Neue Spuren von unseren Ahnen

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Sieben Zähne, ein Teil eines Kiefers, ein Kreuzbein, vor allem aber ein beinahe vollständig erhaltener Oberschenkelknochen: In der berühmten Höhle von Arago im südfranzösischen Tautavel haben Paläontologen in wenigen Wochen wahre Schätze der menschlichen Urgeschichte entdeckt.

Die Forscher reiben sich die Hände, denn es gibt noch viel herauszufinden über den Menschen von Tautavel, der vor rund 450.000 Jahren lebte. So könnten die Knochenfunde neue Einblicke in den rituellen Kannibalismus unserer fernen Vorfahren ermöglichen.

„Das ist ein außergewöhnliches Jahr“, sagt Henry de Lumley begeistert. „Wir haben nie so viel in so kurzer Zeit gefunden.“ Der heute 78-jährige Paläontologe hatte 1964 zusammen mit seiner Ehefrau Marie-Antoinette mit den Grabungen in der Höhle von Arago begonnen. Der spektakulärste Fund gelang ihnen sieben Jahre später: 1971 wurde ein fast vollständiger Schädel eines Menschen von Tautavel gefunden, der unserem Vorfahren erstmals ein Gesicht gab. Es war das 21. menschliche Fossil, das dort entdeckt wurde, und trägt daher den Namen Arago XXI.

360.000 Objekte

In fast 50 Jahren Grabung wurden bis heute rund 360.000 Objekte gefunden, darunter 141 Teile von menschlichen Skeletten, aber auch Werkzeuge und Tierknochen. Die rund 20 Kilometer von der Stadt Perpignan entfernt liegende Höhle von Arago ist eine so ergiebige Fundstätte, weil sie aufgrund von Gesteinsbewegungen Zehntausende von Jahren geschlossen war und sich erst rund 30.000 bis 15.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung wieder öffnete.
Daher weiß die Wissenschaft heute recht viel über den Menschen von Tautavel, der lange vor dem Neandertaler und unserem direkten Vorfahren, dem Cro-Magnon-Menschen, lebte. Das Feuer gebändigt hatten unsere fernen Vorfahren noch nicht, wohl aber stellten sie eigene Steinwerkzeuge her und jagten große Tiere in einem Umkreis von 30 Kilometern um die Höhle. Von der hochgelegenen Höhle aus hatten sie einen guten Blick auf das Tal – und damit auch auf vorbeiziehende Beutetiere. Außerdem gab es eine Wasserquelle.

Bekannt ist auch, dass die Tautavel-Menschen einen rituellen Kannibalismus praktizierten. „Sie aßen nur bestimmte Teile des menschlichen Körpers, denn zu essen hatten sie eigentlich genug“, sagt Marie-Antoinette de Lumley. „Anschließend zerbrachen sie die Knochen in Stücke und ließen sie hier. Die Höhle von Arago, das war so etwas wie ihr Picknick-Tisch.“

Wertvoller Oberschenkel

Weil der kürzlich gefundene Oberschenkelknochen fast vollständig erhalten ist, ist er für die Forscher besonders wertvoll. „Wir mussten 50 Jahre suchen, bis wir einen Menschenknochen gefunden haben, der nicht von unseren Vorfahren zerbrochen wurde, um daraus das Kochenmark zu essen“, sagt Grabungsleiter Christian Perrenoud.

Trotzdem gehen die Forscher davon aus, dass der Oberschenkelknochen einem Menschen von Tautavel gehörte, der dem Kannibalismus zum Opfer fiel – und wollen nun mehr herausfinden über den Toten: Größe, Geschlecht, Körperbau.
Vermutlich war der Tote rund 1,70 Meter groß – „das ist für einen prähistorischen Menschen schon ganz schön groß“, sagt Marie-Antoinette de Lumley. Noch steckt der Knochen teilweise in der Erde, er soll jetzt freigelegt, fotografiert, im 3D-Scanner untersucht und dann in einen Safe des Europäischen Zentrums für prähistorische Forschung in Tautavel eingeschlossen werden.

Und die Suche geht weiter: „Wir haben nur einen Teil der Höhle untersucht, es gibt Höhlengänge, die noch gar nicht erforscht wurden“, sagt Henry de Lumley. Die Grabungen dürften noch „mehrere Generationen“ beschäftigen. Die Forscher werden dann vermutlich immer mehr Geheimnissen des Menschen von Tautavel auf die Spur kommen.