählen die Forscher neben dem hohen Realverbrauch auch das höhere Gewicht der Dieselflotte. Das ernüchternde Fazit: Die Klimafreundlichkeit des Diesel ist ein „Mythos“, Europa habe auf die falsche Technologie gesetzt.

Denn auch die Stickoxidwerte in Luxemburg gelten als zu hoch. Gerade in sogenannten Hotspots wie Remich, Wasserbillig oder auch im Alzettetal um Dommeldingen übersteigen die Werte oftmals die gesundheitsschädliche Norm, wie Messungen des Umweltministeriums ergeben haben. „Wir haben durchaus ein Luftqualitätsproblem, auch wenn es nicht so schlimm ist wie in Großstädten der Nachbarländer“, heißt es aus dem Umweltministerium. Und als Grund gilt neben der kesselartigen Lage mit wenig Luftaustausch das hohe Verkehrsaufkommen.

Allerdings scheint die Regierung das in Kauf zu nehmen. Auch die Neuauflage der blau-rot-grünen Koalition verschont Automobilbranche und Dieselfahrer gleichermaßen und verlängert den Status quo. „Wir werden in fünf Jahren weiterhin vor dem gleichen Problem stehen“, so Muller.

Dieselskandal, uns doch egal! Über ein verdrängtes Problem

GuyT
15. Dezember 2018 - 11.26

Da unterstellen Sie den Kollegen von Sandweiler unberechtigterweise etwas was nicht stimmt: unter den gegebenen Bedingungen war der Betrug nicht aufzudecken.

J.C.KEMP
15. Dezember 2018 - 8.58

Eiin Problem mit den 'alten' Autos ist jedoch, dass sie wegen der vielen Elektronik eben nicht nach Afrika exportiert werden. Sie sind dort nicht zu warten. wegen fehlender Diagnosegeräte. Daher werden sie entweder nach Osteuropa gebracht oder verschrottet. Übrigens werden besonders in Fernost, speziell für Afrika, altmodische Diesel, sicher nach E6+++ gebaut, speziell für den afrikanischen Markt.

Homolo
14. Dezember 2018 - 19.03

Das ist doch gewusst! Homologiert wird im Labor, nicht auf der Strasse. Ist auch gewusst von der Industrie, von einigen wenigstens, die die Software manipulierten um im Labor die gesetzlichen Werte zu erreichen.

Theisei
14. Dezember 2018 - 18.58

Dummes Zeug? Diesel Hauptschuldiger am Klimawandel! Wer behauptet das? Diesel stösst weniger CO2 aus (umweltschonend) und mehr Stickstoffoxyde (gesundheitsschädigend)! Beides, Umwelt und Gesundheit scheint die wenigsten zu interessieren!

Losch
14. Dezember 2018 - 16.36

Mich würde interessieren wieso die Betrugsmotoren von VW in Luxemburg homologiert wurden.

roger wohlfart
14. Dezember 2018 - 16.35

Genauso ist es. Weil bei uns die Diesel Fahrzeuge scheinbar die Hauptverantwortlichen der Luftverschmutzung sind, werden sie aus dem Verkehr gezogen und in Drittweltländer exportiert, wo sie dann weiter ihr Unwesen treiben. Hauptsache hier boomt die Wirtschaft. Der Diesel erfüllt schlicht und einfach eine Alibifunktion.

roger wohlfart
14. Dezember 2018 - 12.39

Unsere Regierung hat die Diesel geschädigten Autofahrer ganz schön im Stich gelassen, genauso wie der ACL und der Konsummentenschutz auch. Die betrogenen Dieselfahrer sind das Opfer, die im Endeffekt bestraft, geächtet werden und draufzahlen müssen. Auffallend und komisch auch, dass auf einmal der Diesel der Hauptschuldige an dem Klimawandel ist. Klar, es musste ein Bauernopfer her und wie gewohnt ist das der Mann von der Strasse. An die grossen Konzerne mit ihren zig mal giftigeren Ausstossen wagt sich keiner heran. Die drohen dann mit Auswanderung in Billigländer. Und dort wird erst recht keine Rücksicht auf Natur und Umwelt genommen. Aber wenn alle Diesel durch Benziner ersetzt werden, ist das wieder im Sinne der Wirtschaft und des berühmt berüchtigten Wachstums. Wer will uns hier was vormachen und uns für dumm verkaufen?

Abgemachte Sache
14. Dezember 2018 - 11.35

Ein Bürgemeister wird klagen, Recht bekommen, fait accompli. Minister Bausch braucht sich nicht bei den armen Schlucker zu entschuldigen die besseres zu tun hatten als ein neues Auto zu kaufen. Applaus von den Garagisten und den Banken die den Kredit geben ist garantiert. Den alten Euro 5 verkauft das Autohaus nach Afrika. Olaf rettet die Welt und die Wirtschaft brummt. Gelobt sei Jesus Christus Herr Minister.